Geschwister-Gespräche

[211] »Dein Zimmerchen, Peter, das ich nun seit 1913 zum ersten Male sehe, sieht aus, wie wenn es von einer außergewöhnlich liebevollen Bedienerin in Ordnung gehalten würde, Dir zuliebe, nein, sich selbst zuliebe! So eine Mission, ein Dichter-Zimmer in besonderer Ordnung zu erhalten!«

»Das tut sie ja auch!«

»Ja, ist es denn immer in diesen langen Jahren dieselbe?!«

»Keineswegs. Sie wechseln den Dienstplatz, aus diesem oder jenem mir unbekannten Grunde. Aber ihre Verehrung meines Zimmerchens und seiner darin befindlichen zahlreichen Gegenstände bleibt stets dieselbe. Es ist wie eine edle Tradition, Eine sagt es der Anderen, Scheidenden, oder sie sagt es sogar nicht einmal. Jede fühlt das als ihre Mission, es ist einfach kein alltägliches Hotelzimmer, in dem man stumpf seine armseligen Verpflichtungen erfüllt. Es hat für das einförmige Leben der Betreffenden einen Schimmer von Romantik, obzwar sie selbst davon gar nichts haben, und es ihnen doch nur Mühe macht, es in tadelloser Ordnung zu erhalten. Sie betrachten es als einen Raum,[211] in dem auch »höhere geistige Interessen« sich abwickeln, und wo sogar Liebe und Eifer sucht zartere sonst ganz unbekannte Formen annehmen! Nie hat ein Mädchen mein Zimmerchen je vernachlässigt, Jede übergab es der Fremden mit einer Art von Segenswunsch. Diese tadellose Betreuung rührt mich, ergreift mich. Oft frage ich: »Wieso kommen Sie, Fremde, dazu, alle diese Gegenstände so liebevoll zu behandeln?!?«

»Das kommt von der Vorgängerin her, die es uns extra ans Herz gelegt hat!« Jedesmal versucht es irgend Eine liebevoll, die Vorschriften ihrer Vorgängerin zu entziffern und zu befolgen. Vergeblich, Alles geschieht ganz von selbst, unter dem Eindrucke, den das Zimmerchen eben von selbst erweckt. Wie sie auch Alle heißen mögen, seit dem Jahre 1913, ihre »Mission«, mein Zimmerchen in besonderem Stand zu erhalten, war stets dieselbe liebevolle rücksichtsvolle. Name und Persönlichkeit taten gar nichts dazu. Eine »innere Tradition« bestimmte Alle, und jede Nachfolgerin erfuhr von der scheidenden Vorgängerin minutiöse Details der Instandhaltung. Einmal sagte ich einer Novize: »Wieso wissen Sie, daß der ›Eisvogel‹ rechts und das Käuzchen links zu stehen habe?!« »Aber, Herr Altenberg, das muß man doch wissen als ein geschmackvoller Mensch! Übrigens hat die Vorgängerin es mir ans Herz gelegt!«

So leben fremde Dienstboten, indem sie einen Idealismus befriedigen, der mit ihrem persönlichen Glück nichts zu tun hat. Und dennoch nehmen sie die »Bürde des Lebens« leichter, wenn sie vor solch eine selbstlose Aufgabe gestellt sind. Mein[212] Gott, die übrigen Zimmer sind halt gewöhnliche Hotel-Zimmer, die man in Ordnung halten muß. Aber das Dichter-Zimmerchen ist eine Extra-Fleiß-Aufgabe, in liebevoller Fürsorge von selbst ausgeführt. Was den Anderen nicht gehört, und man es so lieb hat wie er, Das gehört eigentlich den Anderen.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 211-213.
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