Premiere

[133] Ich war in einem neuen Stück.

Den schönen jungen Damen im Parkett und in den dichtbesetzten rotgoldenen Logen

ward ihr eigenes Schicksal gleichsam vorgeführt,

wenn auch in geziemender Entfernung; und, obzwar typisch, doch ein Einzelfall!

Aber alle diese Zuschauerinnen, Mit-Erleberinnen, Mit-Fühlende, Mit-Leidende, Mit-leidige, hatten »nachgegeben« dem Leben;

sonst säßen sie nicht hier, weideten sich nicht am eigenen Schicksal, das eben Gott sei Dank ihr eigenes nicht war!

Ein Dichter-Spuk und doch ein Nerven-Kitzel.

Wie nah verwandt waren sie der modernen Heldin auf der Bühne!

Nein. Denn diese leidet eben, findet keinen Ausweg, könnte nicht bei diesem Stücke im Parkett oder in der Loge sitzen, ohne bitterlich zu weinen oder ohnmächtig zu werden!

Nein, sie saßen da und hofften, daß man ihre nackten

Arme hinter Tüll-Gardinen, ihre besondere Kleidung oder den Schimmer ihrer aparten Frisuren bewundern werde![133]

Und man tat es.

Denn die Heldin auf der Bühne, mein Gott, kämpft einen Verzweiflungskampf um ihre Ideale im Leben;

und wo strandet Das?!

Im 5. Akte. Wie immer.

Die Zuschauerinnen jedoch leben ohne zu stranden;

nicht einmal im 100. Akte, sehen sich friedlichbewegt diese 5 Akte an! Wie spannend!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 133-134.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]