Das »Flugerl«

[46] Es gibt nur einen einzigen wirklichen Größenwahn – – – der Glaube eines Mannes an die Treue einer geliebten Frau!

Niemand hat eine Ahnung von der Hypnotisierungsfähigkeit der Frauennerven! Und es ist immer der andere, der diese Fähigkeit besitzt! Niemals man selbst!

Es ist dabei alles völlig von ihnen unabhängig, einer mysteriösen Macht unterworfen, einem Bannfluch der Treulosigkeit! Sie sind also unschuldig daran!

Ein vertrauender Mann ist ein Idiot, ein verächtlicher tausendfacher Feigling, ein Kopf-in-den-Sand-vergraber, ein unanständiger Sichselbstbetrüger! Ein Vogel Strauß mit dessen Gehirn! Die.Begehrenswerte fühlt, daß sie begehrt wird und das irritiert ihr Nervensystem! Ununterbrochen!

Im Café, im Restaurant, auf der Straße, im Tramwaywagen, im Eisenbahnwaggon, im Automobil, im Geschäftsladen, überall, überall, überall kann einer sein, dem sie sich momentan, mit geschlossenen Augen, bebend, hingeben möchte! In allen anderen ernsten Beziehungen des Daseins ist sie »wissende Heuchlerin«; nur da, nur da, mysteriös erregt und grundlos von einem völlig Fremden, wird sie unbewußte Wahrhaftige!

Ihre ängstlichen Augen, ihr gespannter, ja gequälter Gesichtsausdruck, beweisen dir die Hypnose, unter der sie sich befindet, gegen ihren Willen,[46] in bezug auf irgend einen Kerl, auf den sie momentan fliegt!

Eine Ohrfeige könnte da vielleicht momentan nützen oder irgend eine andere schreckliche Brutalität, die einfach ihre Nerven »umstimmte«! Aber auch das kann verkehrt wirken. Es treibt sie vielleicht noch mehr hinein.

Am besten ist es, man teile einer geliebten Frau aufrichtig mit, daß man beständig in der Gefahr eines »Flugerls« lebe, eines, auf den sie momentan fliege, und bei dem sie das Bedürfnis habe, sich ihm plötzlich hinzugeben, bebend, mit geschlossenen Augen – – –!

Da sagt sie dir dann vielleicht einmal aufrichtig: »Komm rasch, verlassen wir dieses Lokal, dort drüben sitzt ein ›Flugerl‹, der Offizier mit den gelben Aufschlägen, bezahle morgen, was wir gehabt haben; fliehen wir, Geliebtester, ehe es für mich, für Dich zu spät ist – – –!«[47]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 46-48.
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