Das Flugerl
(Diejenigen, auf die sie mit den Nerven fliegen, nicht mit der Seele)

[182] Keine liebende Mannesseele entgeht diesem Verhängnis »Flugerl«! Das »Flugerl« ist das Verhängnis unseres Lebens! Es ist das Unentrinnbare, durch nichts zu Bannende im Weibe, es ist das »Organische« in ihr, mit ihr und gegen sie zugleich, eine Macht, eine Übermacht, ein Verhängnis in ihren Nerven –. Ob sie es dir zeigt oder es verbirgt in sich, es ist Sache ihres Taktes, ihres Feingefühles oder ihrer Koketterie und Unverschämtheit – – – aber eine jede hat ein »Flugerl«! Einen, der dich Liebevollsten, Aufopferndsten momentan auf allen Linien besiegt und bei dem sie mit geschlossenen Augen und offenem Munde die Natur walten ließe in ihrer mysteriösen Kraft – – –! Das »Flugerl« ist der Trunk für irgend etwas Verdurstendes im Weibe, den du Unglückseliger ihr nicht zu bieten hast!

Eine jede hat ein »Flugerl«, das alle Konvention über den Haufen wirft und aller Freundschaft und Liebe hohnlächelt. Es ist die Natur, die irgendwo zurückgedrängt wurde, irgendwie gefälscht, besiegt, belogen wurde, die nun bedräuend ihre Rechte fordert! Ihre Rechte!

Das »Flugerl« hat einen ganz bestimmten Gesichtstypus, eine ganz bestimmte Art zu sprechen und zu schauen, es hat eine gewisse sieghafte Nonchalance, wie die Katze mit der Maus. Man haßt das Flugerl, aber man muß sich ihm ergeben. Man befürchtet es, aber wenn es ins Leben eintritt, fühlt man sich erlöst. Man will ihm keinerlei Opfer[182] bringen, aber man flüstert ihm zu: »Nimm mich, Teufel, daß ich wieder zur Ruhe komme und menschlich werde und besinnungsvoll – – –!«

Das »Flugerl« ist das unentrinnbare Verhängnis für die liebende Mannesseele – – –. Es kann überall und jederzeit sich ereignen, im Café, im Restaurant, auf der Straße, am Lande, im Eisenbahnwaggon, überall, überall, überall. Nirgends, Mann, Liebevollster, wirst du dem »Flugerl« entgehen! Es wirkt und besiegt dich!

Nur eine Rettung gibt es: Beziehe ihn mit ein, in dein Kalkül, in das Kalkül deines Lebensglückes, deines Lebensfriedens! Wie man andere störende unentrinnbare Dinge mit einbezieht in dieses Problem »Das Lebensglück«!

Oder erkenne ihn im voraus als Gefahr, und, wo er auch auftaucht, trete auf ihn zu, grundlos, und ohrfeige ihn! Eine Naturkraft wider die andere! Und sie wird bestürzt zu dir sprechen:

»Aber Max, wie konntest du?!?« Und du wirst antworten: »Ich konnte!«[183]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 182-184.
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