Die Dichterin

[24] Er glaubte es gar nicht, daß sie die wirkliche Seelenneigung zu ihm habe. Er hielt es zum Teil für Frauenromantik, um Situationen zu schaffen, die außerhalb der Algebra des Irdischen sich befänden – – – das Unerwartete, Unausrechenbare! Sie mache einfach aus ihm eigenwillig ein Ideal!

Nach Jahren mannigfachen Schicksals machte sie nun Gedichte ihrer Erlebnisse. Alle waren mäßig. Nur die, die sich auf ihn bezogen, waren genial, aus Tiefen, die sonst nicht vorhanden waren. So Kernschüsse der Seele.

Da fühlte er: »Sie hat mich also doch geliebt!« Und er schrieb ihr das nach vielen Tagen.

Sie antwortete: »Nein, ich habe Dich nie geliebt, habe anderen hingegen mich leidenschaftlich angeschlossen. Aber in Dir, siehe, war ein Atom von dem vorhanden, was meinem eigentlichen, nie realisierbaren Ideale entsprochen hat, vielleicht Deine unbeschreiblich schönen Hände, die Anmut Deines Gehens, Dein Auge voll Güte und zugleich voll zarten Geistes. Dich habe ich nie geliebt, aber Du brachtest mir in einem Nichts ein Bruchstück jenes Ideales, das nicht ist und das nicht kommen wird! Nicht an Dich sind diese Gedichte gerichtet, sondern an mein Phantom, von dem Du nur einen Blutstropfen, aber eben doch einen, in Dir birgst! Ein Teilchen des Unerfüllbaren warst Du mir!

Deshalb sind es meine besten Gedichte – – –.«[24]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 24-25.
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