Die Kindheit

[73] Wo seid ihr, Zeiten, da wir Kinder sorgenlos, in guten Wagen, mit unseren Eltern, der wunderschönen Mama und dem wohlwollenden Papa, in unser geliebtes Kaiserbrunn fuhren, zwei- bis dreimal in der Woche, an duftenden Weiden vorbei, durch Hirschwang mit seinen Eisenhämmern; wir kannten alle Felsenstücke des Schwarzaufers und alle Stellen, wo in smaragdenem Wasser die dunklen Forellen standen und verschwanden. Und bevor wir uns zur Jause setzten, war unser Weg zu der geheimnisvollen Quelle im Schneeberge, wo aus unbekannten Tiefen der Kaiserbrunnen ein dunkles kleines Bassin in einer kalten Felsengrotte füllte. Eine Blechkanne an langem Holzstiel wurde in die dunkle Kälte hinabgetaucht, und dann tranken wir das Wasser, das ganz anders schmeckte wie alles andere Wasser, man könnte sagen: säuerlicher. Und dieses märchenhafte Wasser, mit der langstieligen Blechkanne heraufgefischt aus dunkler Grottenkälte, rinnt uns nun von selbst in die Häuser der Großstadt. Sooft ich aber im Kaffeehause den ersten Trunk dieses wirklich adeligen Wassers nehme, gedenke ich dieser herrlichen Wagenfahrten in der Kinderzeit nach dem Kaiserbrunn im Höllentale. Man öffnete uns eine versperrte verriegelte kleine dicke Tür, man betrat im Berge eine kalte dunkle Grotte und trank aus dem Kaiserbrunnen. Nun fließt er in allen Küchen aus Messingpipen. Wo seid ihr, Zeiten, da wir Kinder sorgenlos, in guten Wagen, mit unseren Eltern, der wunderschönen Mama und dem wohlwollenden Papa, zweibis[73] dreimal in der Woche in das geliebte Kaiserbrunn fuhren im Höllental?!? Die Mutter ist im Grabe und der Vater ist ganz alt. Und in allen Küchen der Großstadt fließt, seines Mysteriums entzaubert, der geliebte Kaiserbrunnen – – –.[74]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 73-75.
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