Die Operation

[124] »Kellner, ich muß heute abends nur sehr Leichtes essen, weißes Fleisch – – –«.

Morgen um 11 Uhr vormittags sollte sie operiert werden im Frauensanatorium. Aber niemand wußte es. Sie schrieb an den, den sie jahrelang gemartert hatte: »Bringen Sie mich heute abends an den Stammtisch zu P.A. und bringen Sie feine Zigaretten mit, aber ohne Mundstück«.

Er brachte sie an den Stammtisch zu P.A.

Sie dachte: »Wie sind doch alle zu beneiden, die morgen um 11 nicht aufgeschnitten werden – – «.

Sie rauchte unablässig Zigaretten in der anmutigsten Art durch einen Papierspitz, den sie wie einen Federstiel zwischen den Knöcheln hielt.

An dem Tische befand sich ein Mann, der sie wiederholt besessen hatte, so aus Alkoholwirkung und zur Hebung seines Selbstbewußtseins.

Ein Baron dachte: »Sie will heute abend etwas bezwecken, man kann es jedoch nicht genau wissen, was es ist?! Vielleicht hängt sie sich heute nacht auf. Jedenfalls ist sie heute unnatürlich natürlich. Wie ein Spieler, der plötzlich mitteilte: ›Ich habe die Pique-As markiert – – –‹. Immerhin möchte ich sie mir heute sehr gerne kaufen, obzwar sie aufgedunsen aussieht.«

Sie erzählte von einem Öllämpchen, das sie geschenkt erhalten habe und das drei fadendünne Dochte habe und von einer Mischung von vier wohlriechenden Ölen gespeist werde, die einen faszinierenden Duft verbreiteten während des Brennens – –[124]

»Das riecht dennoch nur nach Literatencafé«, sagte der Mann, der sie infolge Alkohols wiederholt in Besitz genommen hatte.

»Vermachen Sie mir dieses Lämpchen, falls Sie sterben, ich schenke es meiner Geliebten, die fliegt auch auf solche Schwindel hinein – – –«, sagte der Journalist.

Der Schauspieler bestellte französischen Champagner, um die gesamte Stimmung einerseits zu besänftigen und zugleich dennoch zu heben, wenn auch wieder in einer anderen bequemeren Art und Weise.

Einer sagte seinem Nachbar ins Ohr: »Mir kommt dieses Mädchen vor wie ein gehetztes Wild – –.«

»Jedenfalls raucht sie zu viel Zigaretten«, erwiderte der Nachbarphilister.

Sie küßte bei irgend einer Gelegenheit P.A. die Hand, wie man einen Menschen behandelt, der das handliche Format »Mann« überschreitend oder unterschreitend, einer besonderen Art jedenfalls von freundschaftlicher Behandlung wert wäre!

Sie sagte: »Wer würde mir von euch Zigaretten bringen, wenn ich krank würde, sehr sehr krank?!«

Der Baron sagte, daß er es auf diesen exzeptionellen Fall gar nicht ankommen lassen würde und notierte sich sogleich ihre Adresse und ihre Lieblingszigarette.

Sie diktierte ihm leise: »Frauensanatorium Löw, Pelikangasse 15, Marke Hanum mit Korkmundstück«.

Der Baron blickte sie an. Er dachte: »Sie ist wirklich ein wenig aufgedunsen – – –«.[125]

Später sagte er: »Sie sollten sich heute ausschlafen, es ist 1 Uhr nachts – – –«.

Der Alkoholiker sagte: »Darf ich Sie nach Hause begleiten?!?«

»Leider nicht«, erwiderte die Dame, »der Arzt hat mir speziell für heute nacht jede Aufregung verboten – – –«.

Der Mann, den sie jahrelang gemartert hatte, seelisch, brachte sie nach Hause.

Der konnte ihr nicht an, weil er sie ernstlich lieb hatte. Mit dem konnte sie spielen wie ein Baby mit einem Hampelmann.

Dem sagte sie daher auch sanft zum Abschiede im Wagen: »Leben Sie wohl, Sie einziger Freund, ich werde morgen 11 Uhr vormittags operiert auf Leben und Tod – – –«.

Er konnte gar nichts sagen vor Schmerz. Und das freute sie. Sie nahm seinen stummen Schmerz mit in die Nachtstunden vor der Operation, und es war wie eine Medizin. Sie schlief gut und er schlief schlecht. So soll es wahrscheinlich sein![126]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 124-127.
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