Herrensitz in U.

[116] Er besaß ein riesiges Gut in U. Man fuhr drei Stunden lang mit der Bahn hin, dann noch eine Stunde mit dem Wagen, respektive eine Viertelstunde mit dem Automobil, falls die Straßen fest und sicher waren, was selten oder nie sich ereignete. Die Straßen waren gleichsam angelegt wie Sümpfe vor der Festung Königgrätz. Das Gut war sehr ergiebig, aber keineswegs für den Naturfreund. Auf diesem Gute erbaute sich der Besitzer in modernstem einfachstem Stile – weiße gekörnte Mauern, breite viereckige Spiegelscheibenfenster, rostrotes Dach – ein wunderschönes Herrenhaus mit 12 Zimmern, alle eingerichtet in schwedischem Birkenholz und mit niedrigen Messingbetten und riesigen Pendeluhren in Kristallgehäusen. »Nun wird es vielleicht zum Heiraten kommen«, dachte er. Aber es kam nicht dazu. Zu diesem Hause engagierte er eine erstklassige Köchin und einen jungen Diener, der französisch sprach, und eine alte Wirtschafterin, die die beiden beaufsichtigen sollte in ihrer Arbeitslosigkeit. Denn da entstehen die meisten Ungehörigkeiten. Nun wurde es aber das verzauberte Herrenhaus und niemand wußte, wozu das alles eigentlich da sei. Am wenigsten der Gutsherr selbst, der sich künstlich binden wollte an etwas, was nicht band.

Eines Tages brachte er eine freundliche junge Dame mit. Sie sollte den verzauberten Herrensitz ein wenig beleben, und sei es nur, daß sie mit Köchin und Diener zankte oder sich gütlich bespräche. Aber sie tat nichts dergleichen und fand alles fade[116] und gleichgültig. Man fuhr sie auf einem Dampfpfluge auf die Zuckerrübenfelder hinaus und auf die Kukuruzfelder, man zeigte ihr den herrlichen Beschälhengst namens »Vita« und andererseits die herrlichen Mastochsen. Sie erwiderte: »Wann könnte ein Brief aus D. hier ankommen? Er ist ein Tepp, aber ich brauch das für meine Nerven. Er will sich wegen mir umbringen«. Man sagte ihr, daß ein Brief wahrscheinlich nie anlangen werde, und daß man sie deshalb jedenfalls nicht hierherbefördert habe. Daraufhin beruhigte sie sich und meinte, sie habe sich nur erkundigt aus Langeweile. Es liege ihr nichts an dem »Teppen«. Nur die Fini dürfe ihn nicht kriegen. Unter keiner Bedingung. Der Besitzer des Gutes sah nun ein, daß er auch mit dieser Acquisition sein Herrenhaus nicht besonders beleben könne und die zwölf Zimmer mit den zwölf Messingbetten und den schwedischen Birkenholzkästen und den Pendeluhren in riesigen Kristallgehäusen. Infolgedessen sagte er zu den drei Dienstboten, sie möchten nur alles in peinlichster Ordnung erhalten, es könne jeden Augenblick etwas Unerwartetes sich ereignen. Aber er hatte keine Ahnung, was.

Hie und da sagte irgend eine freundliche junge Dame: »Du, ich möchte für vierzehn Tage auf dein Gut«. Aber er erwiderte: »Es geht nicht. Es ist alles besetzt – – –«.

Und die Köchin begann zu stehlen wie ein Rabe und der französisch parlierende Diener machte ihr ein Kind und der Wirtschafterin ebenfalls, um sie zu beruhigen und aus Langeweile. Da löste der Gutsherr seinen schönen Herrensitz wieder auf und verkaufte[117] sogar die Uhren in den riesigen Kristallgehäusen. Er dachte: »Wenn erst so eine kalte hochnasige pünktliche gekommen wäre, bei der alles am Schnürchen hätte gehen müssen! Oder so eine leichtsinnige verschwenderische Maitresse à la Pompadour – –?! Sogar die Uhren habe ich noch günstig angebracht!«[118]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 116-119.
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