Sehnsucht

[208] Lieb' ich Dich?!? Lieb' ich Dich nicht?!?

Ich sehne mich nach Dir!

Beisammensein ist stumpfes todtes Glück,

lebendiges Glück jedoch ist nur mein Sehnen!

Wenn Du nicht da bist, schleicht das süsse Gift der Sehnsucht in mein Herz;

indem ich fühl', ich könnt' ihm nicht entrinnen,

fühl' ich erst meiner Liebe holde Kraft!

Denn Liebe ist das Unentrinnbare.

So mancher mag in Deiner süssen Nähe begeistert sein – – –

mich aber macht erst liebeskrank die Ferne!

Und misst der Andere seine Leidenschaft an hellem Glück des Nahe – Seins bei Dir,

mess' ich sie an der dunklen Sehnsucht nach der Fernen!

Wer trinkt, geniesst,

wer dürstet, liebt den Trunk!

Lieb' ich Dich?!? Lieb' ich Dich nicht?!?

Ich sehne mich nach Dir!

Beisammensein ist stumpfes todtes Glück,

lebendiges Glück jedoch ist nur mein Sehnen![208]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 208-209.
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