Diese ist sein

[92] Sechs Uhr.

»Du musst essen, Risa, eine Wagner-Oper dauert bis elf. Deshalb brachte ich ja die grosse Sardines de Nantes-Büchse. So, da hast Du drei vollkommen geschälte.«

»Wie nach einer Bergpartie isst Du! Sechs Sardinen – – –.«

»Ich habe viel gearbeitet. Was glaubst Du?! Ich freue mich riesig auf die Oper. Erstens Deinetwegen – – –.

Iss, Risa – –.«

»Ich kann nicht essen. Iss Du für mich.«

»Wie vor einem Balle bist Du. Wie ein Mäderl –.«

»Ist es schon Zeit, zu gehen?!«

»Nein. Noch zwanzig Minuten. Sie, Marie, wenn wir weg sind, öffnen Sie alle Fenster!«

»Warum?!« fragte Risa.

Ich möchte nicht, dass Du in das Dumpfe zurückkämest. Am liebsten möchte ich Dich in einen schönen, unerhört erleuchteten Hotel-Saal führen, wo alle Leute an den Tischen Dich ansähen und flüsterten: »Du, die kommt aus ›Tristan‹ – –.« »Wieso weisst Du es?!« »Ich sehe es ihr an«. Risa, warum lächelst Du?! Ich möchte jeden Augenblick[92] die Welt aufbieten, Dir das zu spenden, wessen Du bedürftest. Der Impresario Deiner Seele sein, das wäre es. Aber ich treffe nur das Äusserliche. Nun, habe ich Dir schlecht gerathen zu dieser weissgrünen Seide?! Mein Kunstwerk!

»Ich bin wirklich Dein Kunstwerk. Ich selbst hätte es nie gewagt: weissgrüne Seide, von oben bis unten in Plissés. Du nimmst es mir ab, hast meine eigenen Kühnheiten. So erlösest Du mich von mir, von meinen Überschüssigkeiten.«

»Bleibt mir etwas anderes übrig als Dir zuvorzukommen in Dir selbst?!«

»Das verstehe ich gar nicht.«

»Es wird ein Augenblick kommen, da ich zurückbleibe. Dann wirst Du mich verstanden haben. Vorläufig gebe ich Dir Richard Wagner, weissgrüne Seide zu Deinem wunderbaren braunen Haar und meine Freundschaft. Kann man aber concurrieren mit den Träumen?! Auf rascheren Rossen reiten sie –.«

»Wie Du Dich in mich hineingräbst – –! Da brauchen wir nicht herauszugraben – – –. Wie wenn Du zu dem Heerde von Krankheitskeimen vordrängest, zu Gefahren ausgesetzten Punkten!«

»Risa, hat die Pastille Tamar Grillon, die ich Dir heute morgens gab, gewirkt?!«

»Ja – – –. Ich bin wie erlöst.«

»Es ist ein königliches Mittel. Milde wie die Natur selbst und gleichsam voll innerlicher fürsorglicher Weisheit. Unsere eigene Kraft, nur quasi in die Frucht des Tamarindenbaumes verzaubert!«[93]

»Ich bin wie erlöst – – –.«

»Nun siehst Du – –?!«

»Du hättest Kindsfrau werden sollen – – –« sagte sie sanft. Er aber spürte gleichsam ihren Leib und ihre Seele, welche er in gleichem Maasse behütete und frei bewahrte vor jedem Drucke, auf dass sie seien in Frieden!

»Ganz glücklich bist Du über Tamar – –« sagte sie lächelnd.

Stille.

Dann sagte sie sanft: »Du – – – schreibe Herren von Artin ab für Samstag, Ausstellungs-Avenue, Restaurant Sacher. Ich hasse ihn.«

»Artin?! Welchen Du auffordertest?!«

»Ja, Artin – – –. Gehen wir. Es ist dreiviertel sieben.«

»Marie, öffnen Sie alle Fenster, während wir weg sind!« Auf dem Wege zur Oper sagte sie: »Du, wenn Tante Ida wüsste, dass wir über ›Tamar‹ uns besprachen?! Kannst Du Dir vorstellen, dass überhaupt jemand aus unseren Familien über Tamar sich bespräche?! Ich selbst wüsste es nicht von mir, dass man es könne.«

»Gute, Süsse – –« sagte er milde.

»Gott, wie oft mussten diese jungen Frauen übel gelaunt sein und verdrossen. Aber man führte es auf das ›Seelische‹ zurück.«

»Jawohl, auf das ›Seelische‹ – – –. Du, übrigens, könntest Du mit Herrn von Artin darüber sprechen?!?«[94]

»Nein. Unter keiner Bedingung. Wie kommst Du darauf?!«

»So – – –.«

»Es ist merkwürdig. Ich empfand gerade vorhin zum erstenmale, als ob er sich die billige Komödie vorspielte, dass ich ein ›ausserirdisches Geschöpf‹ sei. Weil er nicht genug Freundschaft hat, mich als ein »schwaches irdisches Geschöpf zu nehmen! So verstrickt er sich und mich in Verlogenheiten. Ich fühle, dass er nie mit mir über Tamar sprechen könnte – – –.«

»Und darum hassest Du ihn?!«

»Ja, darum.«

»Dennoch wüsste ich Einen, mit dem Du nicht darüber sprächest! Und es wäre dennoch keine Verlogenheit darin.«

»?!«

»Mit Lord Byron.«

Sie schwieg.

Dann sagte sie verlegen; »Aber der lebt ja gar nicht mehr.«

»Glaubst Du?!«

Er schwieg, ging schweigend.

Sie kamen zum Opernhause, traten ein in das goldene Vestibüle durch die hellgrünen Tuch-Thüren, portes battantes.

Er dachte: »Meine Forelle gelangt in ihren Gebirgsbach. Was verlangt übrigens die Frauenseele von uns?! In den Gebirgsbach zu gelangen?[95] Keineswegs. Sie wünscht nur, dass wir es wissen, dass sie hingehöre!!«

»Du kommst in Dein Gebirgswasser« sagte er.

Sie dachte: »Artin wird in der Loge sein bei dem Grafen. Und ich trage heute ein weissgrünes Seidenkleid, in Plissés von oben bis unten. Wie würde Artin es benennen?! Eine romantische Bezeichnung jedesfalls!?«

Der Gatte sagte bewundernd: »Wie Schaum von Gebirgswasser ist Dein Kleid. Wenn Artin Dich sähe!?«

»Warum sagst Du das?!«

»Sage ich das?!«

»Du – – – er wird in einer Loge sein bei dem Grafen« sagte sie erröthend.

»Natürlich.«

»Ich hasse ihn.«

»Natürlich. Er betrügt Dich. Er nimmt Dich in Deinen erhöhtesten Momenten, den Sonntagen Deines Seins. Wenn Du bei Richard Wagner sitzest in einem weissgrünen Seidenkleide. Rubinstein am Claviere. Die Wolter in ›Sappho‹. Auf einem Schiffe müsste er Dich Dich erbrechen sehen!«

»Ja. Das ist es. Er müsste mich erbrechen sehen auf einer Meerfahrt.«

Der Gatte dachte: »Wüstlinge der Ideale – –.« Dann sassen sie dicht nebeneinander bei »Tristan« und wussten gar nicht, in welcher Loge Artin sich befände, den ganzen Abend lang – – –![96]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 92-97.
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