Der Landungssteg

[286] Ich liebe die Landungsstege an den Salzkammergut-Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie riechen so gut wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande. In dem Wasser um ihre dicken Pfosten herum sind immer viele ganz kleine grausilberne Fische, die so rasch hin und her huschen, sich plötzlich an einer Stelle zusammenhäufen, plötzlich sich zerstreuen und entschwinden. Das Wasser riecht so angenehm unter den Landungsstegen wie die frische Haut von Fischen. Wenn das Dampfschiff anlegt, erbeben alle Pfosten und der Landungssteg nimmt seine ganze Kraft zusammen, den Stoss auszuhalten. Die Maschine des Dampfschiffes mit den roten Schaufelrädern kämpft einen hartnäckigen Kampf mit dem in renitenter Kraft verharrenden Landungsstege. Er gibt nicht nach, wehrt sich nur, soweit es unbedingt nötig ist, nach aussenhin und erzittert vor innerem Widerstande.

Endlich siegt seine ruhige, in sich verharrende Kraft und das Schiff lässt locker, gibt nach, entfernt sich wieder.

Stunden und Stunden liegt der Landungssteg für Dampfschiffe, meistens im Sonnenbrande dörrend, einsam, gemieden da.

Plötzlich kommen angeregte Menschen in lichten Kleidern, sammeln sich auf dem Landungsstege.[286] »Geht nicht zu weit vor,« sagen die Eltern und betrachten den Landungssteg als eine imminente Gefahr. Ich könnte nun mit einiger Berechtigung sagen: »Irgendwo, abseits, lehnen zwei hart nebeneinander stumm am Geländer.« Aber das ist alte Schule und infolgedessen unterdrückt man es.

Ich kann jedoch nicht leugnen, dass das beharrliche Hinabstarren am Geländer des Landungssteges in das Wasser, in der Nähe einer jungen Dame, durch längere Zeit durchgeführt, oft seine laute verständliche innere Sprache spricht. Auf den Landungsstegen werden meistens kleine unbrauchbare Fische gemartert. Man fängt sie, schleudert sie zu Boden, weidet sich an ihrem Totentanze. Freilich, zwischen den Zähnen eines Hechtleins ist es auch nicht angenehmer. Und wer stirbt ruhig in seinem Bette?! Auf den Landungsstegen befinden sich ebenfalls zuzeiten die Komitees und das Präsidium der Jachtwettfahrer. Segelregatta. Stundenlange starren sie mit Operngläsern irgendwohin, auf einen mysteriösen Punkt im See, und niemand aus dem Publikum hat eine Ahnung, was vorgeht. Trotzdem ist alles sehr aufgeregt. Hie und da fällt ein technischer Ausdruck. Plötzlich wird Hurrah geschrieen und einiges emsig notiert. Der Landungssteg ist da wie der Hügel eines Feldherrn. Man starrt mit Operngläsern auf den Ausgang der Schlacht. Da ist der Landungssteg mitten im Leben drin. Dann liegt er wieder in Mondnächten da wie ein dunkles Ungetüm, zieht[287] sich, streckt sich schwarz hinaus in den silbernen See.

Ich liebe die Landungsstege der Dampfschiffe an den Salzkammergut-Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie sind mir so ein Wahrzeichen von Sommerfreiheit, Sommerfrieden, und sie duften wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande – – –[288]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 286-289.
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