Emerson

[266] Ich weinte über eine Stelle aus »Die Kreise« von Emerson. Ich weinte, dass er mir zuvorgekommen war, und ich weinte vor Ergriffenheiten.

»Keine Liebe kann durch inneren Eid und innerste Zuversicht so gebunden werden, dass sie gegen eine höhere Liebe gefeit wäre! In der Natur ist jeder Augenblick neu, das Vergangene wird immer aufgebraucht zu neuen Bethätigungen und vergessen.

Das Kommende nur ist heilig. Nichts, nichts ist sicher, ist wahrhaft, als der Übergang vom armseligen Gewesenen zum reichen Kommenden. Die Menschen möchten immer gesichert sein! Wehe den Gesicherten! Nur insoweit sie es nicht sind, ist einige Hoffnung vorhanden für sie – – Menschen zu werden!«

Über diese Stelle in »Emerson« weinte ich. Ich weinte, dass er mir zuvorgekommen war, ich weinte vor Ergriffenheiten.

Und noch einen Satz fand ich, werth, ihn wieder und wieder mitzutheilen, und immer wieder, der das Wesen des Dichters enträthselt:

»Nur das, was wir in uns haben, können wir auch ausser uns erblicken! Wenn wir keinen[266] Göttern, keinen Göttinnen begegnen, kommt es nur, nur daher, weil wir keine mehr beherbergen in unserem eigenen Herzen, von vorneherein! Wenn Tiefe und Werth in dir ist, so wirst du Tiefe und Werth finden in Schornsteinfegern und Strassenkehrern, in Dirnen und ihren Zuhältern! Der nur ist wirklich unsterblich, dem alle Dinge unsterblich erscheinen!«

Man macht künstlerische auffallende Plakate, die zum Stillstehen zwingen, die bannen und nöthigen, für Champagner-Marken und Parfums?! Weshalb druckt man nicht diese Sätze Emersons an allen Strassenecken auf künstlerische auffallende Plakate, die zum Stillstehen zwingen, die bannen und nöthigen?!? Sie sind doch wichtiger als Champagner und Parfum![267]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 266-268.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe: In der Fassung des Erstdrucks (Fischer Klassik)
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe