Wie wunderbar – – –
(Einer edlen Verstorbenen,
Madame Olga Waisnix, geweiht.)

[210] Es hat ein Ende – – –.

Er sitzt in seinem kleinen Hôtelzimmer, wo die Nussbäume hereingrünen und das Forellenbrünnlein herauf glugluckt und magert ab und isst nichts und trinkt nichts. Und wenn er schläft, ist es so wie bei einem Kranken, Erschöpften.

Oft hört er Nachts den Bergwind in die Nussbäume fahren und das Forellenbrünnlein seine Trillerketten in Alt singen.

Und eine Dame sendet ihm Bouillon, täglich, und lässt sagen: »Essen Sie – – –! Mir zu Liebe – –.«

Eines Morgens fährt er weg. Er hat es versprochen.

Der Hof riecht nach Nadelwald und Bergwiese und alle weissen Jalousieen sind herunter – – –.

Was hat sich verändert?!

Die lyrischen Dichter haben es gut. Sie können sagen: »Wie ist das Herze mir so schwer – – –.«

Und dann reimen sie darauf: »nimmermehr –.«

Aber Der fährt ganz ohne Reim weg, einfach still weg, und alle Jalousieen sind herunter – – –.

Dann packt sich das Leben mit halben Sachen voll, mit unnützen, mit Freundschaften und zarten Stimmungen, mit kurzen tragischen Einaktern, wie sie heute dem Publikum »Seele« passen, mit Morphiuminjektionen[210] für Unerträglichkeiten, und humpelt weiter –.

Das Leben ist kränklich geworden und braucht Morphiuminjektionen – – –.


Dann sehen sie sich wieder in einem grossen Garten voll von Obstbäumen.

Die Abendluft riecht nach Nadelwald und Bergwiese. Sie gehen langsam einen schmalen weissen Kiesweg zwischen Stachelbeerstauden auf und ab und sprechen gescheidte Sachen – – –.

Es duftet feuchtkühl nach Nadelwald und Bergwiese.

Er denkt: »Wie wunderbar! Es hat kein Ende –.«

Sie hüllt sich in ihren Schawl ein und fröstelt –.

Dann fährt sie weg. Sie hüllt sich in ihren Schawl ein und der Wagen riecht nach Leder-Lack. Die Wagenlaternen schimmern noch lange herüber wie zwei trübe Augen.


Dann sieht er sie einmal wieder in der Grossstadt. Sie sitzt da in einer wunderbar eleganten Toilette, so in einer müden Flirt-Stimmung. Er fühlt: »Violette de Parme, E. Legrand – – –.«

Er blickt sie an mit seinem reinen tiefen Blick –:

»Arme, Müde –. Wie süss Du noch immer duftest –.«

Sie fühlt: »Wie wunderbar! Es hat kein Ende –.«[211]

Aber diesmal bleibt eine Sehnsucht in ihm zurück wie bei einem Baby, wenn die Mama Abends in's Theater geht oder sonstwohin – –. Wie Thränen in den Nerven ist es. Man erbebt so. Aber das Baby muss schön brav sein, wenn es die Mama lieb hat. Darum erbebt es nur so und Niemand merkt es. »Mama, gute, süsse Mama – – –!«


Dann schreibt sie einmal – – –.

Er geht schon dahin wie auf Krücken, der Morphinist des Lebens – – –.

Plötzlich kommt dieser liebe süsse Hauch von Freundlichkeit – –.

Er richtet sich auf, kerzengerade, wie ein alter Invalide, wenn Napoleon vorbei reitet – – –.«

Er salutirt gleichsam der Freundschaft – – –!

Und dann macht er ein Gedicht wie die lyrischen Dichter – – –.

Es ist ganz kurz, so modern – – –.

Es lautet: »Wie wunderbar! Es hat kein Ende –!«[212]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 210-213.
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