Sie läßt ihm entbieten, daß sie vor seiner Liebe krank lieget

[143] 1

Ihr Engel, die das höchste Gut

Verordnet hat zu unsrer Hut,

Geht, bringets meinem Bräutgam hin,

Daß ich vor Lieb erkranket bin.


2

Die Liebe hat mirs Herz verwundt,

Daß michs noch schmerzet diese Stund.

Die Liebe hat mein Mark verzehrt

Und alles Blut mir ausgeleert.


3

Ich habe schon so lang und oft

Nach ihm geschrieen und geruft,

Zu ihm gesagt mit tausend Ach:

Um dich, mein Jesu, bin ich schwach.
[143]

4

Nun sterb ich hin, wo er nicht kömmt

Und mich in seine Arme nimmt.

Ach, ach, was ists für große Pein,

Ihn lieben und nicht bei ihm sein.


5

Mein Herz ist aus sich selber hin,

Verlassen hat mich aller Sinn.

Die Seel ist auch schon auf der Bahn,

Weil sie ohn ihn nicht leben kann.


6

Drum geht, ihr Engel, bringts ihm bei,

Daß ich schon halb gestorben sei.

Wo er mich liebt, so komm er doch,

Weil ich den Atem schöpfe noch.


7

Liebkost mich jetzt nicht seine Huld,

So ist er meines Todes Schuld,

Dieweil er selbst oft früh und spat

Zur Liebe mich gereizet hat.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 143-144.
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