Sie beklagt sich, daß sie so lange von ihm muß abwesend sein

[144] 1

Helfer meiner armen Seele,

Tröster in der Trauerhöhle,

Ach, wie ists so große Pein,

Lang und fern von dir zu sein.


2

Schau, ich zähle Tag und Stunden,

Bis ich selig werd entbunden.

Ach, wann endt sich meine Pein,

Daß ich sonder dich muß sein.
[144]

3

Schneid den Lebensfaden abe,

Bring mich heute noch zu Grabe,

Denn es macht mir doch nur Pein,

Wenn ich nicht bei dir soll sein.


4

Laß mich alle Lust genießen,

Laß mich alle Künste wissen.

Wenn ich nicht bei dir soll sein,

So gebiert mir es nur Pein.


5

Laß mich alle Welt verehren,

Musiziern mit tausend Chören.

Alles, alles wird mir Pein

Ohne dich, mein Jesu, sein.


6

Laß hergegen mich zerreißen

Und vom Basilisk erbeißen.

Wenn ich nur bei dir soll sein,

So bedünkt michs keine Pein.


7

Ach, wer hilft mir doch erwerben,

Daß ich schleunig möge sterben!

Daß sich ende meine Pein,

Die ich hab, bei Gott zu sein.


8

Helfer meiner armen Seele,

Tröster in der Trauerhöhle,

Jesu, Jesu, du allein,

Mußt nur meine Hilfe sein.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 144-145.
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