Sie schreit nach dem Kusse seines Mundes

[156] 1

Er küsse mich mit seines Mundes Kuß

Und tränke mich mit seiner Brüste Fluß,

Denn sie schmecken über Wein,

Und sein Mund

Macht zur Stund

Eine Seel voll Freuden sein.


2

Ach, ach, die Lieb ist strenge wie der Tod!

Er küsse mich, der süße Liebesgott.

Denn mein Herze flammt und brennt,

Dürst und lechzt,

Seufzt und ächzt

Und das Leben naht zum End.


3

Wo ist sein Geist, der himmelsüße Tau?

Er laß ihn doch erkühln meins Herzens Au!

Oder nehme vollends hin

Meinen Geist,

Der schon meist

Sich verloren hat in ihn.


4

O Jesu, ists, daß ich dir bin vertraut,

So komm doch her und küsse deine Braut!

Denn dein Kuß, der ists allein,

Den mein Herz

Sucht mit Schmerz

Über Gold und Edelstein.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 156-157.
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