Sie lobt seine Schönheit

[83] 1

Schönester, vor dem sich neiget

Alles, was die Schönheit ehrt,

Dem sich dienstbarlich erzeiget,

Was dem Himmel zugehört!

Deine Liebe reizet mich,

Abermal zu loben dich,

Daß ich muß die Saiten zwingen

Und von deiner Schönheit singen.
[83]

2

Du bist schöner als die Sonne,

Auserlesner als der Mon,

Freudenreicher als die Wonne

Um des Salomonis Thron.

Deines Angesichtes Glanz

Ist, der uns verzücket ganz,

Drum will ich die Saiten zwingen

Und von deiner Schönheit singen.


3

Nun dein Augen zu erheben,

Sag ich, daß sie Himmel sein,

Die mir Kraft und Einfluß geben

Zu der süßen Liebespein.

Sind Kristalle, die den Brand

Deiner Lieb in mich gewandt.

Sind zwei Meere, sind zwei Bronnen,

Sind zwei Spiegel und zwei Sonnen.


4

Mehr sinds Bücher, draus wir lernen

Lauter Zucht und Ehrbarkeit,

Sind meins Herzens Wirbelsterne,

Die ihm zeigen Ort und Zeit.

Sind zwei Feuerkügelein,

Die mir falln ins Herz hinein.

Anmut und die Charitinnen

Haben ihren Sitz darinnen.


5

Deine tausendschönen Wangen

Sind zwei edle Hügelein,

Da mans Morgenrot sieht prangen

Bei dem frühen Tagesschein.[84]

Sind zwei Felder, deren Zier

Unverwelkt bleibt für und für.

Sind zwei Berge, da die Flammen

Und der Schnee bestehn beisammen.


6

Weiter sind sie wie ein Garten

Zu der besten Maienzeit,

Dessen Lilien schönster Arten

Mit viel Purpursaft bespreit.

Sind zwei Rosenhäufelein,

Die mit Milch begossen sein.

Sind zwei Polster, die vor allen

Meiner Seelen wohlgefallen.


7

Soll ich deine Haar abmalen,

Sag ich, daß dieselben sein

Güldne Faden, güldne Strahlen

Und ein güldnes Lustwäldlein.

Äste, voll von Honigseim

Und bewährtem güldnen Leim.

Netze, die mein Herze fangen,

Bande, die ich tu verlangen.


8

Deine Lippen sind Korallen,

Sind zwei Pfosten von Rubin,

Die den Göttern wohlgefallen.

Sind ein Tuch von Kermesin,

Sind zwei Sammetröselein,

Die mein bestes Labsal sein.

Sind zwei Kissen, drauf ich wollte,

Daß mein Mund stets liegen sollte.
[85]

9

Nektar fließt auf deiner Zungen

Und ein angenehme Luft

Kommt durch deinen Mund geklungen,

Wenn mir deine Stimme ruft.

Deine Zähne, die so schön

In der besten Ordnung stehn,

Sind den Perlen überlegen,

Die wir fein zu nennen pflegen.


10

Deine Stirne, der ich diene,

Ist ein Thron von Helfenbein,

Ist der Schönheit offne Bühne,

Da sie will geschauet sein.

Ist der Liebe Hofestadt,

Da sie ihr Gepränge hat.

Ist ein Schild voll güldner Strahlen,

Die kein Maler nach kann malen.


11

Alabaster wird geringe,

Wenn er deinem Halse naht,

Der so schön ist aller Dinge,

Daß er nicht seins Gleichen hat.

Marmelstein verliert den Preis

Und was sonst ist zart und weiß

Gegen deinen schönsten Händen,

Die ich lob an allen Enden.


12

Nun ein solcher, ihr Jungfrauen,

Ist, den meine Seele liebt,

Ohne was kein Mensch kann schauen

Und sein Kuß zu schmecken gibt.

Seines Geistes Süßigkeit,

Die er nach dem Lauf der Zeit[86]

Seiner Psyche ein will gießen,

Kann kein Herz auf Erden wissen.


13

Und darum will ich mein Leben,

Meine Seel und was ich bin,

Ihm von Herzen übergeben.

Ihm soll stets mein Geist und Sinn

Unverrückt sein zugetan,

Soll ihn lieben, was er kann,

Bis ich seinen Mund, den süßen,

Unaufhörlich werde küssen.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 83-87.
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