Sie jagt von sich den Cupido und entblößt ihr Herze dem Jesulein

[89] 1

Cupido, blindes Kind,

Pack dich hinweg geschwind

Mit deinen Narrenpfeilen!

Du sollst mein Herz

Mit deinem Scherz

Nunmehr nicht übereilen.
[89]

2

Ich bin von Jesu wund

Und fühle noch zur Stund

Sein Feuer in mir brennen.

Drum geh nur fort

An deinen Ort,

Du wirst mich nicht errennen.


3

Ich hab dich längst verjagt

Und ernstlich abgesagt,

Ich sag dir nochmal abe.

Denn dich verdringt,

Der mich bezwingt,

Der Bethlemiter Knabe.


4

Ich hab inbrünstig schon

Gehuldigt seinem Thron

Und seine Pfeil geküsset.

Ich häng ihm an,

So viel ich kann,

Ob es dich zwar verdrießet.


5

Dein Pfeil macht ewgen Schmerz,

Zerstöret Sinn und Herz,

Stürzt Leib und Seel zur Höllen.

Sein Pfeil bringt Freud

In Ewigkeit,

Macht uns zu Gotts Gesellen.


6

Du bist verblendt und toll

Und böser Lüste voll,

Ein Herr der Herzensdiebe.

Mein Knab ist rein,

Keusch, sehend, fein,

Ein Gott der wahren Liebe.
[90]

7

Wie blind ist doch die Welt,

Die dir zu Fuße fällt

Und deine Waffen achtet!

Ach, daß sie doch

Nicht nach dem Joch

Des kleinen Jesu trachtet!


8

Gib her dein Giftgeschoß,

Mit dem du pochst so groß,

Die Pfeil und auch den Bogen.

Du bist schon hin

Aus Herz und Sinn,

Wann Jesus eingezogen.


9

Ich bleib nun gänzlich dein,

Huldseligs Jesulein,

Du hochgeliebter Knabe.

Ich liebe dich

Ganz inniglich

Beständig bis zum Grabe.


10

Komm in mein Herz und ruh,

Ich tu dirs auf und zu

Nach deinem liebsten Willen.

Du hasts verwundt,

Machs auch gesund,

Daß sich die Schmerzen stillen.


11

Laß aber deine Pein

Nie gänzlich von mir sein,

Laß deine Pfeile schneiden,

Auf daß mein Herz

Durch diesen Schmerz

Bleib von der Welt gescheiden.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 89-91.
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