Scena 6.

[42] PYRAMUS.

Ach Thisbe, wie thu ich bei dir,

Gar lang du harren must nach mir.

Ich solt wol eh zu dir sein Komn,

So hat mirs doch die noth benomn.

Hie wil ich mich nicht lang verweiln,

Ich wil nun desto besser Eiln,

Damit ich muge Kommen Bald

Zu dir, mein Thisbe, in den wald,

Danach ich den hab gross verlangn.


Vestigia cernit in alto pulvere certa ferae.


Sich, wass furn Thier hat hie gegangn,

Mich dunckt ein lew hab hie gelauffn,

Der hat vielicht dort wollen sauffn.

Ach lieber Godt, wess ist diess Kleidt?

Dass bringt mir Ja gross hertzenleidt.

Ach, hertzen Thisbe, ist es dein?

Soltstu alhie vmbkommen sein?

Woh bistu Thisbe? lass michs wissn.

Han dich die wilden Thier zerrissn?

Ach dass wir nicht zusam sein solln:

Woll hat der Lew hie Sauffen wolln,

Ach ihm gescheh Ja nimmer gut,

Ihn hat gedurst nach Thisben blut.

Ach Thisbe, dies ist Ja dein Kleidt,

Drumb wollen wir hie bleiben beidt.

Weil ich dich habe zerreissen lahn,

So wil es mir nicht wol stehn An,

Dass ich nun solt ihm leben sein.

Die Schult ist doch alleine mein.

Ich hab dich vmb dein leben bracht,

Weil ich befahl, das du zu nacht

Soltst Komn an den gefehrlichn ort.

Ich hab begangen solchen mordt.

Ihr lewn vnd Bären Alzumahl,

Die ihr hie seit in diesem Thall,[42]

Komt vnd zerreist mich alsobalt,

Dass ich Kein gliedmass heil behalt.

Doch furchtsam leut ihnn wundtschn den Todt.

Wie balt Kan ich selbs wendn mein noth

Vnd meine Thisbe an mir rechn,

Mich selbs mit eigner band erstechn?


Tollit velamina Thisbes, et sic ait.


Vnd weil ich Thisben nicht Kan han,

So nim von ihrent wegn du An

Von mir so einen freundlichn Kuss.

Mein Blut dich auch besprengen muss.

Nun segn dich Godt, o vater mein,

Diess sol mein letzstes Ende sein.

Gesegn euch Godt, beid lawb vnd grass,

Sich, Pyrame, hab du dir dass.


Quelle:
Drei deutsche Pyramus-Thisbe-Spiele. Tübingen 1911, S. 42-43.
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