Vierzigste Rune.

[193] Wäinämöinen alt und wahrhaft

Steuert mit dem Boote vorwärts

Von der langen Landzung' Ende,

Aus des armen Dorfes Nähe;

Steuert singend durch die Wogen,

Voller Freude durch die Fluten.


Auf der Landspitz' stehen Mädchen,

Schauen ringsumher und lauschen:

Was für Jubel ist im Meere,

Was für Sang dort auf den Fluten,

Jubel so wie vordem niemals,

Schönrer Sang als je gehört ward?


Steuerte nun Wäinämöinen

Einen Tag durch Landgewässer,

Einen dann durch Sumpfgewässer,

An dem dritten Tag durch Ströme.


Da gedachte Lemminkäinen

Einst gehörter Zauberworte

Für die Näh' des Feuerstromes,

Für des heil'gen Flusses Wirbel;

Redet Worte solcher Weise,

Läßt auf diese Art sich hören:

Stau', o Sturz, dein Überschäumen,

Wasser, dein gewalt'ges Wallen![194]


Stromesjungfrau, Schaumestochter,

Setz' dich auf den Sprudelfelsen,

Laß dich auf dem Steinblock nieder,

Nimm die Wogen in die Arme,

Drück' die Brandung mit den Händen,

Press' den Schaum mit deinen Fäusten,

Daß er auf die Brust nicht spritze,

Nicht die Köpfe uns benetze!


Alte in den Wogen unten,

Die du bei dem Schaume weilest!

Steige schwimmend auf zum Schaume,

Heb' die Brust du auf die Wogen,

Um den Gischt hoch anzuhäufen,

Um die Wellen zu bewachen,

Daß sie nicht den Schuldentblößten,

Nicht den Fehlerfreien stoßen!


Steine in des Flusses Mitte,

Felsen in des Schaumes Wölbung

Mögen ihre Stirne senken,

Ihren Kopf nach unten drücken

Auf der Bahn des roten Bootes,

Auf dem Weg des teer'gen Nachens!


Sollte dies genug nicht scheinen,

Kimmo, du, o Sohn des Kammo!

Bohr' ein Loch mit deinem Bohrer,

Haue du hier eine Öffnung

Mitten durch des Stromes Felsen,

An der bösen Klippe Seite,

Daß das Boot nicht haften bleibe,

Unbeschädigt weiter laufe!


Sollte dies genug nicht scheinen,

Wirt des Wassers in den Fluten,

Mach' zu Moos die starren Steine,[195]

Mach' das Boot zur Hechtesblase,

Wenn es durch die Wogen ziehet,

Durch der Wellen Berge eilet!


Jungfrau an dem Wasserfalle,

Die du in dem Flusse weilest!

Drehe einen weichen Faden

Aus der weichen Flachsesknocke,

Zieh den Faden durch das Wasser,

Durch die Flut den blaugefärbten,

Daß an ihm mein Nachen laufe,

Mit beteerter Wölbung ziehe,

Daß den Weg auch schlichte Männer,

Unerfahrne selbst ihn finden.


Melatar, du Weib voll Milde!

Nimm dein Steuer, Wohlgesinnte,

Womit du den Nachen lenkest,

Durch die Zauberfluten eilest,

An der Mißgunst Haus vorüber,

An der Zauberkünstler Fenster!


Sollte das genug nicht scheinen,

Ukko, du, o Gott im Himmel!

Lenk' das Boot du mit dem Schwerte,

Lenk' es mit der blanken Klinge,

Daß der Plankennachen laufe,

Daß das fichtne Fahrzeug eile!


Selbst der alte Wäinämöinen

Steuerte die Wogen teilend,

Steuerte durch Felsenspalten,

Durch den Schaum voll wilden Brausens,

Hängen blieb dort nicht der Nachen,

Stecken nicht das Boot des Kund'gen.[196]


Erst als es danach gekommen

In die weitgedehnten Wasser,

Blieb das Boot im Laufe stecken,

Hielt der Nachen ein im Eilen;

Haftet fest auf einer Stelle,

Kann vom Fleck sich nicht bewegen.


Selbst der Schmieder Ilmarinen,

Lemminkäinen auch, der Muntre,

Stoßen in das Meer das Ruder,

In die Flut die Fichtenstange,

Suchen eifrig zu befreien

Ihren festgefahrnen Nachen;

Doch das Boot will sich nicht regen,

Frei kommt nicht der Plankennachen.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Redet Worte solcher Weise:

O du muntrer Lemminkäinen,

Bücke dich um nachzuschauen,

Worauf denn das Boot wohl haftet,

Worauf unser Nachen stecket

In den weitgedehnten Fluten,

In den überstillen Tiefen,

Ob auf Klippen oder Stämmen

Ob auf einer andern Hemmnis.


Lemminkäinen leichtgemutet

Wendet sich um nachzuschauen,

Schauet unterhalb des Bootes,

Redet Worte solcher Weise:

Sitzet nicht auf einer Klippe,

Einer Klippe, einem Stamme;

Auf der Schulter eines Hechtes,

Auf des Wasserhundes Hüftbein.[197]


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Redet Worte solcher Weise:

Alles findet man im Wasser,

Stämme sind drin und auch Hechte;

Halten wir auf Hechtes Rücken,

Auf des Wasserhundes Hüftbein,

Fahre mit dem Schwert ins Wasser,

Schlage du den Fisch in Stücke!


Lemminkäinen leichtgemutet,

Dieser Schelm mit roten Wangen,

Zog die Klinge aus dem Gurte,

Von der Hüft' den Knochenbeißer,

Fuhr ins Wasser mit der Klinge,

Hieb hinab am Rand des Bootes,

Stürzte selber in das Wasser,

Fuhr ins Meer mit seinen Fäusten.


Faßte nun Schmied Ilmarinen

Bei den Haaren diesen Helden,

Hob den Mann aus Meeresfluten,

Redet selber diese Worte:

Alle sind gemacht zu Männern,

Sind gemacht zu Bartesträgern,

Daß erfüllt ein Hundert werde,

Voll ein Tausend sich gestalte.


Zog das Schwert aus seinem Gurte,

Aus der Scheid' das wilde Eisen,

Daß den Fisch er jetzt zerhaue,

Schlug hinab am Rand des Bootes;

Doch in Stücke sprang die Klinge,

Ohne daß der Hecht was merkte.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Redet Worte solcher Weise:[198]

Nicht seid ihr des Mannes Hälfte,

Nicht das Drittel eines Helden;

Kommt Bedürfnis nach dem Manne,

Hat des Mannes Sinn man nötig,

Ist der Sinn recht unbeträchtlich,

Alle Einsicht ist verschwunden.


Selber zieht er seine Klinge,

Greift er nach dem scharfen Eisen,

Stößt die Klinge in die Fluten,

An des Bootes Rand zum Grunde,

In des Hechtes breiten Rücken,

In des Wasserhundes Rippen.


Stecken bleibt das Schwert, das starke,

Haftet in des Fisches Rachen;

Wäinämöinen alt und wahrhaft

Zieht den Fisch nun in die Höhe,

Zieht den Hecht hoch aus dem Wasser:

In zwei Stücke bricht der Hecht da,

In die Tiefe stürzt der Fischschweif

Und der Kopf fällt in den Nachen.


Wieder kann das Fahrzeug laufen,

Kommt das Boot von seiner Stelle;

Wäinämöinen alt und wahrhaft

Lenkt das Boot zu einer Insel,

Treibt es eilig hin zum Strande,

Dann beschaut von allen Seiten

Er den großen Kopf des Hechtes,

Selber spricht er diese Worte:

Wer der älteste der Jungen,

Soll den Hecht hier mir zerspalten,

Soll den Fisch in Scheiben schneiden,

Soll den Kopf in Stücke schlagen![199]


Sprachen aus dem Boot die Männer,

Von dem Borde so die Weiber:

Holder sind des Fängers Hände,

Heiliger sind seine Finger.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Holt das Messer aus der Scheide,

Von der Hüft' das kalte Eisen,

Daß den Hecht er damit spalte,

Diesen Fisch in Stücke schneide,

Selber spricht er diese Worte:

Wer die jüngste von den Jungfraun,

Soll den Hecht hier für mich kochen,

Mir zu einem Frühstücksbissen,

Mir zu einem schönen Schmause!


Kochen gingen nun die Jungfraun,

Ihrer zehn wohl um die Wette;

So nun ward der Hecht gekochet

Zu den Bissen eines Mahles,

Auf der Klippe blieben Knochen,

Fischesgräten auf dem Felsen.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Blickte hin auf diese Gräten,

Sah sie an von allen Seiten,

Redet Worte solcher Weise:

Was wohl könnte hieraus werden,

Aus den Zähnen dieses Hechtes,

Aus den weitgestreckten Kiefern,

Wär'n sie in des Schmiedes Essen

Bei dem kund'gen Hämmerkünstler,

In der Hand des klugen Mannes?


Sprach der Schmieder Ilmarinen:

Nichts kann aus dem Nutzenlosen,[200]

Aus des Fisches Gräten werden,

Gar nichts in des Schmiedes Esse,

Bei dem kund'gen Hämmerkünstler,

In der Hand des klugen Mannes.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Redet selber diese Worte:

Dennoch kann aus diesen Gräten

Eine Kantele entstehen,

Wenn der Kundige sich findet,

Draus ein Saitenspiel zu formen.


Da kein anderer sich zeigte,

Da kein Kundiger hervortrat,

Draus ein Saitenspiel zu formen,

Ging der alte Wäinämöinen

Selber nun an das Gestalten,

Machte selbst er sich zum Künstler;

Formt' ein Saitenspiel aus Gräten,

Formt' ein Werkzeug ew'ger Freude.


Woher nahm er wohl den Boden?

Aus des großen Hechtes Kiefer.

Woraus machte er die Wirbel?

Aus des großen Hechtes Zähnen.

Und woraus sind denn die Saiten?

Aus dem Haar des Hiisi-Wallachs.


War das Saitenspiel bereitet,

War Schön-Kantele nun fertig,

Aus des Hechtes Gräten ward sie,

Aus den Flossen sie gestaltet.


Kamen nun die jungen Männer,

Kamen die beweibten Helden,

Kamen halberwachsne Knaben,

Kamen auch die kleinen Mädchen,[201]

Jungfraun kamen, alte Weiber,

Kamen Frauen mittlern Alters,

Um die Kantele zu sehen,

Um das Saitenspiel zu schauen.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Ließ die Jungen, ließ die Alten,

Ließ die Leute mittler Jahre

Mit den Fingern munter spielen

Auf dem Sanggerät aus Gräten,

Auf der Kantele aus Fischbein.


Spielten Junge, spielten Alte,

Spielten Leute mittler Jahre;

Junge spielten, Finger sprangen,

Alte übten, Köpfe wankten,

Freude wollte nicht entstehen,

Frohes Spiel sich nicht erheben.


Sprach der muntre Lemminkäinen:

O ihr Kinder halber Einsicht,

O ihr Mädchen stumpf von Sinnen,

Und du andres Volk voll Jammer!

Nicht verstehet ihr zu spielen,

Ordentlich nicht vorzutragen;

Gebet mir die gute Harfe,

Tragt Schön-Kantele herüber,

Stellt sie her auf meine Kniee,

An die Spitzen meiner Finger!


Hat der muntre Lemminkäinen

Nun die Kantele in Händen,

Hat vor sich das Freudenwerkzeug,

Hält es unter seinen Fingern;

Rückt zurecht das Saitenspiel dann,

Wendet es nach allen Seiten,[202]

Doch nicht tönen will die Harfe,

Will nicht Freude von sich geben.


Sprach der alte Wäinämöinen:

Nicht ist bei den jungen Leuten,

In dem wachsenden Geschlechte,

Auch nicht bei den alten Leuten,

Wer auf dieser Harfe spielen,

Freude aus ihr wecken könnte;

Sollte Pohjola wohl besser

Auf der Harfe spielen können,

Daraus Freudenklänge wecken,

Wenn ich sie nach Pohja brächte?


Bracht' die Harfe nach Pohjola,

Führte sie nach Sariola;

Spielten Knaben in Pohjola,

Spielten Knaben, spielten Mädchen,

Spielten auch beweibte Männer,

Spielten Frauen, die verehlicht,

Spielte selbst die alte Wirtin,

Dreht' und wendete die Harfe,

Faßte fest sie mit den Fingern,

Hielt sie mit den Fingerspitzen.


Spielten Knaben in Pohjola,

Spielten Leute jeder Gattung,

Nicht zu merken war dort Freude,

Keine Melodie im Spiele;

Ganz verwickelt war'n die Saiten,

Elend wimmerten die Haare

Hart erklangen alle Töne,

Greulich war das Spiel der Harfe.


Schlief ein Blinder in dem Winkel,

Auf dem Ofen dieser Alte,[203]

Wachte auf dort auf dem Ofen,

Fuhr empor von seiner Schlafstatt,

Knurrte so auf seinem Sitze,

Murmelte in seinem Winkel:

Höret auf und laßt das Spielen,

Macht dem Lärmen nun ein Ende!

Bläst mir Löcher in die Ohren,

Sprenget mir den Kopf in Stücke,

Gehet mir durch alle Haare

Und entführt den Schlaf auf lange!


Bringt des Suomivolkes Harfe

Nicht zum Vorschein wahre Freude,

Lockt sie nicht zu süßem Schlummer,

Nicht zu angenehmem Schlafe,

O, so werft sie in das Wasser,

Senkt sie in des Meeres Fluten;

Oder traget sie zurücke,

Bringt das Saitenspiel hinüber

In die Hände, die es schufen,

Zu den Fingern, die es fügten!


Schnell entgegnen da die Saiten,

Tönt die Kantele zur Antwort:

Will nicht in das Wasser gehen,

In die Fluten niedersinken,

Bei dem Spielmann will ich klingen,

In des Meisters Hand erschallen.


Ward die Harfe nun bedächtig,

Ward gar vorsichtig getragen

In die Hand, die sie gebildet,

Auf die Kniee ihres Schöpfers.

Quelle:
Kalewala. 2 Bände, Berlin [o.J.], Band 2, S. 193-204.
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