Zweiunddreißigste Rune.

[101] Kullerwo, der Sohn Kalerwos,

Er, der Sohn mit blauen Strümpfen,

Mit den schönen gelben Locken,

Mit den Schuhn aus feinem Leder,

Heischte gleich im Haus des Schmiedes,

An dem Abend schon vom Wirte

Arbeit für denselben Abend,

Von der Wirtin für den Morgen:

Nennen soll man mir die Arbeit,

Soll ihr einen Namen geben,

Welche Arbeit soll ich leisten,

Welchem Werk mich unterziehen?


Schmieder Ilmarinens Hausfrau

Übersann es drauf im stillen,

Welche Arbeit leisten sollte

Der für Geld gekaufte Diener;

Ließ den Knecht als Hirten dienen,

Macht' ihn zu der Herde Hüter.


Doch die übermüt'ge Wirtin,

Die zu Spott geneigte Schmiedsfrau,

Bäckt ein Brot für ihren Hirten,

Gibt dem Brote große Dicke,

Hafer unten, Weizen oben,

Einen Stein legt sie dazwischen.[102]


Streicht das Brot mit flüss'ger Butter,

Streicht mit Fett des Brotes Rinde,

Gibt es darauf ihrem Knechte,

Gibt's als Nahrung ihrem Hirten;

Selbst belehrt sie so den Diener,

Redet Worte solcher Weise:

Sollst dies Brot nicht eher essen,

Als die Herd' zum Wald getrieben!


Ilmarinens Hausfrau sendet

Drauf die Herde auf die Weide,

Redet Worte solcher Weise,

Läßt auf diese Art sich hören:

In die Schwende schick' die Küh' ich,

Sie, die weiße Milch uns spenden,

Zu den Espen die Gehörnten,

Zu den Birken hin die Rinder;

Daß sie Fett von dort sich holen,

Daß sie reichen Talg erlangen

Von dem offnen Land am Haine,

Von der weiten Waldeslichtung,

Aus dem hohen Birkenholze,

Aus den niedern Espenbüschen,

Aus den goldnen Tannenhainen,

Aus der silberhellen Wildnis.


Hüte sie, holder Jumala,

Schütze sie, o starker Schöpfer,

Schütze vor des Schadens Pfaden,

Schirme sie vor jedem Übel,

Daß sie nicht in Drangsal kommen,

Daß sie Schande nicht erleiden!


Wie im Haus du sie gehütet,

In der Hürde sie geschützet,

Also hüte sie im Freien,[103]

Schütz' sie außerhalb der Hürde,

Daß die Herde schön gerate,

Daß der Wirtin Vieh gedeihe

Nach des Gutgesinnten Willen,

Gegen den des Bösgesinnten!


Scheinen schlecht dir meine Hirten,

Schlimm dir meine Hirtenmädchen,

Mach' die Weide dann zum Hirten,

Erlen zu der Kühe Hütern,

Ebereschen ihr zu Wärtern,

Laß den Faulbaum sie geleiten,

Eh' nach ihr die Wirtin suchet

Und das andre Volk sich ängstigt!


Will die Weide sie nicht hüten,

Nicht die Eberesche warten,

Nicht die Erl' die Kühe treiben,

Nicht der Faulbaum sie geleiten,

O, dann sende beßre Leute,

Laß der Schöpfung schöne Töchter

Meines Viehes du dann warten,

Sie die ganze Herde schützen!

Hast der Mädchen ja gar viele,

Hunderte, die dir gehorchen,

In der Lüfte Räumen leben,

Sie, die guten Schöpfungstöchter.


Suwetar, du Auserlesne,

Etelätär, Schöpfungsalte,

Hongatar, du gute Wirtin,

Katajatar, schöne Jungfrau,

Pihlajatar, kleines Mädchen,

Tuometar, Tapios Tochter,

Mielikki, du Schnur des Waldes,

Tellerwo, du Maid Tapios![104]


Hütet ihr mir meine Herden

Und besorget meine Prächt'gen,

In dem Sommer voller Sorgfalt,

In der Laubzeit voller Güte,

Während Laub am Baume rauschet,

Gräser sich am Boden wiegen.


Suwetar, du Auserlesne,

Etelätär, Schöpfungsalte,

Breite aus die weichen Säume,

Lege hin die Linnenschürze,

Meine Herde zu bedecken,

Meine Kleinen zu beschirmen,

Daß kein böser Wind sie störe,

Sie nicht von dem Regen leiden.


Hüt' vor Unglück meine Herde,

Schirm' sie vor des Übels Pfaden,

Vor den bodenlosen Sümpfen,

Vor den sprudelreichen Quellen,

Vor den schwankenden Morästen,

Vor den tiefen Schlammesgruben,

Daß sie nicht in Drangsal komme,

Daß sie Schande nicht erleide,

Daß kein Huf in Sumpf versinke,

Keiner im Morast ausgleite

Gegen Gottes hohen Willen,

Gegen des Glücksel'gen Ratschluß!


Hol' ein Hirtenhorn von weitem,

Hol' es von des Himmels Nabel,

Bring ein Honighorn vom Himmel,

Ein gar süßes von der Erde!

Blase mächtig mit dem Horne,

Laß das klangreiche erschallen,

Blase, daß die Hügel blühen,[105]

Daß die Fluren schöner wachsen,

Daß in Liebreiz sich die Haine,

Wälder sich in Anmut kleiden,

Daß aus allen Sümpfen Honig,

Würze aus den Quellen ströme!


Gib dann Nahrung meiner Herde,

Sätt'ge meine lieben Rinder,

Nähr' sie mit der Honigspeise,

Tränk' sie mit dem Honigtranke!

Nähre sie mit goldnem Heue,

Mit des Silbergrases Spitzen,

Von den sanftbewegten Quellen,

Von den starkbewegten Strudeln,

Von den wilden Wasserfällen,

Von den Flüssen schnellen Laufes,

Von den goldbeglänzten Hügeln,

Von den silberhellen Hainen!


Grabe du auch goldne Brunnen

An der Weide beiden Seiten,

Daß die Herde Wasser trinke,

Daß der Honig rieseln möge

In die aufgeblähten Euter,

In die strotzend vollen Brüste,

Daß die Adern kräftig schwellen,

Daß die Milch in Flüssen fließe,

Bäche sich von Milch ergießen,

Milch in Strömen mutig schäume,

Milch in Fällen mächtig brause,

Durch die Gänge fleißig sprudle,

Jederzeit sich auszuschenken,

Jedesmal zu überströmen,

Allem Übelsinn zum Trotze

Und vorbei den Zauberfingern,[106]

Daß die Milch nicht nach Manala,

Nicht zugrund die Gabe gehe!


Viele gibt es und gar böse,

Die die Milch zu Mana führen,

Die der Herde Gab' vernichten,

Die der Kühe Spend' entführen;

Wenig sind es, aber Gute,

Die die Milch zurück von Mana,

Saure Milch zurück vom Dorfe,

Frische anderswoher holen.


Niemals je hat meine Mutter

In dem Dorfe Rat gesuchet,

Weisheit nicht in andern Höfen;

Holte sich die Milch von Mana,

Saure Milch von den Verwahrern,

Frische Milch sie her von andern;

Ließ von dort die gute Gabe,

Sie aus weiter Ferne kommen,

Kommen aus dem Reich Tuonis,

Aus Manala, aus der Erde,

Einsam in der Nacht sie kommen,

Heimlich in dem Dunkel kommen,

Daß es nicht die Schlechten hörten,

Nicht die Taugenichtse merkten,

Daß nicht Mißgunst sie beträfe,

Nicht der böse Neid ereilte.


Also sprach stets meine Mutter,

Selber sprech' auch ich die Worte:

Wohin geht der Kühe Gabe,

Wohin ist die Milch geschwunden;

Ist zu Fremden sie getragen,

In des Dorfes Höf' gebannet,

In den Schoß der Dorfesbuhlen,[107]

In den Arm der Übelwill'gen,

Oder an die Bäum' geraten,

Zu dem Walde hin geschwunden,

In dem Haine ausgebreitet,

Auf den Fluren ausgegossen?


Nicht nach Mana soll sie eilen,

In die Fremd' der Kühe Gabe,

In den Schoß der Dorfesbuhlen,

In den Arm der Übelwill'gen,

Auch an Bäume nicht geraten,

Nicht soll sie zum Walde schwinden,

Ausgebreitet sein im Haine,

Auf den Fluren ausgegossen;

Ist zu Hause selbst vonnöten,

Jederzeit wird sie gebrauchet,

In dem Hause harrt die Wirtin

Mit dem Milchgefäß in Händen.


Suwetar, du Auserlesne,

Etelätär, Schöpfungsalte,

Geh' und füttre nun Syötikki,

Gib zu trinken der Juotikki,

Milch in Fülle der Hermikki,

Neuen Vorrat der Tuorikki,

Milch verleihe der Mairikki,

Frische Milch du der Omena,

Aus des hellen Grases Spitzen,

Aus den schönen Schmielengräsern,

Aus der üpp'gen Muttererde,

Aus den honigreichen Wiesen,

Von dem würzig süßen Rasen,

Von dem beerenreichen Boden,

Durch der Heide Blumenjungfraun,

Durch die zarten Grasesjungfraun,[108]

Durch der Wolke Milchverleih'rin,

Durch des Himmels Nabeljungfrau,

Daß sie milchgefüllte Euter,

Stets gar angeschwollne tragen,

Für das kurze Weib zu melken,

Für die kleine Magd zu drücken!


Steige, Jungfrau, aus dem Tale,

Aus dem Sumpf mit weichem Saume,

Aus dem Quell, du mildes Mädchen,

Schöngestaltet aus dem Schlamme!

Nimm du Wasser aus der Quelle,

Meine Herde zu befeuchten,

Daß die Herde schön gerate,

Daß der Wirtin Vieh gedeihe,

Ehe noch die Wirtin kommet,

Ehe noch die Hirtin schauet,

Sie, die ungeschickte Wirtin,

Sie, die ganz verzagte Hirtin.


Mielikki, des Waldes Wirtin,

Gabenreiche Herdenmutter!

Schick' die längsten deiner Mägde,

Deiner Dienerinnen beste,

Daß die Herde sie behüten,

Nach dem Vieh voll Sorfalt schauen

In der großen Zeit des Sommers,

In des Schöpfers warmer Jahrzeit,

Die uns Jumala verliehen,

Gnadenvoll er uns gegeben!


Tellerwo, Tapios Jungfrau,

Waldestochter, üpp'gen Wuchses,

Weichbekleidet, zarten Saumes,

Schön mit goldgelockten Haaren,

Die die Herde du beschützest,[109]

Sorge für das Vieh der Wirtin

In dem freundlichen Metsola,

In dem wachen Tapiola,

Hüte meine Herde trefflich,

Sorge kräftig für die Rinder!


Hüte sie mit schönen Händen,

Streichle sie mit zarten Fingern,

Bürst' sie zu dem Glanz des Luchses,

Kämm' sie glatt wie Fischesflossen,

Mach' ihr Fell wie das des Seehunds,

Wie des wilden Schafes Wolle!

Kommt der Abend, naht das Dunkel,

Zieht die Dämmerung hernieder,

Führ' die Herde mir nach Hause

Vor der guten Wirtin Augen,

Schwankes Wasser auf dem Rücken,

Auf dem Kreuze milch'ge Seen!


Wenn die Sonne heimwärts wandert,

Wenn der Abendvogel singet,

Rede selbst zu meinem Viehe,

Sprich du zu den Hörnerträgern:

Nun nach Haus, ihr Krummgehörnten,

Milchbegabte, eilet heimwärts!

Gut ist's euch, zu Haus zu weilen,

Weich der Boden dort zum Schlafen,

Grausig ist's im Wald zu schweifen,

An dem Strande hinzutoben;

Damit ihr nach Hause kommet,

Werden Weiber Feuer machen

Auf dem honigreichen Rasen,

Auf dem beerenreichen Lande.


Nyyrikki, du Sohn Tapios,

Waldessohn im blauen Rocke![110]

Stelle lange Tannenstämme,

Fichten mit dem breiten Wipfel

Du als Brücken in dem Schmutze,

Auf des Bodens schlechten Stellen,

In des Sumpfes flüss'gen Strecken,

In den schwankenden Morästen!

Laß die Krummgehörnten gehen,

Laß die Doppelhuf'gen schreiten,

Eilen zu des Rauches Wolken,

Ohne Fehl und ohne Schaden,

Ohne in den Sumpf zu sinken,

Ohne in den Schmutz zu fallen!


Wenn die Herde drauf nicht achtet,

Nicht des Nachts nach Hause wandert,

Pihlajatar, kleines Mädchen,

Katajatar, schöne Jungfrau,

Schneid' ein Birkenreis im Haine,

Eine Rute in dem Busche,

Eine Ebereschengerte,

Eine Peitsche von Wacholder

Hinter Tapios grünem Schlosse,

Jenseits von dem Faulbaumberge,

Treib die Herde nach dem Hofe,

Zu der Heizungszeit der Badstub',

Treib des Hauses Herd' nach Hause,

Waldes Herde nach Metsola!


Bärlein du, des Waldes Apfel,

Der die Honigtatze wölbet!

Laß uns gütlich uns vergleichen!

Laß uns einen Frieden schließen

Für die ganze Zeit des Lebens,

Ja, für alle unsre Tage,

Daß du nicht behufte Rinder,[111]

Nicht die Milchkuhscharen stürzest

In der großen Zeit des Sommers,

In des Schöpfers warmer Jahrzeit.


Hörest du des Glöckchens Töne,

Hörst die Klänge du des Hornes,

Lege dich dann auf die Wiese,

Bette dich dann auf dem Rasen,

Steck' die Ohren in die Stoppeln,

Deinen Kopf drück' in die Bühle,

Oder fliehe in das Dickicht,

Gehe nach der Moosbehausung,

Fort nach andern Landesstrecken,

Laufe dann zu andern Hügeln,

Daß du nicht das Glöckchen hörest,

Nicht der Hirten Unterredung!


Höre, Bärlein, du mein Teurer,

Schöner mit den Honigtatzen!

Nicht verbiet' ich dir zu schweifen

Und der Herde dich zu nähern,

Nur zu schnappen mit der Zunge,

Mit dem bösen Mund zu greifen,

Mit den Zähnen zu zerreißen,

Mit den Tatzen sie zu packen.


Geh im Bogen um die Weide,

Schleiche um die milch'gen Fluren,

Fern du von der Glocke Tönen,

Abseits von des Hirten Stimme!

Ist die Herde auf den Fluren,

Sollst zum Sumpf du dich begeben,

Rauschet durch den Sumpf die Herde,

Sollst du nach dem Dickicht fliehen,

Geht die Herde auf dem Berge,

Schreite zu dem Fuß des Berges,[112]

Geht die Herd' am Berge unten,

Magst du auf dem Berge gehen,

Zieht die Herde nach dem Felde,

Mache du dich auf zum Busche,

Geht die Herde in dem Busche,

Mögest du zum Felde ziehen!

Wandre gleich dem goldnen Kuckuck,

Gleich dem silbergrauen Täubchen,

Gleich dem Schnäpel rück' zur Seite,

Gleite wie der Fisch im Wasser,

Fliege wie ein Flöckchen Wolle,

Wie ein Büschel leichten Flachses;

Birg die Klauen in den Haaren,

In dem Zahnfleisch du die Zähne,

Daß die Herde nicht erschrecke,

Daß dem kleinen Vieh nicht bange!


Laß die Rinder du in Ruhe,

Die Behuften du in Frieden,

Laß die Herde sicher wandern,

Voller Ordnung vorwärts schreiten

Durch die Sümpfe, durch die Felder,

Durch des Waldes Flurenstrecken,

Ohne je sie anzurühren,

Ohne je dich zu vergreifen!


Denke an die alten Schwüre

An dem Strome von Tuonela,

An dem jähen Wasserfalle,

Vor den Knien des höchsten Schöpfers:

Urlaub ward dir dort gewähret,

Dreimal in dem Lauf des Sommers

Dem Getön zu nahn der Glöckchen,

Dem Bereich des Schellenklanges,

Aber nicht ward dir gestattet,[113]

Urlaub ward dir nicht gewähret,

Böse Handlung zu beginnen,

Dich der Schandtat zu ergeben.


Sollt' dich Bosheit überkommen,

Deine Zähne Lust verspüren,

Wirf die Bosheit in den Laubwald,

Dein Gelüste an die Föhren!

Haue du in faule Bäume,

In der Birken morsche Stämme,

Krümme Zweige überm Wasser,

Wühl' in weichen Beerenhügeln!


Hast Verlangen du nach Nahrung,

Trägst nach Speise du Begierde,

Friß dann Schwämme in dem Walde,

Mach' dich an der Ameis' Haufen,

Raffe roter Stengel Wurzeln,

Honigbissen von Metsola,

Nur nicht meine Nahrungskräuter,

Nur nicht meine Lebensgräser!


Fängt Metsolas Honigkufe

Schon mit Zischen an zu gähren

Auf den goldbeglänzten Hügeln,

Auf den silberhellen Bergen;

Dort ist Speise für den Gier'gen,

Dort Getränke für den Durst'gen,

Ohne daß die Nahrung ausgeht,

Ohne daß der Trank verschwindet.


Laß uns denn uns so vergleichen,

Einen ew'gen Frieden schließen,

Daß wir gar vergnüglich leben

Und gar schön im ganzen Sommer,

Beider ist das Land gemeinsam,

Doch die Wegkost ist verschieden.[114]


Hast du aber Lust zu kämpfen,

Willst nach Krieges Art du leben,

Wollen wir im Winter kämpfen,

Zu der Schneezeit wir uns schlagen!

Kommt der Sommer, tau'n die Sümpfe,

Werden wärmer schon die Quellen,

Sollst du nicht mehr hieher nahen,

Wo die goldne Herde hörbar!


Kommest du zu diesem Lande,

Näherst du dich diesen Hainen,

Werden wir beständig schießen;

Sind die Schützen nicht zu Hause,

Haben wir gar kund'ge Weiber,

Stets im Hause auch die Wirtin,

Daß sie dir den Weg verderbe,

Hemmnis deinem Pfad bereite,

Daß du keinen Schaden übest,

Gierig niemals dich vergreifest

Gegen Gottes hohen Willen,

Gegen des Glücksel'gen Ratschluß.


Ukko, du, o Gott der Höhe!

Hörst du, daß es wirklich Ernst wird,

Dann verwandle meine Kühe

Und verzaubre meine Herde,

Meine Lieben mach' zu Steinen,

Meine Teuren du zu Stämmen,

Schreitet durch das Land der Unhold,

Wandert dort einher der Klumpen.


Wäre ich ein Bär geworden,

Lebte ich als Honigtatze,

Würd' ich nimmer also hausen

Vor den Füßen alter Weiber;

Anderswo auch gibt es Strecken,[115]

Weiter auch noch gibt es Hürden,

Für den Müß'gen zu durchwandern,

Für den Faulen zu durcheilen,

Gehe wund du deine Tatzen,

Daß der Waden Fleisch verschwinde,

In des blauen Haines Tiefe,

In den Schoß der schönen Waldung.


Kannst durch Zapfenheiden wandern,

Kannst durch Sand gar lustig rauschen,

Ist ein Weg für dich gebahnet

An dem Meeresstrand zu gehen

Zu des Nordlands weiten Grenzen,

Zu des Lappenlandes Strecken;

Dort ist's wonnig dir zu leben,

Angenehm dir dort zu weilen,

Sommers ohne Schuh' zu wandern,

Ohne Socken in dem Herbste

Auf dem weiten Sumpfesrücken,

Auf den breiten Mooresgründen.


Magst du dich nicht dorthin wenden

Oder kannst den Weg nicht finden,

Lauf auf einer andern Straße,

Schreite hastig auf dem Pfade

Zu dem Haine von Tuonela

Oder zu den Fluren Kalmas!

Sümpfe gibt es dort zu treten,

Heideland dort zum Ergehen,

Dort sind Kirjos, dort sind Karjos,

Dort sind viele andre Rinder

Mit den eisenfesten Riemen,

Mit zehn Fesseln für die Hälse,

Fett erhalten dort die Magern,

Fleischig werden dort die Knochen.[116]


Seid mir gnädig, Hain und Waldung,

Huldreich sei mir, blaue Wildnis,

Gebet Ruhe meinen Rindern,

Frieden der behuften Herde

In der großen Zeit des Sommers,

In des Herren heißer Jahrzeit!


Kuippana, des Waldes König,

Du, des Waldes froher Graubart,

Halt' beisammen deine Hunde,

Zähme deine jungen Kläffer!

Steck' ein Schwämmchen in ein Nasloch,

Eine Eichel in das andre,

Daß sie nicht die Pferde wittern,

Den Geruch des Viehs nicht spüren!

Bind die Augen du mit Seide,

Schließ die Ohren du mit Binden,

Daß sie nicht die Wandrer hören,

Nicht die Schreitenden erblicken!


Sollte das noch nicht genügen,

Sollten dies sie nicht beachten,

Scheuche fort dann deine Kinder,

Treibe deine Brut von dannen;

Laß sie ziehn aus diesen Hainen,

Fort von diesen Ufern eilen,

Von den schmalen Weidestrecken,

Von den weitgedehnten Rändern!

Birg in Höhlen deine Hunde,

Binde fest die muntern Kläffer

Mit den goldgeschmückten Fesseln,

Mit den silberreichen Riemen,

Daß sie keinen Frevel üben,

Keiner Schandtat sich ergeben![117]


Sollte das noch nicht genügen,

Sollten darauf sie nicht achten,

Ukko, du, o goldner König,

Du, o Herrscher, silberstrahlend,

Höre meine goldnen Worte,

Meine herzgeborne Rede!

Leg' ein Ebereschenbändlein

Um die abgestumpfte Schnauze,

Sollte dieses Band nicht halten,

Gieße dann ein Band aus Kupfer,

Sollte Kupfer stark nicht scheinen,

Schmiede dann ein Band aus Eisen!

Sollt' das Eisenband zerreißen,

Sollte dieses selbst verderben,

Stoße eine goldne Stange

Durch das Kinn und durch den Kiefer;

Fest mußt du die Enden schlagen,

Mußt sie auf das beste klopfen,

Daß die Backen sich nicht rühren,

Nicht die Zähne sich bewegen,

Wenn das Eisen sich nicht löset,

Mit dem Stahl nicht wird zerteilet,

Mit dem Messer nicht verletzet,

Mit dem Beile nicht gesprenget!


Ilmarinens Wirtin sandte,

Sie, die kluge Frau des Schmiedes,

Aus dem Stalle dann die Kühe,

Ließ die Herde auf die Weide,

Stellt dahinter dann den Hirten,

Daß der Knecht die Kühe treibe.

Quelle:
Kalewala. 2 Bände, Berlin [o.J.], Band 2, S. 101-118.
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