Die Nialsöhne in Norwegen.

[123] In demselben Sommer, als die Nialsöhne nach Drontheim kamen, besuchte der Jarl Hakon seinen Freund Gudbrand im Thal. Dieser hatte vor drei Wintern einen Isländer namens Hrap aufgenommen, der wegen eines Mordes von Island geflohen war. Hrap aber hatte seine Tochter Gudrun bethört und seinen Werkführer Asvard erschlagen, welcher den Auftrag hatte, heimliche Zusammenkünfte zwischen ihm und Gudrun zu verhindern. Gudbrand hatte sich an Hrap zu rächen gesucht, konnte ihn aber niemals in seine Gewalt bekommen, so daß er endlich dem Jarl seine Noth klagte, und dieser hatte Hrap für vogelfrei erklärt und einen Preis auf seinen Kopf gesetzt. Während nun der Jarl Gudbrand's Gast war, kam Hrap zur Nachtzeit zu einem Tempel, den Gudbrand gemeinschaftlich mit dem Jarl besaß. Er betrat denselben und beraubte Thor, Thorgjerde Höldabrud[123] und Irpa, deren Bildsäulen dort standen, ihrer goldenen Ringe und ihres übrigen Schmucks, darauf schleppte er die Altarbilder hinaus und zündete das Gebäude an. Als er bei seiner Flucht über einen Acker kam, sprangen ihm sechs Männer entgegen, er aber erschlug drei von ihnen, verwundete den vierten tödlich und jagte die übrigen in den Wald. Vier von den Mannen des Jarl's kamen zur Stätte, wo die Erschlagenen lagen und brachten nun dem Jarl die Kunde, was Hrap gethan hatte. Der Jarl vermuthete sogleich, daß er auch den Tempel angezündet habe, und suchte daher nach ihm mit vielen Männern. Allein Hrap entkam und eilte nach Hlade. Dort lagen sowohl Thraen's wie auch der Nialsöhne Schiffe zur Ausfahrt bereit im Hafen, und Hrap wandte sich zuerst an die Nialsöhne, die am Ufer standen und bat sie, ihn zu verbergen. Aber Helge sah manchmal mehr als andre Menschen; »Du bist ein Unglücksvogel,« sagte er zu Hrap, »und übel wird es dem ergehen, der Dich aufnimmt.« »Möge Euch alles Böse treffen um meinetwillen,« erwiderte Hrap und eilte zu Thraen. »Es ziemt sich kaum für mich,« sagte Thraen, »Dich aufzunehmen, da der Jarl mir so viele Wohlthaten erwiesen hat.« Da zeigte ihm Hrap alle Kostbarkeiten, die er aus dem Tempel geraubt hatte und wollte sie ihm schenken, indessen Thraen wollte sie nicht annehmen, ohne sie mit Geld zu bezahlen. »Dann werde ich hier stehen bleiben und mich vor Deinen Augen erschlagen lassen,« sprach Hrap. In diesem Augenblick sahen sie den Jarl mit seinen Mannen herankommen. Da ruderte Thraen in einem Boote mit Hrap nach seinem Schiffe und verbarg ihn dort. Der Jarl ging zuerst zu den Nialsöhnen und fragte sie, ob Hrap bei ihnen gewesen wäre. Sie bejahten es, als er aber weiter fragte, wohin sich Hrap gewendet habe, erwiderten sie, sie wüßten es nicht. Der Jarl entfernte sich von ihnen, aber der Sicherheit wegen ruderten sie sogleich mit ihrem Schiffe nach einer Insel im Hafen, um hinauszufahren, sobald der Wind günstig wäre. Der Jarl nahm ein Langschiff und fuhr auf den Hafen hinaus zu seinem Freunde Thraen, denn er erwartete, er werde von ihm die Wahrheit erfahren. Thraen ließ den Jarl das[124] Schiff durchsuchen, aber derselbe fand Hrap nicht und fuhr wieder an Land. Da fiel ihm ein, daß an der Seite des Schiffes zwei Tonnen im Wasser geschwommen hätten, mit den Enden einander zugekehrt; diese hatte er ununtersucht gelassen und glaubte nun, Hrap müsse sich in ihnen befinden. Hrap lag auch wirklich in den Tonnen, denn Thraen hatte von beiden einen Boden ausschlagen lassen, damit Hrap in ihnen Raum fände. Als aber Thraen den Jarl zurückkehren sah, nahm er die Tonnen auf und verbarg Hrap in dem Haufen von Säcken, welche die Waaren enthielten, die das Schiff geladen hatte. Der Jarl fand ihn daher wiederum nicht. Als er aber wieder an Land kam, erinnerte er sich, daß er zwei Säcke auf dem Deck hatte liegen sehen, die aus dem Haufen genommen worden waren, und meinte nun, daß Hrap in dem Haufen sein müsse, zu welchem sie gehörten. Er fuhr zum dritten Male hinaus, aber Thraen holte nun Hrap aus dem Haufen hervor und schnürte ihn in das Segel, das unter die Raae gebunden war, die beiden Säcke aber ließ er auf dem Deck liegen. Der Jarl suchte zum dritten Mal, allein er fand Hrap auch diesmal nicht. Erst nachdem er an Land gekommen war, wurde es ihm klar, daß Hrap in dem Segel gesteckt haben müsse. Inzwischen jedoch bekam Thraen günstigen Wind und stach in See. »So mögen sie denn hinfahren,« sprach der Jarl, »wird doch diese Gemeinschaft beiden ein blutiges Ende bereiten.« Er war aber überaus zornig. Er fuhr sofort mit vier Langschiffen zu den Nialsöhnen hinaus, denn er hielt sie für mitschuldig an Thraen's Verrath. Sie sahen ihn kommen und da sie nichts Gutes von ihm erwarteten, hielten sie sich zur Gegenwehr bereit. Der Jarl befahl ihnen, sich zu ergeben und verhieß jedem Schonung, der die Waffen nicht gegen ihn erhebe. Aber die Nialsöhne selbst wollten sich nicht ergeben, und von ihren Mannen wollte keiner sie im Stiche lassen. Der Kampf entbrannte. Helge erschlug den Bannerträger des Jarl's und Grim streckte einen anderen von seinen besten Männern nieder, der gewaltig auf sie eingedrungen war und dreimal ihr Schiff erklommen hatte. Schließlich stürmte der Sohn des Jarl's, Svend das Schiff und[125] nun wurden sie zwischen die Schilde eingepreßt und gefangen genommen. Der Jarl wollte sie sogleich tödten lassen, aber Svend widerstand ihm um ihres Muthes und ihrer Mannhaftigkeit willen und weil Hinrichtung in der Nacht Mord und Büberei sei. So wurden sie denn gebunden, um am anderen Morgen den Tod zu erleiden. Aber in der Nacht durchschnitt Grim seine Banden mit einer Axt, die mit aufwärts gekehrter Schneide dalag; er befreite darauf Helge und dann glitten sie leise über Bord, schwammen an Land und gelangten auf die andre Seite der Insel. Dort fanden sie beim Morgengrauen ein Schiff; es war Kaare Sölmundsohn, welcher angekommen war. Ihm erzählten sie die Gewalttätigkeiten und die unziemliche Behandlung, die ihnen um Thraen's willen widerfahren war und ihre Absicht, gegen den Jarl zu ziehen, um an ihm Rache zu nehmen. Davon rieth er ihnen jedoch ab, und als er dem Jarl den Zins brachte, sprach er zu ihm von dem Unrecht, das er den Nialsöhnen zugefügt habe. Der Sohn des Jarl's, Erich stand ihm dabei zur Seite, und beide brachten es dahin, daß sein Vater den Nialsöhnen einen Vergleich anbot. Helge aber sagte, er wolle mit dem Jarl nichts zu schaffen haben; mit dessen Sohn Erich dagegen wolle er einen Vergleich eingehen und jegliche Ehre, die er ihnen erweise, annehmen. In Folge dessen lud Erich sie zu sich ein, und bei ihm verweilten sie, bis Kaare bereit war, nach den Orkneyinseln hinauszufahren. Sie fuhren mit ihm, wurden vom Jarl Sigurd wohlwollend aufgenommen und blieben bei ihm den Winter über. Im Frühling bat sie Kaare, mit ihm Heerzüge zu machen und Grim willigte ein gegen das Versprechen, daß Kaare mit ihnen nach Island fahren wolle. Während des Sommers plünderten sie nun auf Angelsea, den Südinseln (Hebriden) in Schottland, in Bretland, dem heutigen Wales und auf der Insel Man; überall waren sie siegreich und gewannen viel Gut. Darnach verblieben sie noch einen Winter bei dem Jarl Sigurd und rüsteten sich im folgenden Sommer, nach Island zu fahren. Der Jarl Sigurd gab ihnen gute Gaben und sie schieden von ihm in großer Freundschaft.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 123-126.
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