Collin und Juliette.

[18] Im süßen Duft der Rosen

lag Schäfer Collinet

und machte seiner losen

Geliebten ein Bouquet

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


Fein züchtig, wie es Sitte,

sprach er mit ihr, allein[18]

bald mischte, als der Dritte,

sich Cypripor darein;

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


»Ich fühle deine Nähe,

du kleiner Göttersohn,

Dank, Amor, Dank – ich sehe,

dein Zepter winkt mir schon,

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


O Dank für diese Stunde!

sie führet zum Genuß,

verspricht von diesem Munde

mir einen Wonnekuß[19]

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?«


So dacht' er – naht dem Weibchen

sich schnell – von Liebe warm,

umfaßt das zarte Leibchen,

den Alabasterarm,

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


»Nimm diese Blumenkette!«

rief er: – »ich flocht die dir;

doch dafür, Juliette,

gewähr' ein Mäulchen mir,

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –[20]

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?«


Drauf legt' er sie geschwinde

auf weichen Rasen hin,

berührt dem lieben Kinde

das anmuthsvolle Kinn,

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


Sie widerstrebt, er ringet,

siegt – eilet zum Genuß,

in Rosenlippen dringet

ein feuervoller Kuß

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?[21]


»O Collin!« rief entzücket

die schöne Schäferin:

»wie hast du mich beglücket,

ich fühle Wonnesinn,

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


Ach! meine Augen brechen

vor lauter Seligkeit;

wie groß, nicht auszusprechen

ist deine Zärtlichkeit,

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?«


Des Schäfers banges Sehnen

ist nun gestillt – es floß[22]

ein Strom von Freudenthränen

in der Geliebten Schooß,

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


Sie trieben Scherz und Possen,

bis süßer Schlaf sie band,

die Augen fest geschlossen,

hielt eins des andern Hand

und etwas anders noch, –

ich wag' es nicht zu sagen, –

und etwas anders noch; –

wer wird nach allem fragen?


G[ottfried] A[ugust] B[ürge]r.[23]

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 18-24.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon