Der Wind.

[243] Ich ruhte einst in Lina's Lilienarmen,

Sie duftete balsamisches Gewürz.

Auf einmal, mag der Himmel sich erbarmen,

Erschreckt' ich ihr Gemüth durch einen F – z.


Drei Jahre floh'n, ich sah sie oft indessen,

Sie blühte lieblich, wie der junge Mai,

Ich bat sie immer: »ja nicht zu vergessen,

Daß es ein Seufzer nur gewesen sei!


Ein Seufzer, der mich schon im Herzen quälte,

Als sie in meiner Seele Raum gewann,

Und der vielleicht den rechten Weg verfehlte,

Und sich nach hinten zu verirrte dann.«[243]


Mit Zittern hielt ich ihren Arm umschlossen,

Sie blieb bei ihrem fürchterlichen »Nein!

Du hast der Lieb' das Lebewohl geschossen,

Und kannst nicht fernerhin mein Ritter sein.«


Dies grämt mich tief, dies bringt mich noch zum Rasen,

Dies wird der Nagel noch zu meinem Sarg,

Die Liebesflamme ist wie ausgeblasen

Von einem Wind! Das ist doch gar zu arg!


Was war denn mein entsetzliches Verbrechen?

Ich sprach die freie Stimme der Natur, –

Dies kann der Bettler und der Fürst aussprechen –

Warum mißfiel's der holden Schönheit nur?


Galt ihr mein Herz, das liebende, zu wenig?

Bin ich's allein – f – zt nicht die ganze Welt?

Sowohl der Kaiser f – zt als auch der stolze König,

Wie der Minister und der Kriegesheld.[244]


Läßt nicht der Bauer seine Winde knallen,

So wie der Bürger und das edle Roß?

Sie tönen selbst bei kleinen Nachtigallen,

Und liegt vor meiner Pforte denn ein Schloß?


So knüpft das Schicksal oft an Kleinigkeiten

Ereignisse bedeutungsvoll und groß,

Die allerwichtigsten Begebenheiten;

Durch einen Wind bin ich mein Mädchen los!


Anonym.[245]

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 243-246.
Lizenz:
Kategorien: