Die Schäferstunde.

[135] Homer, Virgil, Lucan, und wer ihr alle seid,

Dringt durch ein Heldenlied bis zur Unsterblichkeit!

Singt göttlich, gebt sogar der Ewigkeit zu lesen,

Daß eure Helden groß, ihr größer noch gewesen,

Mir prägt kein stolzer Trieb dergleichen Lieder ein,

Mein Ruhm mag immerhin, gleich mir, vergänglich sein:

Ich ehr' euch ohne Neid, denn soll mein Lied erschallen,

So such' ich nur dadurch den Mädchen zu gefallen.

Was ich besingen will, ist größer, als der Held,

Den jeder Dichter noch für schwer zu finden hält.[135]

Die Schäferstunde hat die Helden selbst bezwungen;

Den größten Helden hat, wer sie besingt, besungen.

Ihr Schönen zürnet nicht,

Daß meine Muse stets mit euch von Schäfern spricht.

Den Helden einen Stand zu wählen,

Steht allemal dem Dichter frei;

Fontaine nahm die Könige der Lombardei,

von jungen Hirten läßt sich noch weit mehr erzählen.

Amyntens Herz empfand schon längst den starken Trieb,

Von dem der große Pan selbst nicht verschonet blieb.

Den Trieb, der diesen Gott zu einem Schäfer machte;

Den Trieb, der diesen Gott um seine Sirynx brachte.

Amyntas war verliebt, der jungen Doris Blick

Versprach ihm mit der Zeit das größte Schäferglück,[136]

Allein, so viel er auch der süßen Hoffnung glaubte,

So fehlte jedes Mal, daß die Gelegenheit

Noch seiner Zärtlichkeit

Mehr als den bloßen Wunsch erlaubte.


Den Wunsch, den er so oft gethan,

Den sah er auch der Doris an,

Ob sie denselben gleich vor ihm verbergen wollte;

Vielleicht, damit Amynt nur stärker wünschen sollte.

Sie liebten sich und wußten dies,

Noch eh' sie sich's gesagt, gewiß,

Doch eine Liebe will nicht nur die and're wissen.

Die Sehnsucht nach den ungezählten Küssen,

Die Wollust, sich auch da noch schmachtend anzuseh'n,

Wenn der verlangte Wusch gescheh'n;

Die Freiheit, sich das Zärtlichste zu sagen;

Die Hoffnung, das, was man noch nie gewagt, zu wagen,

Dies alles war an ihrer Ungeduld[137]

Nach mehrerer Erfahrung schuld.

Doch in der Liebe kommt das Glücke

Zwar meistentheils, nur nicht im ersten Augenblicke.

Ihr Schönen, eilt mit mir nach jener Gegend hin,

Und weil ich nun im Geiste gegenwärtig bin,

So darf euch kein Bedenken quälen,

Mich zum Begleiter zu erwählen.

Ihr sollt Amynt bei seiner Schäferin

In der gewünschten Stunde sehen.

Was euer Blick hierbei zu fürchten hat,

Wird im Gebüsche nur geschehen.

Doch sollte hie und da ein Blatt

Vom Zephyr weggewehet werden,

So messet mir die Schuld nicht bei;

Seht weg, seht hin, es steht euch alles frei.

Ich kann den Winden nicht gebieten,

Doch vor dem Zephyr hat man sich nicht sehr zu hüten.

Einst trieb die Schäferin die Heerde weiter fort,[138]

Sie fand, und nicht umsonst, den angenehmsten Ort,

Wo Blum' und Gras die schönsten Farben mischten.

Das Wasser, das sich hier von steilen Felsen goß,

Die es durch ihren Grund erfrischten,

Wo es in einen Bach mit schnellem Rauschen floß;

Das Volk verbuhlter Nachtigallen,

Wo bald der Sprosser schmetternd rief,

Und bald mit Steigen und mit Fallen

Durch die verliebten Töne lief;

Die Luft, die mit den Blättern spielte,

Auf die erhitzte Fläche stieß,

Und in den frischen Blumen spielte,

Wovon sie den Geruch durch diese Gegend blies.

Dies alles ließ die Schäferin nicht gehen,

Sie blieb mit ihrer Heerde stehen.

Sie warf sich auf die Wiese hin;

Hier lag die schöne Schäferin.

Sie dehnte sich, und sprach mit zärtlichem Verlangen:[139]

Ach! könnt' ich doch Amynten hier umfangen!

Sprach sie nichts mehr? O ja, ein halb verschlucktes Ach!

Ein matter Blick, der aus den blauen Augen brach,

Ein Busen, welcher sich aus Ungeduld empörte,

Die sagten dem genug,

Der hier im Busche lag, und so verliebt, als klug,

Ich weiß nicht, ob mehr sah, als hörte.

Kurz, da die Schäferin sich dessen nicht versah,

So stand auch schon Amynt vor ihren Augen da,

Doch, wie er in den Busch gekommen,

Hab' ich noch nie gefragt, und auch noch nie vernommen.

Aus Schrecken glaubte dies die junge Doris kaum.

Sie hielt den Anblick erst für einen leeren Traum.

Sie dacht', ein Schlummer wollt' ihr diese Freude machen,

D'rum fürchtete sie nichts, als plötzlich aufzuwachen.[140]

Ihr Schönen, hat euch nie von einer Lust geträumt,

Die euer Mund oft dem mit Ungestüm versagte,

Der es sie wachend zu erbitten wagte,

Und die ihr ihm oft träumend eingeräumt?

Ihr Schönen, habt ihr dies erfahren,

So darf ich euch nichts mehr

Von ihrer Lust zu träumen offenbaren.

Was aber that Amynt? Ist dies wohl Fragens werth?

Ein Schäfer, der den schönsten Augenblick begehrt,

Bedienet sich der vortheilhaften Zeit

Zur zärtlichsten Verwegenheit.

Er sprach, sie sprach, und was? dies könnt ihr leicht errathen,

Ich sag' euch jetzt nichts mehr, als was sie thaten.

Ein halb gegebener und halb geraubter Kuß

War des verliebten Schäfers Gruß.

D'rauf folgten schon die zärtlichsten Geberden,[141]

Die leichter nachgemacht, als hier beschrieben werden;

Sie sah Amynt mit Furcht und Schalkheit an,

Mit Schalkheit, weil er ihr noch nichts gethan;

Mit Furcht, damit er's auch nicht wagen sollte.

Kurz, Doris wollte nicht, und wollte.

Ihr Auge sprach mehr, als ihr Mund verschwieg;

Er seufte nur, indem der schöne Busen stieg.

Hier warf Amynt mit neuer Lust

Die Finger auf die warme Brust,

Worauf er, wie er zärtlich glaubte,

Die Freiheit, mehr zu rauben, raubte.

Sein Mund erwählte diesen Ort,

Mit jedem Kusse ging ein lauter Seufzer fort;

Mehr Schätze wurden hier entdeckt und ausgegraben,

Als Erd' und Meer in ihren Gründen haben.

Die kleine schöne Hand

That zwar dem Schäfer Widerstand,

Doch so, damit Amyntas fühlte,[142]

Daß ihr beredter Griff mehr spielte,

Als ihm nach den verliebten Waffen zielte.

Doch was Amynt bisher gethan,

Dies sahe Doris noch für nicht gefährlich an.

Allein jetzt hielt er sie an beiden Händen;

Jetzt schlang er seinen Arm um die gewölbten Lenden;

Jetzt macht er sich zu dem geschickt,

Was keinem Schäfer leicht so hurtig glückt.

Jedoch die Nymphe riß sich los,

Ihr Eifer war so groß,

Daß sie Amynten hieß aus ihren Augen gehen.

Sie sagte dies, allein sie sagt es mit Verdruß.

Jedoch ein kluger Schäfer muß

Die Worte nicht, die Blicke nur verstehen.

Er blieb und fing sogar das Werk verweg'ner an.

Ihr Schönen fragt, wie er verweg'ner scherzen kann?

Er scherzte so, damit sie merken sollte,

Daß er im Ernst scherzen wollte.[143]

Kurz, er entblößte jetzt der jungen Doris Knie;

Er sah es, doch mit so viel Lust, als Müh'.

Ihr Mädchen, zürnet nicht, daß er ihr Knie gesehen,

Sonst sag' ich nichts von dem, was mehr geschehen,

Genug, daß Doris widerstritt,

Und, was er that, erst überwunden litt.

Allein er wußte sie mit hundert kleinen Sachen

So lüstern, als erhitzt zu machen.

Die Augen funkelten, die Zunge selbst ward schwer,

Die Lippen zitterten, die volle Brust weit mehr.

Aus Hitze glühten ihre Wangen,

Sie rief: Amynt, ach geh! Sie schrie: Amynt, ach nein!

Hier wurden ihr die Augen klein,

Jetzt mangelte die Kraft zu widerstreben,

D'rum mußte sie sich ganz ergeben.[144]

Doch eh' sie sich ergab, rief sie die Götter an:

Thut mir anjetzt, was ihr den Nymphen oft gethan,

Und laßt auch mich

Die Wohlthat der Verwand'lung spüren.

Verwandelt diesen Ort in einen finstern Wald.

Doch schonet hier der menschlichen Gestalt.

Denn diese mochte sie nicht gern verlieren.

Ihr Bitten ward erhört. Ein dichter Rosenstrauch

Wuchs neben ihr hervor, und der verbarg sie auch.

Allein dies war kein Wald; jedoch ich muß nur lachen,

Die Götter müßten ja

Die Erde voller Wälder machen.

Genug, sie wurden doch durch diesen Busch bedeckt,

Ihr meint, sie lagen hier nun ganz und gar versteckt?

Der Busch verbarg sie nur den neidischen Gesichtern,

Doch aber nicht vor den verschwieg'nen Dichtern.[145]

Ihr Schönen, bleibet hier,

Und waget noch den letzten Blick mit mir.

Seht hin, ich sehe schon die leichten Blätter weichen,

Ich seh' Amynt sein schönstes Glück erreichen;

Sagt, ob ihr dieses sehen könnt?

Ihr schweigt, doch mir ist mehr, als euch, zu seh'n vergönnt,

Ihr blickt aus Vorwitz hin, d'rum kann es euch nicht glücken,

Ihr könnet Doris nicht vor dem Amynt erblicken.


J[ohann] C[hristian] Rost.[146]

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 135-147.
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