CXXVII.

Der Schlafftrunck.

[144] 1. Nun heb ich an zu singen,

aus frischem freyem mut,

Ich hof es sol mir gelingen,

ein liedlein kurtz und gut,

Das schafft der edel rebensafft,

red ich on allen schertz,

Gibt meinem hertzen eine grosse krafft,

frewt mir mein trawrigs hertz.


2. Ach mein lieber stallbruder,

nun hör mir fleissig zu,

Ich lig auch gern im luder,

hab tag und nacht kein ruh,

Den becher nem ich jetzt zu mir,

du sichst er ist schon vol,

Den wil ich gewißlich bringen dir,

sol dir bekommen wol.


3. Denselben wil ich setzen,

fürwar an meinen mund,

Der wein thut mich ergetzen,

halt ich zu dieser stund,

Die farb die thut mich triegen nit,

ich nim sie fleißig an,

Ich weis dz er noch zu mir spricht,

es gilt dir einen dran.[144]


4. Den wil ich nicht abschlagen,

weil du so frölich bist,

Ich wil jn von dir haben,

darzu bin ich gerüst,

Du saumest dich schier gar zu lang,

bring mir jn tapffer her,

Ich glaub es sey dir worden bang,

weren es jrer mehr.


5. Da hub er an zu trincken,

den becher halber aus,

Ich meint er wolt versincken,

erst kam in mich ein graus,

Doch was der handel nit zu schwer,

er stund noch zimlich wol,

Der becher der was worden lehr,

den ich hab gesehen vol.


6. Dem ich wil einen bringen,

der an deiner seiten sitzt,

Wie kan ichs als erschlingen,

ich hab fürwar ein ritz,

Doch wil ich von dir wissen bald,

was gibst mir für ein bescheid,

Wiltu den becher gar oder halb,

zeigs an bey rechter zeit.


7. Doch bin ich nit erlegen,

gar aus sol er gleich sein,

Der sach bin ich zufrieden,

ist mir ein schlechte pein,

Der wein der schmeckt mir also wol,

gibt mir ein grosse freud,

Von dir ich jetzt nicht weichen sol,

bis das ist geschehen bescheid.


8. Was wöllen wir mehr haben,

den schlafftrunck bringt uns her,

Von lebkucken und fladen,

und was jr guts habt mehr,[145]

Die specksup lond uns kocken schier,

es ist noch rechter zeit,

Ich glaub es hat geschlagen vier,

der han den tag ankraet.


9. Dis liedlein wil sich enden,

wir wöllen heymat zu,

Wir gehn schier an den wenden,

der glücks der hat kein ruh,

Ich dürmel wie ein gans herein,

das mir der schedel kracht,

Das schafft allein der gute wein,

alde zu guter nacht.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 144-146.
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