CLIX.

[207] 1. Es steht ein baum in Oesterreich,

der tregt muscaten blumen,

die erste blumen und die er trug,

die brach eins königs tochter.


2. Darzu so kam ein reuter gegangen,

er freyet des königs tochter,

er freyet sie lenger denn sieben jar

er kondt sie nicht erfreyen.


3. Las ab, las ab du junger knab,

du kannst mich nit erfreyen,

ich bin viel besser geboren denn du,

von vater und auch von mutter.


4. Bistu viel besser geboren denn ich,

von vater und auch von mutter,[207]

so bin ich deins vaters gedingter knecht,

und schwing dem rößlein das futer.


5. Bistu meins vater gedingter knecht,

und schwingst dem rößlein das futer,

so gibt dir mein vater ein grossen lohn,

darmit las dich genügen.


6. Den grossen lohn den er mir gibt,

der wird mir viel zu sawren,

wenn ander knecht zum schlaffkemmerlein gehn,

so mus ich zu der schewren.


7. Des nachts wol umb die halbe nacht,

das megdlein begunt zu trawren,

sie nam jhr kleider an jhren arm,

und gieng wol zu der schewren.


8. Des morgens da der tag anbrach,

die mutter begundt zu ruffen,

steh auff, steh auff du gedingter knecht,

und geb dem roß das futer.


9. Das futer das ich jhm geben wil,

das ligt in meinen armen,

nechten abend war ich ewer gedingter knecht,

ewer eyden bin ich worden.


10. Das du mein eyden worden bist,

des mus sich Gott erbarmen,

ich hab sie ritter und graffen versagt,

dem schlemmer ist sie worden.


11. Dem schlemmer dem sie worden ist,

der kan sie wol ernehren,

er trinckt viel lieber den külen wein,

denn wasser aus dem brunnen.


12. Der uns das newe liedlein sang,

er hats gar wol gesungen,

er ist dreymal in Franckreich gewest,

und alzeit widerkommen.


Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 207-208.
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