CLXXIX.

[232] 1. Der tag wol durch die wolcken drang,

die nacht wil uns entweichen,

Die sonn mit jhrem klaren schein,

scheint uber alle reichen,

Vom Orient ist ausgesendt

uber alle land, dem armen als dem reichen.


2. Ein trewer warner der das thut,

leit jemand hie verborgen,

Der heb sich auff in aller frü,

das er nicht kom in sorgen,

Wenn kommen ist des tages schein,

scheint her der helle morgen.


3. Der knab wol zu dem frewlein sprach,

der wechter ist entschlaffen,

Ich förcht hertzlieb der tag sey da,

er lest uns nichts mehr schlaffen,[232]

Hab urlaub hertzlieb aus gutem wahn,

es scheint der liechte morgen.


4. Das frewlein schrey not wol uber not,

mus ich mich von dir scheiden,

Viel lieber wolt ich leiden den todt,

das ich dich hertzlieb mus meiden,

Gleich heut als ferd, auff dieser erd,

und der mir liebt, den las ich mir nicht leiden.


5. Zu morgens da man das thor auffschlos,

der knab ward außgelassen,

Wie hart das frewlein das verdros,

das sie den knaben must lassen,

Mit ärmlein blos, sie jn umbschlos,

er fuhr dahin, sie gesegnet jm sein strassen.


6. Das frewlein unter dem fenster stund,

sie stund in grossen sorgen,

Sie schawet dem knaben hinden nach,

heimlich und unverborgen,

Das dich Gott behüt, du schöns mein lieb,

wo du gehst oder stehst, so scheint der helle morgen.


7. Der uns diese tagweis hat gemacht,

in schwartz wil er sich kleiden,

Er sangs seiner liebsten zu guter nacht,

das er sich muste scheiden.

Da band sie jm ein krentzelein von perlen weis,

mit wunderschönen seyden.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 232-233.
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