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[17] 1. Hertzlich thut mich erfrewen,
die fröliche sommer zeit,
all mein geblüth vernewen,
der mey viel wollust geit.
Die lerch thut sich erschwingen,
mit jhrem hellen schal,
lieblich die vögelein singen,
darzu fraw nachtigal.
2. Der guckguck mit seinem schreyen,
macht frölich jederman,
des abends frölich reien,
die megdlein wohlgethan.
Spacieren zu dem brunnen,
pflegt man in dieser zeit,
all welt sucht freud wonne,
mit reisen fern und breit.
3. Es grünet in den welden,
die bawme blühen frey,
die rößlein auff dem felde,
von farben mancherley.[17]
Ein blümlein steht im garten,
das heist vergiß nit mein,
das edle kraut wegwarten,
macht guten augenschein.
4. Ein kraut wechst in der auwe,
mit namen wolgemut,
liebet sehr den schönen frawen,
darzu die holderblüt.
Die weissen und roten rosen,
helt man in grosser acht,
man kan geld draus lösen,
schöne krentzlein draus gemacht.
5. Das kraut je lenger je lieber,
an manchem ende blüt,
bringt offt ein heimlich fieber,
wer sich nit darfür hüt.
Ich habs gar wol vernommen,
was dieses kraut vermag,
doch kan man dem fürkomen,
messig lieb alle tag.
6. Des morgens in dem tawe,
die megdlein grasen gahn,
gar lieblich sie anschawen,
die schöne blümlein schon.
Davon sie krentzlein machen,
und schencken sie jrem schatz,
den sie so freundlich anlachen,
und geben jm ein schmatz.
7. Darumb lob ich den sommer,
darzu die meyen zeit gut,
die wendet uns allen kummer,
unnd bringt viel freud und mut.
Der zeit wil ich geniessen,
dieweil ich pfenning hab,
und den es thut verdriessen,
der falle die stiegen hinab.
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