CLXXXVIII. Der listige Advocat.

[411] Ein Wirt verkauffte seinem Gast zehen gesottene Eyer / und benennet demselben / der Bezahlung halber /einen gewissen Termin oder Frist. Als nun aber der arme Schlucker die bestimbte Bezahlungs-Zeit nicht gehalten / wurde er von dem Wirth Gerichtlich verklagt / und durch dessen Wort-Sprecher / nicht allein die Haupt-Summa des bedingten Gelds / sondern auch propter lucrum cessans & Damnum emergens, das ist / wegē des unterlassenen Gewinsts und hieraus entstandenen Schadens / ein grosses Interesse darüber begehrt / und zu diesem Ende mit mehrerm mündlich aus- und eingeführet / nemblich / wann der Kläger bemelte zehen Eyer nicht verkaufft / daß er wenigst hieraus hätte etliche junge Hüner / und folgends von ihnen auch mit der Zeit neue Eyer / und also /[411] wie die Kauffleute zu reden pflegen Cento pro cento haben können. Der Beklagte erschracke über dieses unchristliche und hochgespante Begehren / bate das löbliche Gericht / zu Ablegung seiner Verantwortung /umb einen gar kurtzen Termin; Damit er sich auch inmittelst umb einen Beystandt gleichfals bewerben und versehen könne. Dieser gering gebetene Anstandt wurde auch Obrigkeitlich verwilliget / und beeden Partheyen / zu der weitern mündlichen Verhör / eine Tag-Satzung / und hierzu Tag und Stundt benennet. Hierzu erschiene der Kläger zu recht gebührlicher Zeit / muste aber / wegen Abwesenheit des Beklagten / etliche Stund warten: Als nun derselbe sich auch / mit seinem erbetenen Beystandt / daselbst gehorsamlich einstellte / thäte der Kläger nicht allein seine vorige hochgesetzte Klag wiederholen und herfürstreichen /sondern auch wieder den neuen auffgeloffenen Gerichts Unkosten / welchen die Saum-Seligkeit des Beklagtens und seines Adherentens verursacht / zierlichst protestiren. Des Beklagten Beystandt thäte seinen Principalen / der langsahmen Erscheinung halber entschuldigen / daß nemlich nicht er hieran / sondern er / Beystandt selbsten / schuldig: Doch seye er / mit seiner neuerkaufften Hauß-Wirthschafft / in etwas verhindert worden. Der Richter / welchem der Kläger Schmiralisafft eingeschenckt / war unwillig / fragte mit hitzigen Worten bemelten Beystandt / was dann die eigentliche Ursach seiner vorgeschützten Verhindernüß gewest seye? Der Beystandt hierauf: Das löbliche Gericht wisse / das anjetzo die rechte Zeit vorhanden / die bewittibte Felder bey der nunmehr / Gott lob! einholten Einsamlung des lieben Getreids wiederumb anzusäen / und dahero er den Weitzen / welchen sein Meyer noch heute ansäen werde / vorhero gesotten hätte. Der Richter sprach / hieraus[412] erschiene leichtlich / daß die Gelehrte besser mit der Feder / als mit dem Pflug / und besser mit den Büchern / als mit der Hauß- oder Bauern-Arbeit umbgehen können: Was für Nutzen oder Frucht er von dem gesottenen Weitzen zu hoffen und zu gewarten hätte. Der Beystandt replicirte, daß er bekennen müsse / daß er die Hauß Wirthschafft nicht recht gelernet habe; Allein fragte er auch den Kläger / was grossen Nutzen und Frucht er auch von seinen gesottenen Eyern zu hoffen und zu gewarten gehabt habe? Ob nicht diese vorsetzliche Herfürstreichung ein vermessenes und straffmässiges Litigium seye / wormit man die hochbegipffelte Berge schwanger machen wil / und endlich hieraus eine Mauß kriechen werde? Der Kläger hierauff thäte / anstatt der Duplic / seine Maulschellen einziehen /und mit nachfolgenden Worten: Behüt euer Reiß / etc. beschliessen.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 411-413.
Lizenz:
Kategorien: