CVIIC. Der Rhetorische Zanck.

[419] Corax thäte bey den Syracusanern seinen Discipulis die Rethoricam oder Redkunst öffentlich vorlesen /und sie darinnen / doch gegen gewissen bedingten Lohn / unterweisen; Unter andern Schülern war auch ein Jüngling / mit Nahmen Tisias / der sich mit seinem Lehrmeister dahin vergliche / wann er in solcher Redekunst gnungsam erfahren / daß er so dann allererst und eher nicht schuldig sein solte / sich bey ihm /mit einer ergiebigen Verehrung / zu Bezeugung seiner obliegenden Danck-Pflicht / einzustellen. Wiewol nun Tisias / durch Fleiß und sonderbahre Mühe seines Unterweisers / in dieser Wort-Fechtkunst die sattsahme Wissenschafft erlangete / so wolte er doch die versprochene Erkäntnüß oder Verehrung nicht leisten auch zu diesem Ende / einige Parthey bey Gericht zu vertheidigen / damit hieraus seine Geschickligkeit nicht erscheine / nicht annehmen. Corax wurde hierüber ungeduldig / und liesse Tisiam seinen undanckbahren Schüler für Gericht fordern; derselbe sagte daselbst: Wann ich das löbliche Gericht persuadiren werde / daß ich meinem Lehrmeister nichts schuldig sey / so hab ich schon den Obsieg des Rechtens erhalten / wordurch ich von aller Schuldigkeit entbunden und befreyet worden / werde ich aber das löbliche Gericht zu dergleichen Lobsprechung nicht bereden oder bewegen können / so folgt hieraus / daß mein Lehrmeister mich in der Redkunst oder arte persuadendi der Zeit noch nicht genugsam unterwiesen habe / und dahero sein Begehren noch gar zu früh und unzeitig sey. Corax antwortete[420] hierauff / wann du Tisias das löbliche Gericht dahin bereden kanst / daß du mir nichts schuldig seyest / so folgt hieraus unwiedersprechlich / daß du in der Redekunst albereit ein erfahrner Meister / und dahero verpflicht / mir mit der schuldig-versprochenen Verehrung zu begegnen. Wirstu aber bey dem Gericht nicht so viel vermögen /sondern ungehindert deiner Einrede in die Bezahlung erkant werden so bistu als verlustigter Theil schuldig / deme nach zukommen? Was solte nun das Gericht bey diesen Sophistischen in Weg gelegten Fall-Stricken anheben oder außsprechen. Beede Theil wurden unverabschiedet gelassen / ausser / daß man darbey so viel gemeldet / Mali corvi, malum ovum, daß nemblich Tisias eines bösen Rabens schlimmes Ey sey.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 419-421.
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