CVIC. Das seltzame Urtheil.

[421] Ein Jüngling liebete Theonidem in Egypten / eine schöne / doch beschreite Dirn: Sie wolt sich aber zu keiner Gegenlieb neigen / es sey dann / daß er dieselbe umb eine benante Summa Gelds erkauffen wolte /welche er ihr auch versprache. Der Jüngling aber wurde bald hernach seiner Liebs-Einbildung zu Nacht / durch einen Traum / befreyet / also daß er Theonidem nicht mehr achtete. Sie verwunderte sich nicht wenig über diese unvermuhtete Veranderung / begehrte gleichwol die versprochene Verehrung / welche aber der Jüngling weigerte / mit Fürschützung / daß er dazumahl mit der Liebs- und Gemühts-Kranckheit behafftet gewest / und dahero / bey solchen närrisch gefallenen Einbildungen / keinen freyen Willen gehabt hätt. Diese Streit-Sach kam entlich für das Gericht / und wurde[421] hierüber außgesprochen: Daß der Jüngling schuldig sein solte / die versprochene Gelds-Verehrung zu Gerichtshanden zu erlegen. Als er nun dem den gehorsahmen Vollzug geleist / ist der Theonidi zwar das Geld vorgewiesen / alsdann dem Jüngling wiederumb zugestellet worden. Dieses seltzame Urtheil schätzte ein Rechts-Erfahrner / Nahmens Lamia / vor unbillig / sagend / daß zwar der Jüngling / vermittelst des Traums / von der Liebe / aber hinge gē seine Gegentheil in durch den Klang und Schatten des Gelds von der Begierligkeit und dessen Verlangen nicht befreyet und entlediget worden seye.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 421-422.
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