CCXXII. Das betrügliche Maulschloß.

[481] Sabierres hatte in seinem Vaterland viel Gewaltthätigkeiten / Plünderung und Todtschläge verrübet / war auch bereits / weil man ihn so wol zu Pferd als zu Fuß suchte / zu unterschiedenē mahlen sich[481] aus dem Staub zumachē gezwungen. Solches aber gab ihn Gelegenheit sich von dar zubegeben / und dieser Orth zuerheben / doch war er so bald nicht ankommen / da er zugleich viel greuliche Thatē verrichtete / welche ich allhier zu ewigen Merckzeichen des grossen Fehlers /den die Eltern / wann sie ihre Kinder nicht bey zeiten straffen / begehen / auff zeichnen wil. Als nun Sabierres zu Paris angelanget / fieng er an zu plündern und brachte nicht lange Zeit zu / daß er nicht solte zu den Beutelschneidern / deren diese Stadt voll ist / sich gesellen: In welcher Zunfft er dann unterschiedene Proben seiner betrieglichen Einfällen sehen ließ. Die erste That verübete er zu St. Mederich / da auff einen Festag ein herrlicher Mann predigte / dahin ein gewaltiger hauffe Volcks / umb dessen Wolredenheit anzuhören / kam / Sabierres kam auch daselbst hin / neben andern seinen Zunfft-Gesellen / die allgemeine Schluß-Regel der Beutelschneider in acht zunehmen /die da ist: Je mehr Volck und Geträng bey handen ist /je besser ist das Beutelschneider-Handwerck zutreiben. Er sorgte / bey Zeiten einen guten Platz einzunehmen / damit / wann er zuspätt sich dahin begeben möchte / er nicht hinein kommen könte. Wie man nun auff die Predigt wartete / und im Verharren des Predigers in einem andächtigen Buch zu lesen pfleget /wolte er solches nach äffen. Wunderlich aber ist zuvernehmen / was vor einen Fund er darzu gebrauchet hat. Dann er hatte von Wachs künstlich zugerichtete Hände / die hängte er an den Halß / und ließ sie vor seinen Mantel herauß gehen / damit hielt er ein Buch /auff welches er auch sein Gesicht richtet / als ob er darinnen lesen thäte. Mitlerweil machte er sich nah zu einem Weib / welche ein silbern vergültes Uhrlein von grossem Preiß angehängt hatte. Dieselbe / weil sie ihn mit einem Buch in Händen haltende / ansahe /[482] bildete ihr nicht ein / daß er noch andere Hände unter den Mantel haben solte. Aber der listige Fuchs hatte sie gar bald ertappet. Dann / wie er ein wenig auf die Seit sahe / streckte er seine Hände nach dem Uhrlein /inzwischen / daß die zugerichtete Hände das Buch hielten / schnitte dasselbe so subtiel ab / daß es besagte Frau nicht ehe als eine halbe Stunde darnach gewahr wurde / und ob sie schon deswegen viel Nachfragens hatte / halff es doch nichts / alldieweil der Gesell die Thür zur Hand genommen / und sich an einen andern Orth begeben / allwo er deßgleichen Stücklein an einer andern Bürgerin aus der St. Martins Gassen begieng / und derselben / in dem er sich anmassete /alswann er sein Gebeth verrichtete / den Beutel abschnitte. Das war nun sein erster Griff / so er zum Beutelschneiden erfunden hatte / deren sich folgends viel seiner Gesellen / wie sie aus der Erfahrung dessen Güte erlernet / gebrauchet. Sie lassen ihnen Hände von Holtz mit Schlossen und Gewerben machen / und bedecken dieselbe mit Handschuhen / welches ihnen dann eine Zeitlang volgelungen / doch ist es mit der Zeit abgangen / sintermahl die Welt von Tag zu Tag klüger wird. Sabierres fieng an einen grossen Nahmen unter den seinen zu erlangen / gestalt sie ihn auch zum Leutenant machten / da er dann zu unterschiedenen mahlen erwiese / daß die Gasconier sehr verschlagene Köpffe sind. Der andere Streich / den er zuwerck richtete / geschahe in S. Germains-Kirchen / da er im Chor / als man sich zur Procession und Umbgang gefast machte / ein grosses Stück um den von einem Damaschen Meßgewand schnitt / und war jedoch / der dasselbige an hatte / dessen nicht anders innen / als daß er / wie er fortgehen solte / vermerkte daß sein Meß-Rock von fornen viel länger / dann hinten war. Solche Geschwindigkeit trieb er zu vielenmahlen /[483] so wol im Gerichts-Pallast / als andere grossen Plätzen /und vornehmlich in St. Germains Messe / da geschahe es zum öfftern / daß einer seinen Mantel halb hinweg geschnitten / sehen muste. Dieses aber war gegen das / so er ihm nachgehends in Sinn nahm / nicht zurechnen / er hatte Kundschafft zu einem Schlösser / der ein sehr kluger Meister war / nun ließ er bey demselben ein Instrument machen / und nennet es Würgbieren / ich aber mag es wol ein recht Teuffelisches Instrument nennen / welches so wol zu Paris / als durch gantz Franckreich / viel übels gestifftet. Dasselbe war in Gestalt einer kleinen Kugel zugerichtet / welches sich durch gewisse inwendige Gewerbe also auffthat /und außbreitete / daß man es in keinerley Weiß wieder in vorige Form bringen konte / als allein durch einen Schlüssel / welcher zu solchem Ende gemacht war. Sabierres war der Erste / der dieses Fündlein zuwerck richtete / und zu vorfallenden Begebenheiten brauchte. So bald man einem solche Bieren in Mund gestecket / thate / sich selbe auf / und war unmöglich sie anders / als durch besagten Schlüssel herauß zubringen. Der Erste / der die Invention der Würgbiern versuchte / war ein reicher Bürger / Lionne genant /so umb die Gegend des Königlichen Platzes wohnhafft / der Lieutenant Sabierres hatte nach seiner Listigkeit von dem alten Bürger erfahren / daß er grosse Schätze hätte: Darumb erwehlete er ihm einen Tag /da des Bürgers Hauß-Gesind insgesambt auf seinen Feld-Gütern / er aber allein nebens seinem Kammer-Diener und Lackeyen zu Hauß war / da kam er mit dreyen seiner Gesellen begleitet in das Hauß Lionne /da er dann zu allem Unglück niemand als seinen Lackeyen bey sich hatte. Dieser vermeinete / es wären Edelleut / sagte es seinem Herrn / der dann noch zu Bett war / an / und liesse sie unterdessen[484] in den Saal gehen. Wie sie nun daselbsten eine Zeitlang verharreten / berahtschlagten sie untereinander / wie sie doch die Sach anstellen solten / ein Theil begehrete /den Lionne umbs Leben zu bringen / der andere Theil hielte das Wiederpart. In währendem Wortgezänck kam Lionne / und fragte sie / was ihr Belieben währe /Sabierres nimbt ihn bey der Hand / und führet ihn besonders mit diesen Worten: Herr ich muß euch nothwendig / umbbringen / oder ihr müsset uns geben /was wir begehren. Wir sind arme Soldaten / und dieweil wir keinen andern Handel jetzund haben / werden wir gezwungen / uns dergestalt bey Leben zu erhalten. Wie nun Lionne solchermassen überrumpelt ward / wolte er zwar umb Hülff wieder solche Räuber schreyen / es lieffen aber alsobald die andere drey hinzu / und fasseten ihn so hart / daß sie ihm auch den Mund mit Gewalt aufthatē / und die Würgbieren hinein brachten. So bald sie nun darinnen war / that sie sich auf / und gieng das Schloß loß / veruhrsachte auch darmit / daß der arme Lionne wie eine Bildsäule ward / thate das Maul auf / er konte aber weder schreyen noch reden / als nur mit der Augen Geberden seinen übelstand zu bezeugen. Hierauff nahm ihm Sabierres die Schlüssel aus seinem Sack / und raffte nach auffschliessen des Tresurschrancks zween Säck mit Pistoletten zu sich. Und solches vor den Augen des Lionne / in was Aengsten er damals gewesen wegen Beraubung seines Guts / und der Schmertzen von dem Instrument / je mehr er dasselbe aus seinem Mund zubringen / sich bemühete / je weiter sperrete es sich von einander / ist leicht zu dencken. In solchem Zustand konte er nichts anders vernehmen lassen / dann nur die Raubvögel mit Zeichen und Wincken zu bitten / daß sie ihm das Instrument aus dem Mund heraußziehen wolten. Sie aber machten[485] sich mit seinem Geld davon / nachdem sie ihm seine Schlüssel zum Tresurschranck gegeben hatten. Als sie nun Lionne aus seinem Hauß gegangen sahe / fieng er an den Nachbahrn mit Zeichen / wie man ihn beraubet hätte anzudeuten; Er verschaffete / daß etliche Schlösser kommen / und die Würgbiern durchfeilen aus dem Mund zubringen / versuchten. Aber jemehr sie daran arbeiteten / jemehr Schmertzen machte ihm dieselbe /massen dann von aussen Spitzen daran waren / die ihm ins Fleisch giengen / muste demnach biß auff den folgenden Tag in solchem Zustand verbleiben / unterließ indessen nicht allerhand Kunst-Mittel umb das Instrument aus dem Mund zubringen / so viel müglich / zu brauchen. Er konte aber keineswegs darzu gelangen / wiewohl man die aller erfahrenste Werckmeister daran zu arbeiten / herbey kommen ließ. Wie nun die Grausamkeit nicht allezeit in einem Gemüht wohnet /sondern zuweilen auch die Mildigkeit die Seele zu besitzen einnimbt / also beredete ihn einer seiner Gesellē / daß man nicht Ursach am Todt des Lionne seyn /sondern ihm den Schlüssel zur Würgbiern überschicken solte / hielt auch mit seinem Flehen so lang an /biß er von Sabierres besagten Schlüssel erhält / denselben legte er alsobald in einen Brieff / und wahren darinnen folgende Wort verfasset: Mein Herr / ich habe nicht wollen zu eurem Todt Uhrsach geben / darumb überschicke ich euch hiermit den Schlüssel / auff das ihr das Instrument / so in eurem Mund ist / aufmachen möget. Ich weiß wol / daß euch dasselbe ein wenig Ungelegenheit wird gemacht haben / ich wil jedoch nicht unterlassen / euer Diener zu verbleiben. Er siegelte diesen Brieff zu / und gab denselben dem ersten Boten / den er antraff. Über solchem Brieff empfund Lionne ohnerachtet des Verlusts / so[486] sich über tausend Cronen erstreckte / grosse Freude. Den er war froh / daß er sein Leben erhalten / und von den Schmertzen befreyet war. Man hörete von Tag zu Tag murmeln in der Stadt von Sabierres Thaten / bald wahren die vornehmste Kauffleut von besagtem Beutelschneider unversehens ergriffen / bald machte er sich an die Edelleute / und vergieng kein Tag / an welchem Sabierres nicht ein Stücklein seines Handwercks verrichtete. Einiges Tages gieng er mit einem /der noch nicht Meister in der Diebs-Zunfft war / unter die Hallen oder Lauben / und ward eines Bauers gewahr / der an einer Ecken der Gassen mit einer Kitzen voller herrlichen Früchten saß / wie dann solches wegen Unfruchtbahrkeit desselben Jahrs damahls sehr theur war. Dieser Bauersmann that seiner Gewohnheit nach sein Geld in einen Beutel / der ihm an dem Halß innerhalb dem Hembde / das Messer der Beutelschneider zu vermeyden / hängte / als ihn nun Sabierres in solcher Postur sahe / sagte er zu seinem Geleytsmann / daß er an statt seines Meisterstücks dem Bauern den Beutel abschneiden muste. Der ander gab ihm darauff zur Antwort / daß er eine solche offenbahre Sach weder thun könte noch unterstehen dörffte. Sabierres sprach hinwieder: Dieweil du solches nicht getrauest zu verrichten / so betrachte auffs fleißigste die Manier / wie ich damit verfahren wil /damit du nach meinem Exempel dich darinnen klüglich zu schicken wissest. Nach vollführter Rede /machte er sich allgemach zu dem Bauern / stellete sich / als wann er ein klein Strohälmlein / so ihme in den Rücken gangen / herauß zuziehen hätte / hierauff bückete er sich / und ließ den Bauren die Hände auf seinen Rücken stecken / nahm aber unterdessen sein Messer zu der Hand / und schnitt den Beutel so fein ab /[487] daß der Bauer dessen nicht innen war. Nach verrichtetem Schnitt begab er sich wieder zu seinem Gesellen / und dieser vermaß sich hinführo eben so viel zuverrichten / Sabierres wolte alsbald die Probe sehen / so er an einem andern Bauern der nahe bey St. Innocentur saß / beweisen solte. Wie aber der arme Lehrjung seien Schnitt ins Werck setzen wolte / war er von einer Frauen / die daselbsten Früchte feilschte /vermercket / also / daß er dermassen geprügelt ward /daß er kaum entgehen konte. Zum Beschluß betrog er den Boten von Chalon umb 50 Pistoletten / so er durch Mittel eines verfälscheten Wechselbrieffs von ihm herpracticirte. Er hat viel andere Diebs-Thaten verrichtet / weiln aber dieselbe zu meiner Wissenschaft nicht kommen / wil ich es bey jetzt berührten verbleiben lassen. Nachdem er innerhalb Paris und dessen Umbkreiß viel geraubet und geplündert / aber fürchtete / man möchte ihm das Pfand theuer bezahlen / als nahm er die Flucht / und sagt man / daß er in Ungarische und Teutsche-Kriege sich begeben / und entlichen darinnen gestorben sey.

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Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 481-488.
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