CCXXXI. Der betrogene Einfalt.

[519] Varennez / plump von Natur und wenig in arglistigen Wercken dieser Welt geübet / da er sich von seinen Eltern / wegen eines Streits / mit seinen Brüdern machte / ehe er davon zog / belud sich mit ungefehr hundert und funffzig Cronen / die er zu seiner Reise seinem Vater entwendete: Dann er verhoffte nicht allein Paris zubesehen / sondern auch gantz Franckreich durch zuwandern / und in die Provence zureisen / daselbst er einen Vettern / reich und wolbegütert / hatte. Auff dem Weg nach Paris gesellete er sich zu einem Kauffmann / welcher den Marckt S. Germans besuchte zu End des Monahts Januarii 1615. als sie nun zu Paris ankommen waren / begaben sie sich von einander / und nahmen beyde ihre besondere Losamenter. Varennez / der noch nie nichts gesehen / als die Ecke seines Herdes / gieng von einer Gassen in die andere /die herrliche Gebäu und Raritäten der Stadt zu besehen. Er ward erkant von den Spitzbuben / die auch /so bald sie ihn ins Gesicht nahmen / davor hielten /daß man keine grosse Mühe / ihn zu betriegen / anwenden dörffte. Einer von denselben nahete sich zu ihm jenseits der Samaritaine / mit einem grossen Packet Brieffe / auff welchem diese Uberschrifft gesetzt war: Dieser Brieff zukomme der Frauen Robecourt /wohnende zu Abbeville; und baht ihn / ihm zusagen /an wen das Packet gestellet wäre / vielleicht wäre etwas sonderbahres in besagtem Brieffe eingeschlossen. Varennez / welcher diese Arglistigkeit nicht mercken[519] kunte / liefet die Uberschrifft / und findet eine güldene Ketten / die darinnen gelegt war. Der Inhalt aber dieses Brieffs war dieser: Tugendreiche Jungfrau / etc. Nachdem durch eure letzte Schreiben von dem glücklichen Fortgang eurer Ehe / und wie ihr solch euer Vornehmen bald zu vollziehen gesinnet wäret /ich Bericht empfangen / würde es das Ansehen haben / als hätte ich keine Empfindligkeit solcher Freude gehabt / wann ich es mit dieser Ketten nicht bezeugete. Sie ist von geringen Preiß / wann ich eure Würde betrachte / kostet nicht mehr als 100 Cronen / und ist ein geringes gegen daß / so mein geneigtes Gemüht euch gern verehren wolte. Nehmet sie liebe Jungfrau /mit eben so gutem Hertzen an / als sie euch der Jenige / der sie überschicket / mit reinem Gemüht widmet. Unterdessen haltet mich

Tugendreiche Jungfrau

vor euren geneigten Diener und Vetter

A. von Robecourt.


Das Lesen dieses Brieffs bließ dem Varennez gleichsam das Hertz auff. Wolte Gott / sagte er / daß ich heute solch Glück gehabt hätte! Der andere gab ihm zur Antwort: Daß Glück ist euch begegnet / wann ihr wollet. Es ist mir eben so lieb / daß ihr die Ketten habt / als ein anderer / ihr sehet aus dem Brieff / wie viel sie werth ist / gebet mir die Helffte des Geldes /und nehmet ihr die Kette / ihr könnet allezeit 50 Cronen zu Gewinn haben. Der vergleicht sich mit ihm /und ohne daß er die Kette einem Goldschmied hätte zeigen sollen / wird mit ihm umb 40 Cronen eins /und bildet ihm noch ein / alswann er einen grossen Hafen erkauffen hätte. Er gehet nach dem zum Marckplatz / wie[520] sich auff der Brücken etwas aufhielte / und den Spitzbuben / wie gleichfals den Storgern zuspielen / zu sahe / machte sich einer zu ihm / und spielte wieder seinen Gesellen / als wann er ihn nicht kante /gewann ihm ab / und hatte bereits dem Varennez 6 Creutzdicken geben. Das bewegte den Varennez ferner zuspielen. Aber die zween Spitzbuben / nachdem sie verspühret / wie eyferig er im Spiel war / gewannen ihm 10 Cronen ab. Und damit ich Zeugnüß einführe / daß der Marcktplatz S. Germans der rechte Auffenthalt der Diebe ist / so wird man Augenscheinlich aus folgendem Gespräch vermercken / wie auch die Erfahrneste zum öfftern in Gefahr daselbst kommen. Varennez gehet seiner Arth nach in die Meß /wirfft seine Augen von einem Orth zum andern / unterandern hielte er sich bey einem Kram auff / da ein Glück-Hafen war / da sahe er zu / welche gewonnen und verlohren (aber solche Herren haben ihre bestellte Leut / die sie gewinnen lassen / wann es ihnen gut düncket) indem kam ein Spitzbub / wieder den Herrn des Ladens zuspielen / und begehrte / das man ihm etliche Zettel darreichte / darvon er dem Varennez ein Theil anbote / sagend / so ihm beliebte / die Helffte seiner Zettel anzunehmen / wolte er ihm davon geben / und er erhoffte etwas rechtschaffenes davon zutragen. Der andere / dieweil er bereits in dergleichen Stücken angeführet worden / gab zur Antwort / daß sein Will nicht wäre / es mit ihm zuhalten. Auff diese Antwort wickelt der Spitzbub seine Zettel auff / und findet eine Silberne Gießkanne / die er von dem Herrn des Ladens alsobald forderte / und zeigete solches dem Varennez. Varennez dadurch angereitzet fängt an Zettel herauß zuziehen / und sie auff zuthun / den Tag hatte er derselben zum wenigsten von 20 Cronen[521] und bekam doch keine Gabe / das war doch nichts von allem seinem Verlust / dann er setzte seine Hoffnung auff seine Kette / glaubend / dieselbe würde ihm zuletzt noch wol dienlich sein / wann er sie den Goldschmieden verkauffete. Da er nun in der Meß beschauete die vornembste Waaren / kamen zween Vorläuffer / die allewege gute Wacht halten in besagtem Marckt / ihn zu grüssen: Mein Herr (sagte einer) es bedüncket mich / euch irgend wo gesehen zu haben. Das kan wol seyn / antwortete Varennez / ich bin von Amiens bürtig / euch unterthänige Dienst zu erweisen in allem / so mich wird können verpflicht machen gegen euch. Auff solches sagte der älteste zu seinem Gesellen / fürwahr mein Vetter / das ist unsers Handels / wir haben den Herrn eben recht angetroffen. Mein Herr / sagte er zu ihm / kennet ihr den Herrn Anwald des Königes nicht? Ja ihr Herren / antwortete Varennez / er ist mir verwand / und mein Vetter. Wir sind dessen sehr erfreuet / sagten die andern / ihr wollet uns das zu gefallen thun / und ihm diesen Brieff einhändigen lassen / doch daß wir euch deßwegen befriedigen. Varennez welcher sich noch nicht auff alle Rencke verstund / war frölich über solchem / und glaubte / daß das Glück ihm wieder vergelten würde auff einer / was ihm das Unglück auff der andern Seiten geraubet hatte / nahm den Brieff / und folgete denen / so ihm denselben gegeben hatten; Führeten ihn in das nechste Hauß / und da sie ihn daselbst an der Thür eine Zeitlang hatten warten lassen / kamen sie zu ihm / und sagten / daß ihr Herr kein klein Geld hatte / alß nur ein Stück von 110 Stüber / und wann er eine Cron / oder 50 Stüber an Müntz hätte herauß zugeben / solte besagtes Stück sein seyn. Er wegerte sich nicht / ihnen zugeben / was sie begehren / in[522] Meynung / er würde guten Gewinn daran haben. Von dannen gieng er wieder in die Meß / aber das Unglück traff ihn / daß man ihm den Beutel / darinnen sein Geld war / abschnitte / als er im Gedräng die Schildereyen zu betrachten / sich auffhielte / und blieb ihm nichts übrig / als die Kette / und das stück Golds / so er von diesen zween empfangen hatte; Nichts destominder merckte er nicht / daß er war angeführet worden. Nachdem er nun an unterschiedlichen Orthen zu Paris gesehen / was man schönes da mercken kan /nahm er seine Herberge nahe bey der neuen Brücken /eben in dem Hauß / da die Beutelschneider / Spitzbuben und Landstreicher sich gewöhnlich hinbegaben. Eben zu Varennez in dem Wirthshause ankommen war / ward er gewahr / daß sein Beutel abgeschnitten worden / darüber ward er sehr bestürtzt / doch gab er sich bald wieder zu frieden / da er seine Ketten und das Goldstück fand. Indem er also seinen Verlust beweinet / gesellet sich ein Spitzbub zu ihm / ihn zu trösten / daß man nemblich sich nicht muste überwinden lassen von der Traurigkeit / in Betrachtung / daß man doch die verlohrne Sachen nicht wieder zu wegen bringen könte / auch daß / weil er von Amiens wäre /er ihm alle treue Dienste zu leisten / erbietig wäre /ihn auch mit Geld versehen wolte / wann er dessen würde bedürfftig seyn. Alle diese Vortheil erfreueten Varennez / aber er wuste die Verrähterey nicht / die unter solchen Worten ihme angerichtet ward. Er danckete ihm fleißig / und nahete sich mehr zu ihm / der ander bat ihn zum Nacht-Essen / und sagte zu ihm /daß er entschlossen wäre / ihm ein gutes Stück zukommen zu lassen. Nun ist zu mercken / daß besagter Varennez wolbekleidet war / das machte / daß die Landstreicher auff ihn laureten / vor allem hatte er[523] einen schönen Mantel von Spanischem Tuch. Der Aufschneider / der ihn zum Nacht-Essen geladen /entlehnet durch Gleißnerey seinen Mantel / ihn überredend / daß er seinen in der Kammer gelassen hätte /und unter dem Schein als wolte er bey Sainct Germain gehen / einen Capuner zukauffen / wendet er sich nach der Gassen S. Honorari / und ward von derselben Zeit nicht mehr von ihm gesehen. Unterdessen wartete Varennez im Wirtshauß / und bekümmerte sich nicht viel umb das Nachtessen / wann er nur seinen Mantel wieder gehabt hätte. Es war aber noch nicht das letzte Ungemach / so über ihn verhängt war. Dann nach dem er auff die eitele Hoffnung seiner Ketten und des Goldstücks zu Nacht gezehret hatte / befand er / das sie falsch war / und er betrogen worden. Hierauff legte er sich schlaffen / und vermeynete / daß / weil er so viel Unglück erlitten / würde ihn je das Glück die Nacht in guter Ruh lassen. Aber wie anfangs erwehnet / daß dieß Hauß eine rechte Auffenthalt war der Landläuffer / kamen sie des Nachts heimlich / ihme seine Kleider zuentwenden / blieb also der unglückliche Varennez allein / nackend / und darzu ohne Hülff einiges Menschen.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 519-524.
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