IV

[106] Aurelie bringt als Einlage in die Variationen über das Thema des fleischlichen Genusses einige philosophische Gedanken über falschverstandene Sitte, die Liebe, Schönheit, Freude tötet und die Welt in eine Hölle verwandelt.


»Steh auf, Clementine, du mordest deine Seele, die Früchte deines Leibes durch wollüstige Triebe und gierige Befriedigung. Aber fürchte dich nicht, solange Millionen ihr Leben auf dem Schlachtfelde für Unsinn verbluten, dem Ehrgeiz eines einzigen zu frönen, solange sind die Früchte des Weibes ein Rätsel des Leibes und seine Auflösung Fluch und Verdammen.

Lucilie! Lucilie!« fuhr Aurelie fort und faßte tragisch-lächelnd jene an der Hand, »gibt es ärgere Menschenmörder als die Großen? Die Welt hält Gericht[107] über eine Kindermörderin, o des Unsinns – tausendmal Tausende sterben schuldlos von der Hand ihrer Brüder. Doch Geduld! Es bleibt nicht so – Dort im ›Tartarus‹ hatten:


Die unschuldig mit Unrecht zum Schwerte verurteilt worden –

Hatten den nächsten Platz und ihnen wurde der Sitz dort

Nicht ohn' Urteil und Recht beschieden; richterlich hält

Minos die Urn' und das Los; er beruft die geschiedenen Seelen

Mit Strenge zum Verhör und erforscht der Schuldigen Leben –

Jenseits werden die Rätsel des Lebens uns aufgelöst.


Jenseits, Lucilie! Diese Erde ist der Opferaltar des Herrn, kein Gewissen wird verschont, keine Unschuld bleibt ohne Schuld; und der Sieg des Bösen ist – die Verdorbenheit des Guten.

Hüte dich vor dir selbst, vor deinen Leidenschaften, hüte dich vor der Liebe – und des Gewissens Riesenkraft, sinke zum Zwerge zusammen vor den Strahlen deiner hohen Einsicht. Im ›Tartarus‹ ist nicht gut zu wohnen, Lucilie«, fuhr sie lächelnd fort, »höre wie Bodmer weiter dichtet:


Dann ist die Gegend, die folgt, den Finstern gegeben,

Die an sich selbst Hand gelegt und unwillig zu leben,

Ihrem Geist aus dem Leibe gejagt. Wie wünschen sie jetzt

Unter dem oberen Himmel mit Not und Jammer zu kämpfen!

[108] Aber das Recht verbeuts, sie bindet der traurige Fluß an,

Und der verhaßte Pfuhl, der Styx, der um die Gefilde

Neunmal herumgeschlungen sie hält. Nicht weit von dem Platze

Lieben die Läng' und die Quer' verbreitete Felder des Jammers

Weit umher. Der Name, mit dem sie genannt sind, ist: Wehe.

Hier verbergen sich in die entlegensten Gründe die Seelen.

Welchen die unerbittliche Liebe am Leben genagt hat.«


»Die unerbittliche Liebe«, versetzte Lucilie – »nein, diese kenne ich nicht – sie heißt Haß. Mais:


C'est un autre amour dont les vœux innocents

S'élevent au dessus du commerce des sens.


Corneille.


Warum fürchten wir diese?« Aurelie drückte einen Kuß auf Luciliens Lippen, zog ihr das Brusttuch auf, küßte sie auf die linke Brust und fuhr fort:


»Hier versteckt sie ein Wald von Myrthensträuchen. Die Sehnsucht

Plaget sie nach dem Tode. Hier wohnen Phädra und Prokris.

Hier ist Eriphyle, sie zeigt die grausame Wunde.

Die ihr Sohn ihr geschlagen, Pasiphae hier und Evadne,

Laodamia bei ihnen und Käneus, ein Jüngling geboren,

Nachher ein Weib, dann wieder zurück zum Mann gebildet

Und Dido von Sidon

[109] Die alle und Tausende irren da immer, verloren durch Liebe.«


Dieses mit Emphase und hoher Rührung gesprochen, reicht Aurelie Clementine die Hand, die soeben sie gezüchtigt hatte, und Clementine küßt sie. Lucilie Volanges flog an das Pianoforte, phantasierte und sang:


»Weich geschaffen, dringe unter Lust und Schmerzen

Meines Schicksals Härte mir zum Herzen.

Der Natur geheimste Reize fesseln mich,

Für das Schöne hebt mein Busen sich.«


Aurelie trat leise zu ihr hin, bückte sich, griff ihr unter die Kleider und entblößte sie bis an den Gürtel, ihr dann die Lenden voneinander ziehend und den geheimsten aller Reize betrachtend, erkennt sie an den hervorstehenden üppigen glühendroten Lippen der Wollust, in der zarten und naiven Volanges keine Venus, die züchtig verbirgt, was sich verbergen läßt, sondern eine keusche Diana, die natürlich enthüllt, was die Natur an ihr nicht ins Verborgene zeichnete.

Noch weiter voneinander zog Lucilie ihre Lenden und fragte lächelnd: »Nun, was bin ich?« und riß Aurelien die aufgehobene Kleidung aus den Händen.

»Ein Engel bist du«, rief entzückt Aurelie, »eine Diana, ein offenes Geheimnis der Natur«, und küßte ihren Mund.

Lucilie lachte, schob Aurelie auf die Seiten und sang und spielte:


»Rasch, Geliebter! öffne meines Schoßes Lippen –

Eh' noch Sappho von Leucatens Klippen[110]

Ihrem Phaom krampfhaft jetzt entgegenstöhnt –

Jede Lust der herbe Schmerz verhöhnt.


Frech zerreiß den Schleier meiner weißen Lenden!

Lass dich nicht von ihrem Glänze blenden.

Zwischen ihnen thronet Amors Lebenskraft,

Stirbt des Herzens blöde Leidenschaft.


Leg' die Kleidung mir auf den gebeugten Rücken,

Meinen bloßen Hintern zu erblicken,

Den selbst Venus schöner, fester nicht ausspannt,

Wenn ihn züchtigt Mavors harte Hand.


Gute Götter! Oh, laßt mich in Lust und Schmerzen,

Laßt mich sterben unter Amors Schmerzen.

Dir, Geliebter, weih ich meinen Jungfraukranz!

Dir, Verhaßter, einen – Eselsschwanz!«


Wir lachten alle, und Aurelie führte mich zu Lucilie und deckte mich auf.

»Was hältst du von diesem weiblichen Amor?« fragte sie diese schäkernd und gab ihn ihr in die zarten Hände, indem sie Clementine winkte, uns zu verlassen.

Lucilie errötete und manipulierte mein Glied unter ihrer hohlen Hand so ausnehmend reizend, daß es sich zwischen ihren Fingern durchdrängte und seinen Balsam über ihre Lebenslinie ausgoß.

»Ha, ma petite; que vous êtes belle! Ein wahrer Käneus, Aurelie, ein kleiner Schäker!«

»Laß dich von ihm öffnen, Siöfna heißt die Liebesgöttin der Skandinavier, versuche es! Deinem Bräutigam bleibt doch noch viel zu tun übrig.«

»Venez, mon enfant«, rief Lucilie, hob ihre Röcke und ihr Hemd von allen Seiten in die Höhe und legte[111] sich mit ausgebreiteten Lenden aufs Sofa. Ich, berauscht vom Anblick solcher nie gesehener Reize, werfe meine Kleider von mir und stürze mich wie ein Herkules über sie hin. Unaufhaltsam dringe ich vorwärts, wehe tat ich der reizenden siebzehnjährigen Volanges; Blut, rosenrotes Blut floß vom Altar der Liebe; aber, ein Genüge vermochte ich ihr leider nicht zu leisten.

Bald war ich erschöpft, und matt sank ich neben der kräftigen Ritterin ins Sofa zurück.

Aurelie hatte ihre Röcke abgelegt, ihr Hemd unter das Korsett geschoben; kaum lag ich ohnmächtig da, so warf sie sich auf Lucilie, und beide vollbrachten ein so wütendes Fingerspiel, daß ihre Schenkel und Hinterbacken zitterten wie die Palmen Memphis', wie die Wogen des Ozeans, wenn Boreas sie zusammenschüttelt.

»Schmerz hebe die Lust«, fing jetzt Aurelie an und arbeitete fort, »und der Unlust träge, ärgerliche Sinne, vernichte wollüstige Vernichtung.«

»In allem, was du Sinnliches tust« – hier hob Lucilie ihren linken Schenkel so hoch in die Höhe, daß der ganze glühende Eingang der Lust sich versichtbarte, spreitete beide mit grazienhaftem Anstand voneinander und schloß sie wieder in so schöner pythischer Wut, rollte so begeistert die großen funkelnden Augen, blähte so herrlich den schwanenweichen Busen, und laute Seufzer erdrückten sich im lieblichen Munde so wollüstig, daß mir das Gesicht verging, und ich nur hörte, was Aurelie sprach – »liebe Volanges, oder beginnen willst, oder dir widerfährt, begleite dich sittlicher Anstand, sittliche Grazie. In der Befriedigung sinnlicher Lüste steht oft der Mensch unter dem Tier; sein stolzer Eigendünkel findet das oft lächerlich und schädlich, was ihm das Leben gab, und so manche Sorge,[112] so manchen verzweifelten Anschlag ihm aus dem niedergedrückten Gemüte wegrückte.

Die Tugend bedarf keiner Scham, und Schamhaftigkeit ist nichts als der letzte aufgehobene Schleier der Schönheit.«

Hier schmolzen beide zitternd und zuckend zusammen, und nach einem leisen Seufzer fuhr Aurelie fort:

»Die Macht der Schönheit ist unüberwindlicher als die Kraft der Tugend. Dennoch sind beide eins; und beide verderben unter dem giftigen Hauche des Neides; und beide richtet der unerbittliche Tod.«

Hier setzten sich beide, entblößt, wie sie waren, aufs Sofa.

»Es gibt eine weibliche Seelenschönheit, man sollte sie nur moralisch und durch bloße platonische Anschauungen genießen. Es gibt eine natürliche Körperschönheit, die gleichsam selbst zum Genuß einladet und es als ein Verbrechen gegen die gütige Natur an sehen darf, wenn man sie geringer schätzt als die Flamme oder die Muskatellertraube. Wäre ich Gesetzgeber, hier würde ich Todesverbrechen beweisen. Beide, die Schönheit der Seele und die des Leibes, sind ja ohnehin dem Verderben und der Auflösung unterworfen, warum sie nicht genießen, warum sich ihrer nicht teilhaftig machen?

Nicht zu lieben, nicht zu genießen, sind die größten Verbrechen gegen die Gottheit und Natur – aber der Teufel, welcher fähig ist, Unschuld des Gemüts und des Herzens, Reinheit der Seele und des Leibes, heiteres Leben, edles, frohes, einfaches Dasein zu beleidigen, zu vergiften und zu zerstören (und hierher inculpiert auch der ganze Troß der Kritiker und Despoten aller Art, als welche nicht gern allein wissen mögen, was gut und böse ist), für den sind Qualen der Hölle nicht Strafe genug.[113]

Zwar ist im Menschen die Macht tierischer Leidenschaften und sinnlicher Triebe oft so groß und unbezähmbar, daß nirgends kein sittliches Gefühl des Gewissens Rechte an ihm zu behaupten fähig ist, aber diese Tiermenschen entschuldigt der größte Mangel an intellektuellem und intelligentem Vermögen, Mangel an Gefühl und Einsicht. Was alles dem Kulturmenschen in einem hohen Grad mitgeteilt ist und durch eigene falsche Anwendung ihn bis zum raffinierten Bösewicht herab- und hinauf zu bringen vermögend ist.

Niemand – meine Liebe, hat ein Recht, mir das zu entziehen, was die gütige Natur und ihr Schöpfer mir verliehen haben, niemand ein Recht, mir Gesetze vorzuschreiben, wo meine natürliche Willensfreiheit nicht die eines anderen Individuums beeinträchtigt, und was die Sittlichkeit mir nicht selbst diktiert und die Liebe als verwerflich erscheinen läßt, davon überzeugt mich kein Gesetz.

Richter des Herzens und der Sinne, der Taten und des Lebens erheben sich zwar unter und über den Menschen wie wütende Stürme und Gewitter, Pest und Krieg über den Kreis der Erde, zu ihrer Strafe, zu ihrem endlichen Erwachen. Kein Gesetz aber kann mir aufgeben, das subjektivisch zu ehren, was objektivisch die Gewalt hat, mir zu schaden oder mich zu demütigen. ›Wer bist du, der du dich unterstehst, deinesgleichen oder andere zu richten, ihnen die höchste und reinste Objektivität dessen, was da richtet, vor die Augen zu stellen?‹ Diese Frage, liebe Lucilie, erstreckt sich über alles, was dem Menschen imputiert oder zugerechnet werden kann.

Lassen Sie es sich gesagt sein, das Anmaßende unserer Natur und Erziehung hat die härteste Scheidewand zwischen Mensch und Mensch gezogen, und sie allein[114] ist das erste und größte Hindernis der Selbsterkenntnis.

Wie tief ist der Mensch gefallen! Neid, Zorn, Rachgier, Bosheit, Unbilligkeit, Härte, Ungerechtigkeit, List und Betrug füllen das innerste Heiligtum seiner Seele, gehen in Taten über und prägen sich in den ärgsten Zügen auf seinem Angesicht aus. Lavater hat nur die guten Stoffe der Physiognomik behandelt; eine wahre Musterkarte aus des Teufels Fabrik ist auf jedem Bel paré und jeder Spielgesellschaft zu ersehen, selbst im höchsten Genuß der Geschlechtsliebe dringt der Dämon des Verderbens à la Justine hervor.

Wie nun den Menschen im Menschen dem Verderben entreißen? Wie hoch, auch noch so tief gefallen, ist er fähig, sich zu erheben, durch den Zauber der Imagination, durch Erkenntnis der sichtbaren und unsichtbaren Gottheit in der Natur wie im Menschen, durch Tugend und Rechtlichkeit und Pflicht.

Und wie fröhlich laden nicht die Sinne das reine Gemüt des Naturkindes zum Genuß ein. Alles schmilzt in uns in Andacht dahin, bei den einfachen und harmonievollen Akkorden der Glocke – durch erhebenden Gesang, durch erhabene und heilige Geheimnisse stimmt das Herz sich für die Gedanken einer besseren Welt. Das virgilische Geläute der fröhlichen Herde, das Zwitschern der Zikade, die himmelansteigenden Töne der Lerche, unsere vom Feuer des Tagesgestirns in glänzenden Farben prangende Atmosphäre und das sanfte Licht der Still unter den Geistern der Nacht dahin wandelnden Selene, o Lucilie, dieses alles – Natur und Kunst – Gottes- und Menschen-Schöpfung – Lust und Schmerz, der herrliche kraftvolle Leib eines deutschen Herkules und der Rosenschmelz einer französischen Psyche – erheben den gefallenen, von niedrigen Leidenschaften und Genüssen befleckten Menschen[115] aus dem angewöhnten und anerzogenen Schlamm seiner Unarten, erheben ihn, daß er frei seiner Tierheit sich entlassen, frei in das glühende Auge der Welt und in das sanfte eines liebenden Weibes zu blicken vermag – erheben ihn zur Andacht und zum seligen Entzücken.

Aber es soll auch dieser Mensch, sollen wir so empfinden, so genießen, daß wir nicht vergessen das Elend von Tausenden und abermal Tausenden, die für alles dieses weder Sinn noch Gefühl haben.

Nur die Mittel, wie dieses geschehen soll, stehen nicht im Willen gemeiner Meinung, bleiben noch zum Teil Fragen ohne Antworten. Sollten wir durch die strenge Zucht moralischer Forderungen, gleich militärischen mit Exekution eingetrieben, sie für dergleichen verkannte Lebensgüter empfänglich machen?«

»Um aller Götter und Heiligen willen nicht!« rief Lucilie aus. »Du! – eine Priesterin der Natur, geschmückt mit Euphrosinens und den Reizen der heiligen Genoveva zugleich, wer würde dich in Paris, Chantilly oder Sarange unter einer solchen Dogmakapuze nicht unausstehlich finden?«

»Du hast recht«, fuhr Aurelie fort, »es gäbe keinen größeren Unsinn, keinen härteren Despotismus. Wie bisher soll es unsere Pflicht bleiben, durch unsere Reize zu siegen, zu bilden und zu bekehren. Der Macht der Schönheit soll selbst die weibliche Eitelkeit weichen, und der Liebe erhabenste und zärtlichste Momente allein unsern Triumph über männliche Gesetz-Tyrannei feiern. Wo aber dieses am brutalen Sinn des Tiermenschen abgeleitet wie fruchtbarer Regen am öden Felsenkuppen, da zeige das Weib, was es vermag! Eins sei Corday und Agrippina, Dido und Elisabeth von Angoulême; sie seien eins im ganzen Gefühl ihrer vollkommenen richterlichen Weiblichkeit.[116]

Aus hartem Marmor bildete Praxiteles seine gnidische Göttin, und die korinthische und dorische Säule trägt aufs edelste ungeheure Lasten. Verwandelt beide in Holz, wie mögen sie dem Wurm des bösen Gewissens und den Strömen widriger Schicksale und Leiden widerstehen? Darum bleibe eisern die Schönheit in eiserner Zeit und unwiderstehlich durchschneide sie Herz und Nieren, Sinne und Gedanken.

Versöhnend aber öffne sich unser Herz und Schoß da, wo das schielende Auge der Convenienz und die elende Politik der Selbstsucht, wo mit Gewalt aufgereizte Leidenschaften zu Verbrechen führen und den Unglücklichen an den Rand des Abgrundes der Verzweiflung schleidern.

Ja, Lucilie, aber entkleide dich! Fredegunde, hilf uns, Ein Kräuterbad soll unsere verscheuchten Sinne zurückrufen: Die Verhältnisse des Guten und Bösen, des Legalen und Unlegalen, sind oft so untereinander geworfen, daß sie ihre Rollen wechseln und gräuliches Unheil anrichten.«

Hier zog ich Lucilie die seidenen Strümpfchen ab. Ha, Monika, wie reizend war sie.

»Und noch nie«, fuhr Aurelie fort, »hat ein Mensch, auf dieser Erde gewandelt, sagen können: ich habe nichts zerstört, nichts abwendig gemacht von guter Tätigkeit, nie Gutes in Böses, nicht Böses in Gutes verkehrt!

So, liebe Lucilie, pflege ich zu philosophieren, und wie ich liebe und hasse, will ich Ihnen heute zeigen – kommen Sie!«

Aurelie stand schon nackend vor mir; Lucilie ließ den Unterrock sinken, und mit zitternden Händen streifte ich die letzte Hülle ihrer Schamhaftigkeit vom alabasternen Leibe.

Die schönen Hetären umfaßten sich, und Aurelie[117] sagte im Gehen durch mehrere Zimmer hindurch nach dem Bade, indem sie mir winkte, ihr zu folgen:

»Überall siegt das Physisch-Geschlechtliche, nirgends, selten das Göttlich-Intelligente, soweit es dem freien Menschen imputiert. Die Materia genetrix ist auch Materia peccans, und an ein Gleichgewicht zwischen Natur und Religion, Freiheit und Notwendigkeit ist nicht zu denken, solange die Tierseele über die Gottseele in vernünftigen Menschen siegt und Gesetze ihn zur verständigen Maschine bilden.«

Wir waren im Badezimmer, Aurelie sprang ins marmorne Becken und zog die zaudernde Lucilie sich nach; mir wurde bedeutet, ihr zuzuhören oder den Vögeln im Garten. Ich stellte mich an das hohe Fenster des Pavillons und wandte mein Gesicht gegen die zwei schönsten der Grazien, die je mein Auge wieder gesehen!

Aurelie fuhr fort:

»In allem, was Natur unserer Sinnlichkeit, von ihr Sittlichkeit das Reflexum, zu erkennen gibt, zeigt sie sich einfach und eins, allein im Element zusammengesetzt. Aber im Wesen des frei handelnden Menschen schwindet diese Einfachheit der Substanz; die Seele selbst, als das Einfachste aller Erscheinungen, ist in jedem Teile ihres Körpers etwas anderes, als sie ohne denselben sein würde.

Die Natur scheidet sich in allen ihren unendlichen Werken von der Einheit zur Einfachheit und einigt sich nur genetisch in der Haltung; aber der Mensch einigt und verbindet sich physisch und moralisch im Heterogenen und Komplikativen seiner Erfahrungen und Erkenntnisse. Nicht als gäbe es keine einfachen Menschen. Naturen und Wesenheiten, aber selbst diese besitzen die Fähigkeit, mit anderen sich, selbständig bleibend, zu vermischen, ja gänzlich in sie überzugehen,[118] ohne ihre Originalität zu verwischen. Eine Fähigkeit, welche weder die materielle noch tierische Natur – als Symbolik und Wesenstufenleiter von Geist und Menschheit – in specie, noch in genere besitzt, chemisch aber durch die Kunst der Menschen erzeugt werden kann.

Diese herrliche Kunst, durch welche der Mensch wie ein Gott der Natur befiehlt und eigenmächtig ihre festen Schranken umstürzt, durch welche er auch das Abweichendste zu verbinden vermag, diese muß uns lehren: ›Was wir sein können, wenn wir wollen – durch den Genius der Menschheit‹ während die ganze übrige Schöpfung erst der Allmacht des Schöpfers bedarf, um aus sich selbst herausgehen zu können.

Doch vergebens sehen wir Hände an den Menschen; sie gehen und handeln ohne Hände; das Elend frißt die eine Hälfte; das Laster verschlingt die andere Hälfte dieser vier zweibeinigen Erdbewohner, und wir gehen nicht weit um, rechnen wir sie zu den Affengeschlechtern. Zwar erhebt sich dieser Mensch durch seine Vernunft über die Tiere, aber seinen Charakter und seine Selbständigkeit muß er noch immer unter den Tieren suchen.

Und darum, liebe Lucilie, stehen auch wir auf dem Punkt, wo uns die Männer gern stehen sehen. Wir wollen ihnen die kleine Freude gönnen! Ihre Herrschaft sei wie bisher die Erde, wir durchfliegen die Räume der Himmel, und zurück bleibt der träge Erdenkloß trotz aller seiner Inspiration.

Komm her, Fredegunde, ziehe dich aus und beginne das Werk der körperlichen Reinigung an uns«, endete Aurelie, und ich gehorchte. Versehen mit wohlriechender Seife und Tüchern sprang ich zu ihnen hinein – in das lauwarme Bad, nach Hufelands Vorschrift bereitet, und fing mein Geschäft mit Aurelies üppigem[119] Unterteile, besonders mit allen ihren Erhabenheiten und Vertiefungen so emsig an, daß sie kaum Zeit behielt, ihren oberen Rosenmund zu öffnen und mir zu befehlen, an Lucilie mein Heil zuerst zu versuchen. Ich gehorchte, und Aurelie küßte Lucilies Brüste und befahl ihr, sich auf den Rücken zu legen und ihre Lenden voneinander zu breiten. Lucilie gehorchte, und ich begann und endete zwischen den schönsten Punkten des Lebens – zwischen Lucilies jungfräulich-enger Rose und der reizendsten Öffnung ihres hochgewölbten Hinterns – mit einer solchen energischen Besonnenheit, Schonung und Sachkenntnis, daß diese zärtliche Braut mir, als ich fertig war, mit einem Kuß lohnte. Während diesen herrlichen Manipulationen und Mesmerischen Reibungen sagte Aurelie noch folgendes:

»Hast du einmal Gelegenheit, Lucilie, deine Haut durch ein Vergrößerungsglas zu betrachten, so wirst du dir leicht eine treffende Ähnlichkeit zwischen dem Körper des Menschen und dem Weltgebäude zu abstrahieren verstehen. Diese ewige und unbewegliche Masse von Fixsternen sind das Gehirn des Äthers, aus ihnen fließt dem Geiste des Menschen alle Erkenntnis und alle Weisheit nach der Kraft und Empfänglichkeit seiner Organe zu. Feuer und Blut ist ein und dasselbe Fluidum. Beim Erblicken des Skorpions denke dir die Herrschaft des Herrn als schaffendes Prinzip; bei der Jungfrau die Regentschaft des Weibes, und Saturn ist das öffentliche Geheimnis der Zeugung. Alles, was der Mensch im Kleinen, ist die Welt im Großen, alle Teile ein zusammenhängendes Ganzes.

Auch die Zusammensetzungen und Verbindungen chemischer und mechanischer Reize auf und in dem animalisch-menschlichen Körper ergreifen durch den großen Überfluß chylischer Fülle dermaßen unsere Sinne in wollüstiger Leibesvereinigung, daß dadurch[120] aller Verstand, alle Bosheit und alle Tugend des Anstandes und der Schamhaftigkeit vernichtet, als völlig unnötig, gleich abgeworfenen Kleidern, in süßer Untätigkeit vor uns liegen. Himmel und Erde werden in Bewegung gesetzt, und die Herrlichkeit und Macht der Schöpfung gleicht einem Feiertag, dem Sinne und Gemüt in entzückender Andacht huldigen.

Aber, liebe Lucilie, zu einer solchen Schöpfungspalingenesie, zum Genüsse einer solchen Wollust gehört eine gesunde gewissensfreie Seele und ein von keinen Ausschweifungen entweihter Körper, wie offenbar unser Erdkörper schon ein solcher geworden ist und durch wiederkehrende Revolutionen werden wird. In unorganischen Körpern ist der Chemismus der Natur herrschend, je mehr die Kultur das Physische verläßt und sich verständlich dem sinnlichen Menschen macht, desto mehr werden die Güter des Genusses uns entzogen, und unser Eigendünkel allein ist es noch, der seine Stelle vertritt.

Seitdem die Schwanzperücken Mode geworden, gibt es keinen Herkules mehr, und der ungeheure Lockenwald aus dem Zeitalter der schönen Valière ist wahre Satire auf unsere kahlen Bunsenritter.«


So weit hatte Schwester Monika den versammelten Nonnen ihre und ihres Freundes Geschichte preisgegeben, als die Tür des Locutoriums aufflog und die immer rasch vorschreitende Schwester Pförtnerin der Schwester Monika einen dicken, dicken Brief einhändigte mit der Bemerkung, ihn habe eine Expresser gebracht.

Quelle:
E. T. A. Hoffmann: Schwester Monika. München 1971, S. 106-121.
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