Siebente Szene

[219] Hedwig, dann Frey.


HEDWIG. Sie wollen mich zwingen zu meinem Glück. Jemanden zwingen, glücklich zu sein! Legt beide Hände an die Stirne. O mein Gott, das ist ja ein unsinniger Gedanke!

FREY sich vorsichtig umsehend, tritt ein und kommt vor. Fräulein Hedwig!

HEDWIG. Robert! Leidenschaftlich mit beiden Händen die seinen erfassend und ihn etwas zur Seite ziehend. Warum sind Sie weggegangen, als ich Ihnen zu Gehör geredet, mich nicht zu verlassen?

FREY. Konnte mein Dazwischentreten etwas nützen?

HEDWIG. In Ihrer Gegenwart hätte ich den Mut gehabt, alles zu sagen, was mir auf dem Herzen liegt.

FREY. Und dadurch wäre der unangenehme Auftritt nur verlängert und verschärft worden.

HEDWIG. Wie bedächtig! Robert, ich breche Ihnen den Finger, um Sie aus dieser Gelassenheit zu bringen. Sagen Sie, was nun zu tun ist?

FREY. Sie kennen den Mann nicht genauer, der Ihnen bestimmt ist; ich werde Ihnen denselben schildern, und wenn Sie es dann nicht wissen, was zu tun ist – – Zuckt die Achsel. Es ist dies ein Mensch ohne alle Bildung, ohne jede bessere Anlage; seinem Vater rühmt man wenigstens Tätigkeit nach, der Junge aber rührt keine Hand und läßt andere für sich arbeiten, er hat sich nur die Aufgabe gestellt, das Leben zu genießen, und wenn Sie erst wissen, was ihm Genuß ist, dann können Sie nur mehr ein Gefühl für ihn haben, das des Ekels!

HEDWIG. Oh, was Sie auch über ihn sagen mögen, ich[219] glaube Ihnen, ich glaube Ihnen alles! Aber nicht nach ihm habe ich Sie gefragt, was sollen wir beginnen?

FREY. Es ist ein gewagter Schritt, den ich Ihnen vorschlage, aber es ist der einzige, und Zeit und Umstände drängen. Hedwig, vertrauen Sie sich ganz meiner Ehrenhaftigkeit an – laufen Sie mit mir in die weite Welt!

HEDWIG. Und wenn das nicht anginge, wenn ich mich gerade dazu nicht entschließen könnte?

FREY. Dann ist unser Schicksal entschieden. Ich habe mich für den Fall entschlossen, sofort wieder zum Militär einzurücken, und die Lektionen, die ich den Rekruten auf dem Exerzierplatze zu erteilen habe, wird mir Ihr Herr Papa nicht streitig machen. Mit einem Seufzer. Und Sie, Hedwig – Wendet sich ab, kleine Pause. –, wollen Sie Ihre Briefe zurück haben?

HEDWIG. Nein! In Ihren Händen weiß ich sie sicher.

FREY. Verbrennen Sie die meinen.

HEDWIG. Niemals. Ich behalte sie als ein teueres Angedenken auf.

FREY. Tun Sie es nicht. Der Zufall könnte diese armen Blätter einmal ans Licht bringen, und Sie ahnen nicht, welche Roheiten Sie dann von dem Manne zu gewärtigen hätten.

HEDWIG an seine Brust sinkend. Robert!

FREY jubelnd. Hedwig! Du gehst mit mir!?

HEDWIG sich aus der Umarmung lösend. Ich habe den Mut nicht – ich bin nicht leichtsinnig genug.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 219-220.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das vierte Gebot
Anzengrubers Werke: Teil 3. Doppelselbstmord.-Der ledige Hof.-Ein Faustschlag.-Das vierte Gebot.-'s Jungferngift
Das Vierte Gebot (Dodo Press)
Das vierte Gebot