Neunte Szene

[248] Stolzenthaler und Hedwig.


STOLZENTHALER sitzt, eine Zeitung in der Hand haltend, knapp vor dem Trumeaukasten. Also deine Eltern kommen heut?

HEDWIG. Die alte Schön hat die Post dagelassen.

STOLZENTHALER. Na, is recht.

HEDWIG sieht auf ihre Taschenuhr. Du gehst sonst um diese Zeit ins Kaffeehaus.

STOLZENTHALER. Ja, aber wenn ich einmal wegbleib, versäum ich auch nix.

HEDWIG. Warum liest du die Zeitungen nicht auf deinem Zimmer?

STOLZENTHALER. Ich seh da akrat so gut, warum soll ich s' denn auf mein Zimmer lesen?

HEDWIG. Ich bin's nicht gewöhnt, daß du mir da im Wege herumsitzst.

STOLZENTHALER. Das is gut! Bin ich außerm Haus, so heißt's, ich wär kein guter Familienvater; bleib ich aber[248] amal daheim bei meiner Familie, so ist's a wieder nit recht.

HEDWIG. Dagegen habe ich ja nichts. Aber mußt du gerade vor dem Spiegel sitzen?

STOLZENTHALER. Ich genier dich doch nit, und wozu brauchst du 'n Spiegel? Bist ja eh schön.

HEDWIG. Sehr galant! Aber ich möcht mich ein wenig zurechtmachen.

STOLZENTHALER. Gehst du aus?

HEDWIG. Ja!

STOLZENTHALER. So? Wohin denn?

HEDWIG. Ich werde meinen Eltern eine Strecke entgegengehen, und dann fahre ich mit ihnen im Wagen zurück.

STOLZENTHALER. Bist a gute Tochter.

HEDWIG ist ganz nahe an den Spiegel getreten, um Stolzenthaler zu verdrängen. Meinst du nicht, daß zu dieser Frisur eine lebende Rose gut stünde?

STOLZENTHALER. Freilich.

HEDWIG. Du könntest dich nützlich machen und mir eine aus dem Garten holen.

STOLZENTHALER. Da bringt dir wohl der Gärtner a schönere, als ich zu finden wüßt.

HEDWIG beißt sich in die Lippen und tritt zurück. Du bist sehr bequem.

STOLZENTHALER für sich. Da is schad, mich bringst net weg.

HEDWIG. Laß mich wenigstens meinen Hut nehmen.

STOLZENTHALER öffnet den Schrank. O bitte, den kann ich dir auch herausreichen.

HEDWIG. Zerknittere ihn nicht.

STOLZENTHALER gibt ihr den Hut. Da, ist gar nix daran geschehn.

HEDWIG. Danke!

STOLZENTHALER als ob er sich anschickte, den Kasten wieder zu schließen. Was hast du denn da für eine Schatulln, Hedwig?[249]

HEDWIG. Du kennst sie ja – mein Schmuckkästchen.

STOLZENTHALER nimmt es heraus. Richtig, die Schmuckschatulln: Ja so, du willst 'n Hut aufsetzen? Steht auf und geht mit dem Kästchen nach dem Tische, wiegt es in den Händen. Na, da drin hast schon hübsch was beisamm. Darf ma nit hneinschaun?

HEDWIG stellt sich unbefangen, folgt aber ängstlich allen seinen Bewegungen. Der Schlüssel wird ja stecken.

STOLZENTHALER. Nein!

HEDWIG. Dann weiß ich nicht, wo er ist, und nehme mir jetzt auch keine Zeit, ihn zu suchen.

STOLZENTHALER steht an der rechten Seite des Tisches, hält das Kästchen in der linken Hand und nimmt mit der Rechten das Messer von der Platte. Ich bring's auch ohne Schlüssel auf!

HEDWIG stürzt hinzu und faßt das Kästchen mit beiden Händen an. Aufbrechen laß ich's nicht!

STOLZENTHALER sieht sie groß an. Na, na, du stürzt ja her wie eine Löwin, der man ihr Jungs raubt. Man könnt meinen, weiß Gott, was da drin is.

HEDWIG läßt die Hände sinken. Es ist mein Eigentum, ich lasse es mir nicht ruinieren.

STOLZENTHALER. Bagatell, wegen dem Schlösserl. Hat sich rasch zur Seite gewendet und das Kästchen aufgebrochen. Offen is's! Stellt es auf den Tisch und nimmt einzelne Schmuckgegenstände heraus, die er auf die Platte streut. Na also, die Herrlichkeiten!

HEDWIG greift ebenfalls hinein und nimmt mit zitternden Händen einiges wie spielend heraus. Deinen Zerstörungstrieb hast du befriedigt, und wenn deine Neugierde gestillt sein wird, so sei so gut und verlaß mich, geärgert hast du mich ja genug.

STOLZENTHALER. Gleich sein wir am Grund! Er stürzt das Kästchen um und schüttelt es zwischen beiden Händen, triumphierend. Haha, da is ja noch was drin, in einm geheimen Fachel![250]

HEDWIG entsetzt, beide Hände vor die Stirne schlagend. August!


Stolzenthaler zerschmettert die Schatulle an der Tischkante.


HEDWIG sinkt in einen Stuhl, links, nahe der Wiege. Das ist eine Gemeinheit!

STOLZENTHALER hat aus den Trümmern ein Päckchen Briefe aufgelesen, dieselben emporhaltend. Ist das auch ein Schmuckgegenstand? Kleine Pause, schreiend. Ist das auch ein Schmuckgegenstand? Ich bitt mir eine Antwort aus!

HEDWIG. Schreie nicht wie verrückt! Wecke das Kind nicht auf! Mäßige dich!

STOLZENTHALER. Ich bitt, schaffen S' nur an! Lispeln und säuseln werd ich, wenn mir zum Aus-der-Haut-Fahren is! – Ist das wahr, daß Sie einen Feldwebel in Ihr Herz geschlossen ghabt haben, der Robert Frey heißt und dem Sie heut heimlich diese Briefe haben zruckstellen wolln? Ist das wahr?

HEDWIG. Wenn Sie es ohnehin wissen, was fragen Sie?

STOLZENTHALER. Trutzen a noch, statt auf die Knie fallen und um Verzeihung bitten?!

HEDWIG. Sie haben mir nichts zu verzeihen!

STOLZENTHALER. Nix?! Schleudert die Briefe auf den Tisch. Das da hab ich zu verzeihen! Wissen Sie, Mardam – das da! – Als aufgeklärter Mensch find ich nix daran, daß man Sie schön gfunden hat, auch an dem Briefwechsel find ich nix, denn bei dö meisten Madln hat in gwissen Jahrn a Süßholzraspler ein Anwert, bis ihnen die Augen aufgehen, wann a Mann kommt, was a Mann is, und der war da ich, der Stolzenthaler – oder ich bin's net gwesen! Denn in solchenen Fällen fliegen so unnötige Papierln stantepede in Ofen, nit, daß man sie aufbehalt, noch viel weniger, daß man sie nach Jahr und Tag dem Schreiber heimlich zruckgibt, daß der Mosjö sich einbilden kann und mer selber auf den Glauben kommt, daß mer noch auf ihn denkt, denn wann noch auf ihn denkt wird, dann bin ich's net gwesen, dann hat den Stolzenthaler – der für sich d'[251] Beste noch z' schlecht halt – a Schlechte zum besten ghalten! Verstanden, Mardam? Dann haben Sie den armen Teufel nur laufenlassen, weil er ein armer Teufel is, und den Stolzenthaler nur gnommen, weil er a Geld hat, und das is eine größere Gemeinheit, eine zehnmal größere Gemeinheit, als Sie mir an den Kopf werfen können.

HEDWIG kalt. Lassen Sie sich scheiden!

STOLZENTHALER. O nein, wir bleiben beisamm, jetzt fangt erst unser Zsammsein recht an. Ich werd Sie koramisieren, daß Ihnen alle Freud darüber vergeht und daß Sie's gwiß hundertmal im Tag bereuen, daß Sie sich zur Frau von Stolzenthaler hinaufgeschwindelt haben!

HEDWIG fährt vom Sitze empor und auf Stolzenthaler zu. Wieder?! Sie sagen es noch einmal, ich hätte nach Ihnen verlangt?! – Ah, mein Gott – und wenn Sie sich an mir vergreifen, ich werfe Ihnen die Wahrheit ins Gesicht! – Nicht mein Wille war es, der mich in dieses Haus brachte, denn zu erfahren, was ich hier erfahren mußte, dazu drängt sich kein Weib, das auf sich hält. Sie haben mir meine bescheidene Bildung zu verleiden gesucht. Musik, Lesen, all das schalten Sie langweilig, fade, unnütz. – Sie verlachten mich, wenn mich das Elend anderer rührte; Sie höhnten, weil ich nicht den Ton Ihrer Gesellschaften nachahmen wollte; Sie taten alles, um mir so widerwärtig zu bleiben, wie Sie es mir vom Anfange an waren, als man mich gezwungen, Sie zu nehmen – hören Sie? – gezwungen!

STOLZENTHALER. Gezwungen? Haha! So redn wir halt jetzt. Gezwungen, den Stolzenthaler zu nehmen?! Daß ich net lach!

HEDWIG. Auf was pochen Sie nur? Was wollen – was können Sie einem Weibe sein? Sie, der Sie geschaffen sind, jedes elend zu machen! Selbst wenn Sie sich eines vom Schmutze der Straße auflesen, kann es Ihnen nicht dankbar sein. Sie faßt ihn an der Hand und wendet ihn einen Schritt gegen die Wiege. An der Wiege des Kindes – das[252] dort hinsiecht und vergeht, statt zu gedeihen – sage ich Ihnen, so läßt sich kein Weib um sein Mutterglück betrügen! Das trägt keine, die ärmste, die elendeste nicht, nicht um alles Geld!

STOLZENTHALER herrisch. Nix mehr über den Punkt. Kleine Pause, dann gedrückt. Wenn deine Eltern kommen, reden wir weiter, jetzt führt's zu nix. Ich geh nunter ans Tor und erwart s'. Die Brief steck ich zu mir. Steckt dieselben in die Brusttasche, geht an die Türe rechts, zunächst der Rampe. Überleg dir's, was du vor deine Leut sagen willst. Ab.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 248-253.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das vierte Gebot
Anzengrubers Werke: Teil 3. Doppelselbstmord.-Der ledige Hof.-Ein Faustschlag.-Das vierte Gebot.-'s Jungferngift
Das Vierte Gebot (Dodo Press)
Das vierte Gebot

Buchempfehlung

Reuter, Christian

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.

46 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon