Vierte Szene

[261] Vorige ohne Johann und Tonl. Gäste.

Von rechts treten nach und nach Personen auf und besetzen die drei freien Tische. Mostinger läuft bedienend ab und zu.


SCHALANTER zu Josepha. Na, setz dich amal!


Nachdem Josepha Platz genommen, sitzen die Personen an diesem Tische in folgender Ordnung: Schalanter Katscher Josepha Frey Martin Barbara Sedlberger Stötzl.


SCHALANTER. Ich muß eng ja aufführn. Es is nämlich[261] unsern Sohn sein Herr Feldwebel, der uns die Ehr schenkt. Erlaubn S'! Das is dem Martin sein Schwester, das is mein Alte – Barbara, a schöns Buckerl –, dö andern gehn mich, Gott sei Dank, nix an.

STÖTZL, KATSCHER, SEDLBERGER. Oho!

SCHALANTER. Sehn S', Herr Feldwebel, jetzt habn S' d' ganze Familie kennenglernt.

FREY. Ja, jetzt kenne ich die ganze Familie. – Wirt, zahln!

MOSTINGER an einem der rückwärtigen Tische beschäftigt. Gleich werd ich kommen!

SCHALANTER. Aber, Herr Feldwebel, werdn doch nit schon gehn? Wär uns nit lieb, wenn wir Ihnen von da vertreibeten, wir hätten – weil sich grad die Glegenheit schickt – a paar Wörtel wegn unsern Martin z' reden.

BARBARA. Ja, der arme Teufel klagt, daß S' so viel streng gegen ihn sein.

FREY. Soll er sich anders halten, wird er nicht zu klagen haben.

BARBARA. Na, a bissel a Nachsicht kann man doch ein jungen Menschen angedeihen lassen.

FREY. Wenn er's verdient.

BARBARA. Pepi, komm da hrüber, daß d' a für dein Bruder reden kannst!

FREY. Lassen Sie das Mädchen, wo es sitzt!

SCHALANTER. Sie soll nur bleibn, auf Madeln halt der Herr Feldwebel nix.

MARTIN. Und, Gott sei Dank, kann ich a für mich selber reden. Schon lang hätt ich gern um a Auskunft ersucht, warum grad gegen mich so vorgangen wird.

FREY. Weil Sie mich vor Ihren Eltern fragen, so will ich Ihnen die Antwort nicht schuldig bleiben. Ich handle nicht aus Gehässigkeit gegen Sie, ich tue meine Pflicht. Sie sind der Nachlässigste, sind ein Trinker, ein Raufbold –

BARBARA. Das sind Schwächen.

SEDLBERGER. Der Mensch is kein Vieh, wenn er a a Soldat is.[262]

FREY. Und wie Sie verlangen können, daß man Ihnen alle Ausschreitungen nachsehen soll, das begreif ich nicht. Wir haben in der Kompagnie Leute aus den besten Häusern, die ihrem Dienst unverdrossen nachkommen und vor denen man Sie nicht herumschreien lassen kann, daß Sie sich für einen Soldaten zu gut fühlen.

MARTIN. Ich bin a zu kein geborn.

FREY. Das glaub ich. Wenn ich es aber, soweit an mir liegt, versuche, einen aus Ihnen zu machen, so geschieht es zu Ihrem eigenen Besten, und vielleicht sehen Sie das später auch einmal ein.

MARTIN. Dank schön, geben S' Ihnen dö Müh net. Da sitzen meine Eltern, noch brauch ich kein Vormund, und zu was ich nit taug, taug ich nit!

FREY. Sie taugen auch sonst zu nichts.

MARTIN. Oho, Herr Feldwebel, da fragn S' amal da herum, an dem Tisch sitzen Leut, die mich besser kennen.

SCHALANTER. Ah, Herr Feldwebel, unser Martin hat ein Kopf!

STÖTZL. Der Schalanter-Martin is a ganzer Kerl!

SEDLBERGER. Verstanden?!

FREY erhebt sich. Mit wem red ich? Mit dem Martin Schalanter doch allein! Zu diesem. Woher Sie diesen Dünkel haben, weiß ich nicht. Im Haus ist Ihnen wahrscheinlich zuviel nachgesehen worden, und Sie haben nicht das beste Beispiel vor Augen gehabt.

SCHALANTER. Das geht auf uns!

FREY. Solchen Sinn aber biegt oder bricht die Welt. Solange ich Ihr Vorgesetzter bin, werde ich sorgen, daß Sie der Kompagnie weder außer der Kaserne noch in Reih und Glied Schande machen, darauf geb ich Ihnen mein Wort, und damit haben wir ausgeredet. Adieu! Wendet sich. Herr Wirt!

SCHALANTER. Das laßt du dir und uns sagen?!

MARTIN. Laßn mer's gut sein, Vater! Net hetzen, Sie wissen, wann ich amal anfang, weiß ich nit, wo ich aufhör![263]

SCHALANTER verächtlich. Feiger Kerl!


Frey zählt gerade Mostinger Geld auf die Hand.


MARTIN gepreßt. Herr Feldwebel, es is nit recht, ein Menschen so zu reizen! Verstehn S'? Es war schon oft da, daß, wann der Mann vor der Front sein Teil kriegt hat, bis's ihm zviel wordn is, daß hernach der Unteroffizier a vor der Front sein Teil kriegt hat, der grad gnug war.

FREY. Diese alberne Drohung hör ich nicht das erstemal von Ihnen, ich will sie auch diesmal nicht gehört haben. Ich fürchte Sie nicht.

SCHALANTER. So hau ihm doch das von der Stolzenthaler aufn Tisch, damit wir a amal reden.

FREY rasch hinzutretend. Was nannten Sie da für einen Namen?

MARTIN. Kennen S' ihn? Haha! Mein lieber Herr Feldwebel, da nehmen S' Ihnen ein Beispiel dran, daß man sich auch mit Leuten, die man veracht, nit verfeinden soll, weil man nit weiß, was einm die für ein Streich spielen können.

FREY bestürzt. Was heißt das?

MARTIN. Das heißt, daß wir vor einer gwissen Villa im Hinterhalt glegen sein und daß die gwisse Dame nicht kommen kann, weil der Herr Gemahl alles weiß!

FREY. Mein Gott, Sie haben die arme Frau denunziert? Um mir einen Possen zu spielen, ein wehrloses Weib preisgegeben –! Ah, das ist feig! Sie sind noch erbärmlicher, als ich gedacht habe, Sie sind wirklich, wie es sich von einem Menschen erwarten läßt, dessen Vater ein Säufer und dessen Mutter eine Kupplerin ist!

SCHALANTER. Derschlag ihn!

MARTIN stürzt an dem Tisch vorüber, auf Frey zu. Das nehmen S' zruck!!

FREY faßt ihn an der Halsbinde und dreht ihn hinter sich. Beiseit, Schuft! Geht vorne an dem Tische vorbei, biegt dann in die Gasse ein.[264]

MARTIN ist nach dem Gewehr gestürzt, hat es vom Nagel gerissen, ruft ohne Aufregung, ganz in dem Tone, als hätte er noch etwas Gleichgültiges zu sagen. Herr Feldwebel! Schießt, wie sich der Gerufene nach ihm kehrt.


Frey stürzt lautlos zusammen.


MARTIN wirft das Gewehr weg. Du wirst kein mehr seckiern!

JOSEPHA ist aufgesprungen, hat sich bei dem Schusse die Ohren verhalten, jetzt läuft sie auf Martin zu, aufschreiend. Jesus! Marie! – Martin, was hast denn tan?!

MARTIN abwehrend. Weg! Laß mich fort! Stürzt in die Kulisse links ab.


Josepha folgt ihm.

Wie Martin auf Frey anlegte, war an den Tischen folgende Bewegung: an dem rückwärts links abwehrende Gesten, sowohl dem Bedrohenden als dem Bedrohten geltend; an dem rückwärts rechts ducken sich die Personen, um nicht etwa durch einen Fehlschuß getroffen zu werden; an dem Tische vorne rechts versuchte man, Frey durch Gebärden zu warnen, obwohl er schon mit dem Rücken gegen diese Gesellschaft steht; wie der Schuß fällt, lösen sich diese Gruppen, und dann drängt alles gegen den Gefallenen, wobei der Tisch rückwärts rechts umgeworfen wird. Nur an dem Tische vorne links,

wo alles entsetzt aufsah, bleiben nun alle erstarrt sitzen, allein Barbara ist aufgestanden, aber auf den Stuhl, wo Frey neben Schalanter gesessen, hingesunken.


ALLE durcheinander. Mord! – Hilfe! Er hat ihn erschossen!

BARBARA händeringend. Oh, mein Gott!

MOSTINGER schreiend. Gendarmerie!


Unter allgemeinem Tumult fällt der Zwischenvorhang.


[265] Verwandlung

Gegend in einer Au. Ein kleiner Wiesenplan, rings umgeben von Büschen, dieselben schließen dicht, nur rechts und links (erste Kulisse) schmale Pfade. In Mitte des Hintergrundes ein breiter Weg, derselbe liegt schräg gegen den Vordergrund und bildet eine kleine Erhöhung, welche die Auftretenden hinan- und – gegen die Bühne – hinabsteigen müssen. Über dem Ganzen leuchtet ein klarer, lichter Sternenhimmel. Die Bühne steht einen Augenblick leer.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 261-266.
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