Sechste Scene.

[38] Vetter ein Greis mit kahlem Kopf und an den Schläfen herabfallenden langen weißen Haarflechten, Priestergehrock, Gewandung etwas abgetragen, sitzt behaglich in dem Fauteuil; er hat eine Serviette übergebunden, die er während der ganzen Scene nicht ablegt; er ist durchweg sein humoristisch aufzufassen. Hell ein junger rüstiger Mann in der Soutane, sitzt ihm gegenüber auf dem Stuhl.


HELL gerade im Begriffe das Glas seines Gastes nachzufüllen.

VETTER deckt die Hand über das Glas und wehrt mit der andern die Bouteille ab. Nein, nein, ich danke, aber wahrhaftig, es wird sonst zu viel, ich bin es ja nicht gewöhnt.

HELL setzt die Flasche zurück. Sie rauchen?

VETTER. Ja, das heißt – allerdings wohl –[38]

HELL. Ich finde nichts Auffälliges daran, wenn Sie rauchen.

VETTER. Das ist sehr freundlich, manche wollten es mir übelnehmen.

HELL. Ich selbst rauche zwar nicht, aber wenn Sie erlauben – ich halte für meine Gäste ein gutes Kraut – so offeriere ich Ihnen ein Pfeifchen. Erhebt sich.

VETTER erhebt sich gleichfalls. Aber ich bitte, Sie bemühen sich zu viel um mich alten Mann, ich werde mich wohl selbst bedienen können.

HELL hat ihn auf den Sitz zurückgedrückt. Aber bleiben Sie doch, Sie bringen sich ja aus Ihrer Behaglichkeit. Geht nach der Etagère und holt das Erforderliche.

VETTER faltet vor sich die Hände. Ach ja, es war mir wohl schon lange nicht so behaglich.

HELL stellt das Gebrachte auf den Tisch. Bedienen Sie sich.

VETTER unter folgendem richtet sich eine Pfeife und raucht. Wenn Sie es erlauben! Wie Sie es doch gut haben, Herr Amtsbruder! Hm, wie hier alles so freundlich und behaglich ist, so recht wohlgefällig und lebensfreudig, so – gottesfriedlich! Sie sitzen auf einer der einträglichsten Pfarren und sind noch so jung, haben noch so viel vor sich – Sie haben wohl auch Protektion gehabt.

HELL. Nun, das wohl, der Propst von Elfkirchen ist mein Gönner, er kam oft in unser Haus, ich verdanke ihm viel, aber – Gott ist mein Zeuge – ich habe seine Protektion nicht gesucht, ich habe nicht versucht, irgend wen von seinem Platze zu verdrängen, um mich besser zu situieren.[39]

VETTER. Hm, das ist doch wohl keine Sünde, das geschieht ja täglich an allen Orten und ich mag es Ihnen wohl gönnen! Ich bin schon ein alter Mann und zu wenig mehr nütze, nun sitze ich da oben in Eis und Schnee, ich habe mir das freilich nie gedacht, daß es so kommen würde, nun ist es eben so geworden. Gesprächig. Ich bin der zweite Sohn armer Bauersleute und Sie wissen, man hat es gern, daß das kleine Erbe für den ältesten beisammen bleibe, da hat man mich denn zum Priester gemacht. Ich habe, als ich das Seminar verließ, viele hinter mir gelassen, die jetzt gar hohe Kirchenfürsten sind – freilich waren sie meist schon von Haus aus von hoher Familie und manch andere, die sich geschickt in weltliche Dinge zu mischen wußten, wenn es der Vorteil der Kirche wollte, haben auch ihren Weg gemacht; nun, ich taugte eben nicht zu derlei, so haben sie mich denn von Pfarre zu Pfarre geschoben und endlich kam ich da hinauf. Es ist wahr, ich brauche wenig, aber die Leute dort oben brauchten doch einen, der mehr ist als ich; mein Trost sind meine weißen Haare und jeder Tag, der vorübergeht, macht mich die wenigen noch übrigen geduldiger ertragen, aber damit tröstet man doch nicht diese armen Leute, die noch recht rührig sind und – oft wie gerne! – leben wollen!

HELL der in Nachdenken versunken. Wie heißt doch Ihre Pfarre?

VETTER. St. Jakob in der Einöd', Herr Amtsbruder. Ein Dorf, in welchem Sie nicht fünf Menschen finden werden, nicht fünfe, denen es so recht wohl und friedlich erginge. Alles herabgebracht vom Elend.

HELL. Das ist traurig, sehr traurig! Wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts, gar nichts dawider thun können![40]

VETTER. Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl, ich lebe ja wie sie, fast schlechter, einige, die es haben, leben jedenfalls besser als ich, ich neide es ihnen nicht – nur einem geht's gar elend, das ist der Schulmeister: winters über plagt er sich mit den Kindern, sommers laufen die ins Feld und er könnte sich wohl selbst zur Feldarbeit verdingen, wenn er es thun wollte, aber er will nicht. Ein eigener Mann, der Schulmeister, hat so überspannte Ansichten, will die Erde nicht recht als Prüfungsort gelten lassen und glaubt, die Menschen werden doch einmal ein Paradies daraus machen und der Herr seinen Segen dazu geben! – Hehehe! – Aber sonst ein braver Mann, der Schulmeister; sitzt aber seit Jahren nun da oben, ist so alt und so hinfällig wie ich und hofft, hofft noch immer, ich weiß nicht auf was.

HELL ergriffen, faßt über den Tisch mit beiden Händen die Rechte Vetters. Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so mutlos, so resigniert?

VETTER. Ach nein, ich war ja auch jung, aber wir werden doch alle so, der Esprit du corps, möcht' ich sagen, lehrt uns das Auffällige meiden und das Gute, das sich im bescheidenen Kreise thun läßt, drängt sich von selbst auf; da kommen die Ortsarmen, da kommen die Beichtkinder und zu den Sterbenden geht man hin, und im übrigen läuft die Welt so nebenher, ohne daß wir ihrer achten.

HELL fährt sich mit der flachen Hand über den Scheitel und sagt dann rasch, wie um auf ein anderes Thema zu kommen. Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht?

VETTER. Nun, früher ist's wohl leidlich gegangen, da konnte ich sie zu manchem Guten anhalten; aber jetzt, letztere Zeit, kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschlagen und schreien und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Eines[41] hat freilich bisher immer als letztes Mittel geholfen und würde es wohl noch; das war, daß ich sagte: ich würde nun mich ganz von der Seelsorge zurückziehen, gehen, und im Priesterhause meine Tage beschließen und sie könnten dann sehen, wie sie mit einem neuen Pfarrer auskämen, der wohl, wie alle jüngeren, auch in weltlichen Gemeindeanliegen wird mit raten und thaten wollen! Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluß gefaßt, zu gehen, es wollte schon eine Zeit her nicht mehr recht fort mit mir, ich bin nicht wie der Schulmeister, der hofft Näher rückend. und, Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich; er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht – wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben – so steh' ich denn allein und wenn ich heut oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen, darum bin ich nun ernstlich entschlossen und lass' jetzt die – wie es die Politiker nennen – die Kabinettsfrage aus dem Spiel, denn ob die Gemeinde nachgeben würde oder nicht, ich würde ja doch gehen und ich will ihr auch nicht einen frommen Betrug spielen. Weil ich das nicht wollte, haben sie diesmal in einer Angelegenheit wenig nach mir gefragt und weil ich das Drohen sein ließ, muß ich mich jetzt aufs Bitten legen und das thue ich bei Ihnen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen.

HELL. Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut.

VETTER. Die Sache ist die. Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte mit ihrer Hände Arbeit und dabei recht christlich ihr einzig Kind, ein Mädchen, erzog, das wuchs so heran, half bei der Arbeit, und so ging's denn Jahr für Jahr, ein mühselig, einförmiges Leben! Fiel dann einmal eine Krankheit die Alte oder das Mädel an, nun so mußte obendrein geborgt werden und so[42] ward das wenige liegende Eigentum, die Hütte und ein paar Joch Aecker richtig ganz verschuldet. Vorige Woche nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen, was vorhanden war, in Beschlag und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern; das arme Kind steht jetzt obdachlos, ganz einsam und verlassen auf der Welt. Wie ich bemerkte, ich konnte diesmal mich nicht so ins Mittel legen, daß es fruchten mochte, denn es ist viel, von diesen Leuten zu verlangen, daß sie entsagen, wo sie selbst kaum das Nötigste haben, das verhärtet das Herz; da hab' ich denn den Sarg der Alten aus Eigenem bezahlt und wegen der Jungen den Gang zu Ihnen gemacht. Ich weiß wohl, Sie haben die alte Brigitte, die haushält, aber die seufzt auch schon, wie ich höre, daß es ihr schwer ankomme, unserem Schulmeister hat sie ihre Not geklagt, er ist mit ihr verwandt; da dachte ich mir, ich wag' es, Sie zu bitten, daß Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben.

HELL. Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen.

VETTER. Nun, das ist recht christlich. Es ist ein recht braves, gescheites, anstelliges Dirndl; ich habe sie hieherbestellt, daß Sie sie sehen können; gefällt sie Ihnen etwa nicht, nun dann kann ich sie ja wieder mit mir nach Einöd nehmen und sie dort bei irgend einem Bauer als Magd – freilich nicht so gut, als ich es mit ihr meine – unterbringen.

HELL. Ihre Empfehlung genügt. Die Sache ist abgemacht. Gibt ihm die Hand.

VETTER schüttelt ihm die Hand. Ich danke Ihnen recht sehr!


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Stuttgart 31898, S. 38-43.
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