Dritte Scene.

[54] HELL allein. Sei mir gegrüßt, du heiliger Hauch des lange verlorenen Familienlebens, das wieder mit diesem Kinde in mein Haus gezogen ist! Wieder, wie einst in den Tagen, wo ich eifrig über meinen Studien saß, wird eine helle freundliche Stimme an mein Ohr schlagen, wieder, wenn ich das Auge von meinen Büchern hebe, werde ich in ein frisches, heiteres Antlitz blicken – und wieder werde ich wissen: ich bin nicht allein, ich muß auf der Hut sein vor mir selbst, muß jedes Fleckchen, das vielleicht dem Entfernteren unbemerkbar ist, aber in der Nähe doch übel auffällt, sorgfältig in all meinem Denken und Handeln löschen – und jenes Leben, das immer auf andere vorab Rücksicht nimmt, muß mir wieder zur zweiten Natur werden und nur wer so lebt, versteht dich, du Gott der Liebe! Und nur der, der ein Herz in den engen Grenzen seines Hauses recht erfaßt und verstehen lernt, der weiß sie alle zu fassen, alle zu verstehen, die Herzen, die in der weiten Welt pochen und hämmern, denn was auch die Welt an ihnen gesündigt, aus der Hand des Schöpfers sind sie doch gleichgeartet hervorgegangen – eine schwache zitternde Magnetnadel, über die die Ströme des Lebens hinziehen und sie vielfach ablenken, die sich aber doch nicht irre machen läßt und ihren Norden sucht ... die ewige Liebe!


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Stuttgart 31898, S. 54.
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