Vierte Scene.

[54] Hell. Wurzelsepp schwingt sich über den Zaun.


HELL durch das Geräusch aufmerksam gemacht, wendet sich. Wer ist da?[54]

SEPP eine kurze Pfeife schmauchend, kommt vor. Guten Abend!

HELL. Du, Sepp!!!

SEPP immer demütig, bis die ändernde Anmerkung kommt. Ich hab's ja g'wußt, daß d' mich doch kennst, wenn ich auch in kein' Kirchen komm!

HELL. Was führt dich noch so spät hierher?

SEPP. Ich bin eigentlich schon lang da – seit nachmittag schleich' ich da um'n Pfarrhof und seit einer Viertelstund' lieg' ich da hinterm Zaun.

HELL. Du horchtest, spioniertest? Pfui!

SEPP. Aus Zeitlang!

HELL gelassen. Wenn ich das gelten lasse, was weiter führt dich dann zu mir?

SEPP. Nichts – nichts – nur bedanken will ich mich, weil ich mich da hinterm Zaun so gut unterhalten hab'!

HELL. Du hast dich auf krummen Wegen, mit hinterlistigen Worten an mich herangeschlichen ... Sepp, du hast nichts Gutes im Sinn.

SEPP auflachend. Haha! Du bist schlau!

HELL. Als Freund der offenen That und der offenen Rede fasse ich dich denn gerade an, wo ich dich treffe und frage dich: Warum beobachtest du mein Thun und Lassen heimlich[55] und versteckt? Was kommst du wie ein Dieb in der Nacht in mein Haus?

SEPP gehässig. Weil ich dein Feind bin!

HELL. Mein Feind? Du irrst!

SEPP. Ich weiß recht gut, wen ich mein' – und ich sag' dir's ja, daß ich dich mein'!

HELL. Mein Feind! So habe ich denn einen Feind? Ich hätte das nicht gedacht! Was für Ursache habe ich dir je gegeben, mein Feind zu sein? – Sepp, du thust unrecht, auch dann unrecht, wenn du – wie ich fürchte – nur der Feind des Kleides bist, das ich trage.

SEPP. Drüber woll'n wir nit streiten, du tragst es ja ein mal doch das G'wand.

HELL. Das Kleid macht nicht den Mann – und nicht darauf kommt es an im Leben, was wir sind, sondern wie wir es sind.

SEPP. Das glaub' ich selber! Mit dem G'wand aber mußt du das sein, was ich mein' und so bin ich schon recht! Mit Schadenfreude. Ja, Pfarrer, du mußt's sein – mußt, wenn d' gleich nit wolltest – mußt, ob dir's jetzt 's Herz abdrucken will, oder ob du in Boden 'neinstampfst ... du mußt!

HELL. Mensch, was liegt auf dem Grunde deiner Seele? Woher dieser gehässige, feindselige Jubel?

SEPP. Weil mich's freut. Ein' von euch da zu sehn, wo ich vor zwanzig Jahren mich g'wunden hab' wie ein Wurm.[56] Damals bin ich auf die Knie g'leg'n vorm Pfarrer und hab' g'sagt: Herr! Das Derndl is mir in d'Seel' g'wachsen, wann's a a Lutherische is; unser Herrgott, der mir 's Herz in d'Brust geb'n hat, wird wissen, wie das hat g'schehn können. Gebts mich z'samm' mit ihr! Die Höll' hat er ledig auf mich loslassen – 's ganze Dorf aufg'hetzt wider mich – und mein' eigene Mutter von mir abg'red't – na, und wie die kommen is und g'sagt hat: »Sepp, thu's um mein' Seel'nruh net!« da hab' ich's sein lassen. Freilich hat 's Herz in mir aufg'schrien: »So is's Gotts Will net, daß der Mensch elend sein soll!« – aber ich hab' ihm g'sagt, es soll still sein, und seit der Zeit hat's nindascht mehr dreing'red't. Recht stad is's in mir word'n, ich hab' mein G'werk auf'n Nagel g'hängt, bin da 'naufkraxelt auf die Berg', recht hoch, wo's a so still und kalt is und bloß, daß ich mein' Gedanken auskomm', hab' i mir a Arbeit g'macht und Wurzel und Kräuter g'sammelt und so is aus'm Gerber- der Wurzelsepp word'n; – mein' Mutter hat den Jammer mit ang'schaut, helfen hat s' net könna, das hat s' g'wußt; sie hat g'wart' und g'wart', ob ich nit amol doch mit ein' freundlichen G'sicht hoamkomm' vom Gebirg. »Lachst denn gar nimmer, Sepp?« so hat s' g'fragt in die erst' Wochen a paarmal, dann mit der Zeit all' Tag und so fragt s' noch heut – nach zwanzig Jahr'n – sie hat sich hintersinnt. Fährt sich mit dem Aermel über die Augen, dann heftig. Weg'n mir 'leicht? Ich denk', das alles g'hört auf ein' andern sein Konto! Seit damals bin ich in keiner Kirch'n mehr g'wes'n und mein' Mutter – die erst aus Angst um mich und dann von selb'n z' Haus blieb'n is – geht a in keine und so sein wir a recht ordentliche Familie word'n! Freilich, a Müh' kost's schon, bis's einer so weit bringt, aber ich hab's so weit 'bracht, und jetzt, jetzt probier's du auch, Pfarrer!

HELL ergriffen. Du bist unglücklich! Sepp, du magst in der Absicht gekommen sein, mich zu beleidigen; ich weiß von diesem Augenblicke an von nichts, als daß du unglücklich bist.[57]

SEPP heftig. Ich brauch' dein Mitleid net!

HELL. Biete ich dir denn Mitleid allein? Sollte dir, dir allein unter Tausenden, der Trost so ganz ferne liegen, den ich dir bieten kann? O, wecke in dir nur ein Fünkchen Vertrauen! Glaube nur das, daß ich auch jenen gerne dienen will, die sich meine Feinde nennen!

SEPP. Haha, was ziehst denn so sanfte Saiten auf? – Gott bewahr' mich, daß ich je ein' Dienst von dir erbetteln müßt'! So weich du jetzt auch thust, wo du mich fangen willst – du würdest mir's doch eintränken, du würdest mir's doch nit vergessen, wo ich dich heut nacht g'habt hab'!

HELL. Rede offen, deute nicht immer an! Wo hast du mich denn heute, wo ich nicht schon gestern zu haben war? Um was bin ich über Nacht schlechter geworden in deinen Augen? Ich verstehe dich nicht.

SEPP wild. Laugn'st vielleicht, daß du der Dirn – der Ann' gut bist!

HELL sieht erschreckt auf Sepp.

SEPP kleine Pause. Du kannst's laugnen; aber du wirst's schon g'spür'n!

HELL erregt. Ich stehe deiner Verunglimpfung, solange sie mich – mich allein – betrifft, aber dies ehrliche Mädchen laß aus dem Spiel, es erfaßt mich ein heiliger Zorn –

SEPP einfallend. Is mir auch lieber, wenn d' herumschreist, dein sanfter Diskurs taugt mir schon lang nit – nur weck d'Nachbarsleut' nit, 's Dorf wird's noch zeitlich g'nug erfahr'n![58]

HELL. Keiner denkt im Dorfe wie du!

SEPP. Das mag sein, aber sie werd'n bald alle denken wie ich; ich fürcht' mich nit drauf, ich darf nur sagen, daß du der Ann' gut bist und sie glauben's, ohne daß s' weiter fragen, 's sein ja lauter gute Christen, ihr habt s' ja mehr 'n Satan, als unsern Herrgott fürchten g'lernt und so glaub'n s' auch eher 's Böse als 's Gute von ihr'n Nebenmenschen! Und wird mich 'leicht eins von euch Lug'n strafen? Die Anne, die mit ihr'n goldigen Kreuzel durchs Dorf statzt, g'wiß net und du, kannst du's? Dir klingt die Stimm' von dem Dirndl im Ohr wie der helle G'sang von an Waldvögerl, du schaust von deine Bücher auf nach ihrem frischen G'sichterl, du schenkst ihr das Kreuzl von deiner Mutter selig und gleichwohl du's nit haben kannst, das Dirndl, gönnst du's doch kein' andern! Du willst's halten und nit lassen für dein Lebtag! Und Dirn soll dir gleichgültig sein?

HELL gepreßt. Ich habe nichts mehr zu sagen – bist du zu Ende?

SEPP. Nein, mir hat's noch nit die Red' verschlag'n! – Weißt, ganz gleich hätt's ma sein können, ob du die Dirn gern oder ungern siehst, aber du warst ja im Land als ein Ausbund von Frummheit verschrieen – ich hab' an dich so wenig 'glaubt, wie an ein andern, und die Kirchfelder hab'n mir's übel g'nommen. Wahr is's, du bist der Best' g'wes'n, den s' noch in Kirchfeld g'sehn hab'n, vielleicht im ganzen Land! Du hast a wahr's Christentum in d'Gmeind' bracht, du hast ohne Schlüssel die Dorfschenk unter Tag g'sperrt, du hast den Raufteufeln auf die Tanzböd'n die Arm 'bunden, die ärgsten Lumpen haben sich g'schämt, dir und der G'meind' a Schand' z' machen und haben a öften vorm Lockteufel »kehrt euch« g'macht, du hast die Schul' brav g'halten, ja du hast die Kirchfelder dahin 'bracht durch dein Wort und[59] durch dein' Red', daß selb'n drüber zu denken und reden ang'fangt hab'n, ich red' nix von dein' Beispiel, ich red' nix von deine Wohlthaten für die arm' Leut', ich red' nix, wie du manchem Bauer an d'Hand 'gangen, daß er mit seiner Wirtschaft vom Fleck kämma is, und keins hat g'wußt, woher d' nimmst! Soweit warst du der Erst' und der Letzt'! Aber glaubst, deswegen haben die Kirchfelder aufg'hört, die frühern zu sein? Die Lumpen sein dir aufsässig und passen dir schon lang, ob s' dir nix abg'winnen können; die dir Dank schuldig sein, die schamen sich, daß s' dich braucht hab'n und machten's gern wett, und den Frummsten bist du 'leicht noch z' streng! Kenn du die Bagasch, wie ich sie kenn'! Jetzt aber bist du da, wo ich's den Kirchfeldern unter die Nasen reiben kann, daß du nit besser bist als ein anderer, und jetzt derleb ich's, daß all das, was d' so mühselig aufbaut hast, dir über'n Kopf z'samm'purzelt, wie a Kartenhaus!

HELL. Nein, nein, nein!

SEPP. Ich bin nit so dumm, wie ich ausschau'! Und ich kenn' mich aus! Hilft dir alles nix, die Dirn is dein Unglück! Ich weiß, du planst dir jetzt tausend Ausweg, wie d' sie bei dir halten könnt'st – aber du hast nur zwei Weg' und die führ'n dich dorthin, wohin ich dir g'sagt hab', und die kann ich dir nennen! Du kannst die Dirn entweder in Unehr'n halten, dann bist du den Kirchfeldern ihr Mann nimmer, oder du kannst s' mit Herzleid fortziehn lassen, dann is dir Kirchfeld und die ganze Welt nix mehr! Du hast dein ganzes G'werk alleinig aufrecht g'halten und ob dir jetzt die andern 's G'mäuer auseinand'werfen, ob du selber die Händ' z'ruckziehst – es fallt z'samm'! Und es fallt z'samm', sag' ich dir!! Entweder in Unehr'n halten, oder mit Herzleid fahr'n lassen, kein' dritten Weg hast net! Siehst, Pfarrer, da hab' ich dich und hab' dich so sicher, daß ich dich nit einmal z' halten brauch'! Und jetzt – b'hüt dich Gott! Schwingt sich über den Zaun.[60]

HELL ist auf einen Stuhl gesunken und hat den Kopf auf die Tischplatte gesenkt – kleine Pause – dann sich ermannend, steht er langsam auf. Und keinen dritten Weg, keinen dritten?! Geht gegen das Haus. O, diese Nacht wird kein Ende nehmen! Plötzlich innehaltend. Wie alles in mir tobt und wallt, wie mir das Blut gegen Herz und Hirn strömt! Nein! Stürzt zu einem Fenster und pocht. Brigitte, Brigitte!

BRIGITTE erscheint am Fenster. Hochwürden!

HELL. Schnell meinen Rock, meinen Hut! Dann kannst du das Thor schließen, ich komme erst mit Morgen wieder!

BRIGITTE. Um Gottes will'n, is 'leicht eins im Sterben?

HELL mit abwehrender Bewegung. Nein!

BRIGITTE. Aber, hochwürdiger Herr, du wirst doch nit jetzt in der Nacht spazier'n gehn? Denk das G'red' im Dorf, wenn dich 'leicht doch wer sieht!

HELL mit wiedergewonnener Ruhe. Nun, Alte, dann hat er einen schwachen, aber ehrlichen Mann gesehen, der sich selbst aus dem Wege geht!

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Stuttgart 31898, S. 54-61.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer Von Kirchfeld (Dodo Press)
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer von Kirchfeld: Volksstück mit Gesang in vier Akten

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Elixiere des Teufels

Die Elixiere des Teufels

Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.

248 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon