Vierte Scene.

[74] Vorige. Hell tritt à tempo rasch ein, bleibt, wie er die Gruppe sieht, einen Moment stehen und kommt dann langsam nach dem Vordergrund, währenddem kleine Pause.


ANNERL. Es war nix Unrechts, hochwürdiger Herr, wir haben uns versprochen.

MICHEL. Ja, alle zwei miteinander und ich schon gar!

ANNERL. Es war a nix Unüberlegt's!

MICHEL. Dös g'wiß net, ich weiß, wie ich ihr hab' zureden müssen.[74]

HELL schüttelt den Kopf. Du willst fort? Weißt du auch, daß ich das Vertrauen meiner Pfarrkinder eingebüßt habe, weißt du auch, daß sich alle von mir gewendet haben?

ANNERL nickt traurig.

HELL. Und doch! Nun denn, wenn dieser Tag zu Ende geht, so kann ich mein Haupt mit dem Gedanken tief, tief in meine Polster bergen, daß ich keine einzige Seele, daß ich kein einziges Herz mehr zu verlieren habe! Wenn ich doch wüßte, womit ich das um euch verdient habe! Zwar mag es klug sein, von dem zu gehen, den alle meiden; nur dich, Anne, hätte ich nicht für so klug gehalten; und sei es, ich will dir nicht weh' thun, du kennst mich ja nicht so lange, wie sie alle, die ich jahrelang geleitet, die ich zusammen geführt habe zur Eintracht in Leid und Freud', zum freien Ausblick in die weite Gotteswelt und drüber hinaus ins Land der Sehnsucht, sie waren eins unter sich, eins mit mir, sie sollten mich doch kennen! Vor ihnen bin ich offen gewandelt und sie konnten in all mein Thun und Lassen blicken – woher denn nun plötzlich der Zweifel an mir, an allem, was ich bisher gethan, doch nur für sie, und nicht nur der Zweifel an mir, auch der Zweifel an alle dem, was ihnen dies Kleid, das ich trage, vor Augen halten sollte!

ANNERL. So mußt nit denken, du thät'st ihnen und mir unrecht; du mußt dir's nit zu Herzen nehmen, daß sie jetzt abwendig thun, wo sie glauben, daß sie sich geirrt haben in dir, das soll dich just stolz machen, denn nit dein Kleid ist's, hochwürdiger Herr, du, du selber bist's, an was sie sich g'halten hab'n, dir sind sie gekommen, dir haben s' vertraut, du bist ihnen alles und drum reden s' und thun s' nit fein, wann s' glauben, daß sich eins zwischen dir und ihnen eindrängen möcht', denn sie wollen, wie bisher, dein' ganze Sorg', dein' ganze Lieb' für sich – es sein rechte Neidteufeln,[75] aber sei ihnen nit bös, sei auch mir nit bös, weil ich geh', weil ich nit möcht', daß sie von mir denken: ich möcht' mich eindrängen. Ich hab' dir zug'lobt, ich werd' dir treu dienen und ich mein' zu Gott, ich kann dir nit treuer dienen, als wann ich jetzt geh' und so geh', wie d' mich da siehst, für immer aus'm Pfarrhof, hinaus auf'n Lebensweg, Hand in Hand mit ein' braven Bub'n, dem ich nit feind sein kann, und nach'm alten Sprüchel: gleich und gleich taugt! Morgen werden wir zwei das ihnen schon sagen und alles sagen, was dir und uns taugt und wie's über Nacht kämma is, was dich kränkt, so soll's a wieder über Nacht 'gangen sein; nur mußt mir nit schwer machen, was sein muß, wann du – so a Mann – nit die Stärk' hätt'st, woher sollt' ich's nehmen? Ich bin nur a Weib, aber du bist ja mehr als ich, nur du, hochwürdiger Herr, laß dich's nit anfechten, nur du laß dir nix anhaben, daß was g'schieht, nit umsonst g'schieht. Ausbrechend. Denn sonst, mein' Seel', sonst lasset ich's gleichwohl sein, wann's für nix sein sollt', und haltet treu bei dir aus bis ans End'!

MICHEL stupft sie erschreckt mit dem Ellbogen.

HELL. Suchst auch du deine Stärke in der Pflicht und mahnst mich an die meine, euch die eure tragen zu lehren und tragen zu helfen?! Du bist mir wenigstens echt geblieben, Anne. Geh denn mit Gott!

ANNERL. Und noch ein schönes Gebitt' hätt' ich an dich. Nit wahr, du gibst uns selbst vorm Altar z'samm', du schickst uns kein' andern, du bist auch da dabei, wo du nit fehlen darfst?

HELL fährt mit der Hand gegen die Stirne. Davon ein andermal – jetzt – jetzt nicht! Winkt ihnen zu gehen.

ANNERL. Ich geh', aber so schick mich nicht von dir; zeig mir, daß du zufrieden bist mit mir und sag mir auch jetzt zum[76] letzten die lieben Wort', die du mir zum ersten g'sagt hast, wie d' mich aufg'nommen hast bei dir, sag mir, daß ich auch da recht gedacht hab' und brav!

HELL legt ihr erschüttert die Hand aufs Haupt. Recht und brav! Sinkt in den Stuhl.


Annerl und Michel durch die Mitte ab.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Stuttgart 31898, S. 74-77.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer Von Kirchfeld (Dodo Press)
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer von Kirchfeld
Der Pfarrer von Kirchfeld: Volksstück mit Gesang in vier Akten