Dritte Scene.

[86] Melodramatisch.


HELL allein, hat den Ellbogen an den Baumstamm gestützt und den Kopf in die Hand gesenkt, aufseufzend. Es wird mir doch schwerer, als ich dachte – vor den Altar zu treten, das entscheidende, ewig bindende Wort ihr abzufordern! Voll Leidenschaft. O, wenn sie stammelte – wenn sie es nicht über die Lippen brächte – Erschreckt. Was dann? Was denn dann, Thor – bringt dir anderer Verlust Gewinn? Pfui, bist du noch nicht dein Meister geworden? Jetzt rasch hin vor den Altar, das sei deine Strafe – ohne Zaudern, ohne Ueberlegung – ohne Zucken deiner Wimper – ohne Zittern deiner Hände. Macht eine energische Bewegung gegen die Kirche, die Orgel ertönt. Ich komme! Hält stille. Laß noch ein wenig die kühle Morgenluft dir die heiße Stirne fächeln – laß diesen Sturm in deinem Innern erst vorübergehen – laß es ruhig werden in dir – mach dir klar, was du mußt, damit du es auch vermagst! Denk dich Aug' in Aug' vor ihr – denk dir, wie du ihr ehrliches Ja hörst – denk dir, wie du ihre Hand faßt und in die eines andern legst. Schlägt die Hände vors Gesicht. O du vermagst es nicht! Läßt die Hände darauf sinken. Du vermagst es nicht, ohne zu zeigen, wie dich's im Innersten erschüttert – und du willst noch von Entsagung jenen ehrlichen Seelen reden, die dich für stärker, für besser hielten, als du bist! Auffahrend. Du mußt es können!


Choral mit Orgel.


Die Stimmen der Gemeinde! Sie mahnen mich! Die Hand am Herzen. Was ziehst du dich zusammen, kindisch Herz, um nur für ein Bild Raum zu lassen, Nach der Kirche. wo doch die alle dort in dir ein Fleckchen wollen, das sie beherbergt? O, werde wieder weit, wie ich dich brauche, wie du es immer warst gewesen, wenn es sonst ein Opfer galt, und so wie[87] sonst, wenn es gebracht ist, dann magst du höher schlagen! Nicht in ihr Auge will ich blicken, unverwandt auf die Gemeinde will ich schauen! War doch kein Opfer noch umsonst! O laß dich ganz von Opferfreudigkeit durchdringen, blick über alles aus ins Land der Zukunft und grüße mit vernarbten Wunden die Brüder jener Tage, denen dieses Kleid nicht mehr den Kampf zwischen Schande und Entsagung zur Pflicht macht! – O, wär't ihr jetzt zugegen, ihr, die ihr mir jede Anerkennung weigert – bei dieser Stunde, in der ich mich aus tausend Qualen gerungen – nun solltet ihr mir doch sagen müssen, was ich ja einzig nur zu hören wünsche: Daß ich gethan, was man von mir erwartet!


Voller Accord, mit dem Orgel und Choral verstummt.


HELL stark. Ich komme! Rasch ab in die Kirche.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Stuttgart 31898, S. 86-88.
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