Zweite Scene.


[232] Doktor Hammer allein.


HAMMER öffnet vorsichtig die Thüre. Ist endlich die Luft hier rein? Er tritt heraus, in der Rechten einen Pack Briefe haltend, schreitet er gegen den Ofen, der links an der Wand hinter dem grauen Tische angebracht ist. Auch hier die Feuerung ausgegangen. Ich wollte das verbrannt wissen. Ich habe es oft genug gelesen, um den Inhalt zu behalten. Faßt ein kleines Rosabillet zwischen die Finger. Von »Finten«. Wenn die Anbete zurückverlangten, was sie ihr verehrten, so hätte ein Verhältnis keinen Sinn und keine Berechtigung. Wie logisch so eine kleine Tänzerin zu schreiben versteht. Zieht ein anderes Schreiben hervor. Von Gustav Rellmann. Der immer heitere Gesellschafter[232] findet den Scherz, den ich mir mit ihm erlaube, ganz ausgezeichnet, da doch bekannt sei, daß er Geld nur – schuldig zu bleiben wisse. Uebrigens sei er bereit, wenn ich ihn über Zahl und Preis der Couverts, die er bei mir genommen, verständige, sich in der ganzen Höhe der resultierenden Summe als mein Schuldner zu bekennen. Wie geistreich und – schustig! Er blättert die anderen Briefe wie Karten auf. Vielfaches Bedauern – mehrseitige andere Verpflichtungen – den Schluß bildet ein sehr achtenswerter Mann, dem es unendlich leid, meinem Ansuchen nicht entsprechen zu können, weil das – gegen sein Prinzip sei! Pah! Er faßt den Pack zusammen und schiebt ihn in die Brusttasche. Mag man sie bei nur finden, mich brandmarken sie nicht. Er beginnt unruhig auf und ab zu gehen. Es ist ein Unglück, wenn einem von Kind aus Angeredet wird, er sei etwas Besonderes; man glaubt dann so leicht an ein besonderes Glück und an den Umgang mit besonderen Freunden, man sündigt ans das eine hin und läßt die andern ungeprüft und steht dann plötzlich wie vor den Kopf geschlagen, wenn man gegen sich das Glück ebenso veränderlich und die Freunde unerläßlich findet wie gegen alle die andern, nicht besonderen Leute. Es war ein unkluger Streich, mich an diese sogenannten Freunde zu wenden. Morgen schon wird man davon munkeln, übermorgen spricht sich's in der Stadt herum. Ich habe meinen Kredit kurzer Hand umgebracht. Der Weg zu den Geldgebern ist mir verlegt. Wohin hätte er auch geführt? Ich habe es verstanden, Verpflichtungen aufzuerlegen, ich verstünde mich aber nur schwer dazu, mir welche auferlegen zu lassen; ich habe nicht vollen Händen ausgegeben, ich vermöchte es nicht, die leeren bettelnd auszustrecken. Ich habe allen Flitter zusammengerafft, der mir allein das Leben lebenswert erscheinen ließ – nun fällt er ab, meine Rolle ist ausgespielt, ich finde mich in keine andere und der Augenblick ist vielleicht näher, als ich denke, wo es gilt, rasch hinweg zu flüchten vor dem Unerträglichen, dem heuchlerischen Mitleid kriecherischer Seelen, dem Spott hohlköpfiger Müßiggänger, den vorwurfsvollen[233] Blicken von Frau und Kind! Er sinkt in einen der Leder-Fauteuils und bedeckt sein Gesicht mit den Händen, kleine Pause, dann aufseufzend. Aber ich habe Galgenfrist. Das Gerede wird mein Haus erst scheu umschleichen, ehe es sich hereinwagt. Erhebt sich. Heute werde ich wohl noch volle Ruhe haben, die Geladenen werden weg bleiben. Auf die Brusttasche klopfend. Diese Briefe darf ich doch für eine Absage halten? Sich nach rückwärts wendend, erblickt er die mittlerweile erleuchteten Fenster des anderen Traktes. Was ist das? Ach ja, Hermine ahnt nicht, daß wir allein bleiben werden und läßt die immer erleuchten. Doch – Schatten an den Gardinen? Sie kommen trotzdem? Wohl, sich mir ins Gesicht entschuldigen, sich an meiner Verlegenheit zu weiden! Zwischen den Zähnen. Ah, schnüffelndes, spürendes Gesindel!


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 232-234.
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