Sechste Scene.


[322] Vorige. Alwine.


ALWINE in Mantel und Hut. Herr Onkel!

THOMAS mit lächelndem Gesichte sich ihr zuwendend. Fräul'n Nichte!

ALWINE. Was haben Sie denn mit unserm Doktor?

THOMAS. O, ich hab' eigentlich gar nix mit ihm. Ich hab' nur 'glaubt, er wär' ein anderer, mit dem ich was hätten thät', weil er aber der nit is, sein wir wieder ganz gut.

ALWINE faßt ihn an der Hand. Ach, Onkel, da hat uns Mama einen garstigen Strich durch die Rechnung gemacht. Papa soll ich nicht wieder sehen und Sie, seinen leiblichen Bruder, kaum gesehen, wieder verlieren.[322]

THOMAS. Ich versichere Sie, ich komm' mir auch ganz verloren vor.

ALWINE. O, setzen Sie sich doch, Onkel. Ich bin so neugierig, wie es Papa bei Ihnen haben wird. Ich habe eine Menge Fragen an Sie zu richten, was ich doch dann unterm flücht'gen Abschiednehmen nicht mehr thun könnte, darum bin ich herüber, während Mama schreibt.


Sie führt ihn nach rechts zu einem Stuhle, auf dem

die Puppe liegt und neben welchem der kleine Esel steht. Sie nimmt die Puppe an sich, zieht sich den nächsten Stuhl heran, nimmt an Seite des Thomas Platz und hält die Puppe auf den Schoß. Der Esel kommt dabei zwischen beiden Stühlen zu stehen.


THOMAS. Wer weiß, laßt d'Frau Mama uns viel Zeit?

ALWINE. Sie wird nicht so schnell mit dem Briefe zu stande kommen. Sie hat schon eine Menge Blätter zerrissen.

THOMAS zerstreut. Na, wann's ihr nur von der Hand geht.

ALWINE. Nun sagen Sie, Onkel, wo leben Sie?

THOMAS. In Erdberg.

ALWINE. Ist es dort schön?

THOMAS. Na, wissen S', Fräul'n Nichte, Gegend hab'n wir eigentlich dort gar keine Aber unser Häuserl is recht nett.

ALWINE. Klein?

THOMAS. Klein, aber packschierlich. Arthur – der Herr Papa will ich sagen – zieht ins Stockwerk, zwei Zimmer und ein Kaminett.[323]

ALWINE. Ach, da hätten wir ja alle ganz nahe, Wand an Wand, gewohnt.

THOMAS. Ja freilich. In so ein' klein' Häuserl halt't von der Familie eins das andere warm.

ALWINE. Welch schöne Gelegenheit wäre das gewesen, meine Eltern näher kennen zu lernen! Ich kenne beide nämlich noch gar zu wenig, Onkel.

THOMAS. Schad', jetzt soll Ihnen der Anschauungsunterricht auch entgehn.

ALWINE. Und ebener Erde wohnen Sie, Onkel? Sind Sie auch verheiratet?

THOMAS. Nie gewesen. Hab' auch noch nie ein' Anfang dazu mir zu schulden kommen lassen. Erstens: gibt's auf der Welt kein Weib mehr, wie meine Frau Mutter eins is, und drittens: ließ' ich mir auch von keiner andern das g'fallen, was ich mir von ihr g'fall'n lass'.

SCHRAUBER hat sich ans Toilettetischchen gelehnt und betrachtet die beiden. Und zweitens?

THOMAS. Zweitens?

ALWINE. Ja, Onkel! Sie sagten erstens und drittens.

THOMAS. So, hab' ich zweitens aus'lassen? Na, da sehn S', wie konfus mich das Elend macht. Also, daß ich sag', zweitens: bin ich zu meiner Mutter, wie sie noch ein Mädel war, in[324] gar keinen Beziehungen gestanden; ich hab' keine Ahnung, wie so eine mädelhafte Mutter oder ein mutterhaftes Mädel ausschaut und könnt' mich aus Unkenntnis arg vergreifen. Da halt' ich mich als mutterbegnadeter Junggesell' lieber ans Sichere. Es soll vorkommen, daß eine Frau dem Mann erklärt: ich will nicht mehr dein Weib fein! Das is für den Betreffenden dann nach Temperament und Neigung recht schmerzlich oder verdrießlich, aber eine Mutter kann zu ihrem Kind nit sagen: ich will nicht mehr deine Mutter sein! Sie is vorher nit darum g'fragt word'n und wird's auch nachher nit.

ALWINE. Sie haben Ihre Mutter wohl sehr lieb?

THOMAS. Ganz unvernünftig!

ALWINE. Die Großmama soll ich nun gar nicht zu sehen bekommen, und Sie können sich doch denken, Onkel, wie mich Papas Mutter interessiert hätte?

THOMAS. Sie ist auch ein interessantes Weib. Fräul'n Nichte, von der hätten Sie manches lernen können, ohne Ihnen nahe zu treten, wirtschaftlich mein' ich – verstehn S'? – so im Hauswesen, da Sie doch mehr fürs Palaiswesen erzogen worden sind.

ALWINE. Ach, muß sich am Ende die arme alte Frau abmühen? Gibt es denn so viel Arbeit in dem kleinen Haus?

THOMAS. I, bei dem Haus is halt auch Hof und Garten. Zwar nur a Kuchelgarten, aber doch ein schöner Anblick, wann's so um und um grün herschaut und mer dabei denkt, daß mer das alles auch essen kann. Und im Hof sind Gans', Anten und Hendeln, jetzt is gar noch a Hunderl dazu 'kommen, wissen[325] S', so aner, a Amerikaner, ganz ohne alle Haar' – a Schwartelhund. D'Frau Mutter meint, er wäre a recht lieb's Tierl, weil er ihr zug'standen is, drum darf ich mich, so oft er mich erwischt, in d'Wadeln zwicken lassen von dem Mistviech. Begreiflich geht mit Haushalten, Gartenarbeit, G'flügelfüttern a Menge Zeit auf und ich kann nur wenig mitthun, denn ich muß im Geschäft fein oder im Magazin Ordnung machen, da h'neinzschau'n wurd' Ihnen g'wiß auch a Vergnügen machen, Fräul'n Nichte – denn wann mer sich auch nit mehr damit spielt –

ALWINE hat, etwas vorgebeugt, aufmerksam und lächelnd zugehört, dabei die Puppe wie ein Kind, vom Schoße herabgehoben und Tanzschritte machen lassen. Das freilich nicht, Onkel! Sie hebt die Puppe in den Sattel des Esels.

THOMAS. So sieht mer oft derlei nit ungern. Er setzt die Schaukelkufe in Bewegung. Man erinnert sich an die eigenen Kindereien und es gibt auch Neuigkeiten in derer Branche, wie in jeder anderen, wo es einem ein' Spaß macht, sich auszudenken, was mer wohl selber einmal davon g'halten hätt' und ob denn dem oder dem von 'n bekannten Fratzen dös oder das a Freud' machet?

ALWINE. Ei freilich! Und wissen Sie, Onkelchen, daß ich mich Ihnen da vielleicht nützlich machen könnte?

THOMAS. War' nit übel! Sie dürften Uns nix anrühren. Sie wurden auf'n Händen getragen, und da brauchten Sie Ihre Pratzerln nur zum Anhalten.

ALWINE lachend. Gott behüte, Onkel, da könnten ja dann die andern auch nichts thun! Sie scheinen mich für recht müßiggängerisch zu halten, oder trauen Sie mir für solche Dinge keinen Blick[326] zu? Das kann ich mir doch nicht gefallen lassen und Sie erlauben mir schon die Frage, Herr Onkel: Sind alle Ihre Puppen so geschmacklos gekleidet wie diese?

THOMAS in gereiztem Tone. Geschmacklos?! – Ja so, hehe, wie ich so ein kritisch's Wort hör', mein' ich, s sagt's a Kundschaft, und ich muß mich um mei' War' annehmen; d'Leut reden auch oft ohne Verständnis, nur weg'n'm H'runterhandeln. Aber unter uns, natürlich is's g'schmacklos; man kann denen Nähterinnen nix zahlen, weil mer selber nix kriegt dafür und so wird's halt g'schwind mit der Nad'l z'samm'g'endelt.

ALWINE. Ja, Puppen, nach der Mode toilettiert, sind freilich nur ein Artikel für Reiche; aber kleiden wir sie nach Figurinen in Nationaltrachten oder Phantasiekostüme.

THOMAS. Nationaltrachten sein mer heutz'tag z' demonstrativ, aber in der Phantasie, denk' ich, nehmen sich wohl alle Gretheln gut aus.

ALWINE. Oder versuchen wir's einmal mit schwarzem und braunem Leder – passenden Köpfen dazu – und machen Kongo- und Kamerunpuppen, Sudan- und Tonkingpuppen. –

THOMAS springt vom Stuhl empor. Herrgott – das is a Idee, – a Nouveauté! Aber, freilich, Sie müßten ja nit 's Bruders Tochter sein, wenn S' kein findig's Köpferl hatten! Fräul'n Nichte, da nehmen wir a Heidengeld ein, wann uns d'Leut' dafür eins geben.

ALWINE ist gleichfalls aufgestanden. Ich überwache die Herstellung, besorge die Ausstattung und werde auf diese Art Ihr stiller Kompagnon.

THOMAS. Und ich – vor Vergnügen – Ihr lauter![327]

ALWINE. Großmama braucht nur Ihre Junggesellenwirtschaft zu führen.

THOMAS. Das wär' recht!

ALWINE. Mama leitet unser'n Haushalt.

THOMAS. Richtig!

ALWINE. Und in meinen freien Stunden helfe ich beiden.

THOMAS. Schön!

ALWINE. Papa richtet sich wieder eine Kanzlei ein.

THOMAS. Unter bescheideneren Verhältnissen, – is schon besprochen worden! Und es is gar kein Zweifel, daß er wieder in d'Höh' kommt, wenn wir alle rechtschaffen nachtauchen.

ALWINE in die Hände klatschend. Ach, Onkel, das wird eine lustige Zeit werden nach den schrecklich langweiligen Pensionatsjahren.

THOMAS. I g'freu mich schon drauf.

ALWINE. Ab und zu ein Besuch –

THOMAS mißtrauisch. Besuch?

ALWINE. Zum Beispiel Auf Schrauber deutend. der Herr Doktor.[328]

THOMAS. Ach ja, hin und wieder a guter Bekannter.

ALWINE zu Schrauber. Sie nehmen doch an und kommen?

SCHRAUBER mit ein wenig Ironie. Mit dem größten Vergnügen, mein Fräulein! Nur sagen Sie mir, wohin Sie mich laden?

ALWINE. Nun, nach Erdberg.

THOMAS. Nach Erdberg?

SCHRAUBER. Ja, meine Herrschaften, Sie scheinen ganz darauf vergessen zu haben, daß die Frau Doktor –

THOMAS. Ah, Sie sein a boshafter Mensch. Ich schwelge da in dem Genusse meiner onkelhaften Stellung und Sie erinnern mich an mein schwägerliches Pech. Das is nit schön!

SCHRAUBER. Es ist nur zu Ihrem Besten. Sie dürfen nicht überrascht werden. Ihre Frau Schwägerin kann jeden Augenblick hierher zurückkehren und Sie müssen ihr gefaßt entgegentreten und den Mut nicht sinken lassen.

THOMAS. Ich trete ihr ja eh' gefaßt entgegen von dem Mute der Verzweiflung, denn wenn sie nit mit mir hinauskommen will, so 'trau' ich mich gar nimmer heim. Es gibt keinen mutigeren Menschen wie mich.

ALWINE. Mama kommt! Onkel, jetzt zeigen Sie sich!

SCHRAUBER. Nehmen Sie sich zusammen![329]

THOMAS für sich. Merkwürdig! Ich habe nie Gelegenheit gehabt, vor einem Weibe zu zittern und immer geglaubt, man müßt' dazu sein eignes haben, es scheint aber auch ein fremdes dieselben Dienste zu leisten.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 322-330.
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