Siebente Scene.


[330] Die Vorigen. Hermine kommt zurück, ebenfalls in Hut und Mantel.


HERMINE das Sacktuch an die Stirne gedrückt. Ich bin in einer nervösen Aufregung, die es mir unmöglich macht, die Gedanken, die mich bestürmen, zu Papier zu bringen. Ich werde später in ruhigeren Stunden den Brief niederschreiben und ihn dann per Post senden.

THOMAS. Aber schau'n S', Frau Schwägerin, warum woll'n Sie denn sich und andere quälen? Der Arthur wart't ja auf keinen Brief und a andere Antwort, als der Brieftrager für drei Kreuzer ins Haus bringt, dürft' er doch noch verdienen.

HERMINE. Reden Sie ihm mir gegenüber nicht zum guten, dazu kennen Sie ihn zu wenig. Was er mir da in den letzten Stunden zufügte, brachte mir alles wieder lebhaft in Erinnerung, was er mich die Jahre her – rücksichtslos, wie er ist – um Kleines und Kleinliches hat erdulden lassen.

THOMAS. Aber, Frau Schwägerin, dürft' denn da nit das Vergessen angezeigter sein als das Erinnern?

HERMINE. Lassen Sie das, Herr Schwager, scheiden wir in Frieden. Ich bin heute zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, um auf fremde etwas geben zu können und nicht im stande, Widerspruch zu ertragen.[330]

THOMAS. Schön. Beiseite. Wenn ich ihn nit schlecht mach' und ihr nit recht gib, so bricht sie die Unterhandlung einfach ab, das darf nit sein, ich muß also nach gegebenem Programm krampfhaft weiterreden. Laut. Ja, wissen Sie, Frau Schwägerin, Sie müssen nit glauben, daß ich so unbedingt auf der Seite meines Bruders steh'. Ich besinn' mich ja auch, was's oft g'nug für a Tour mit 'n Arthur war und eben darum und deshalb möcht' ich Ihnen doch aufmerksam machen, zerbrechen S' Ihnen weg'n dem Brief nit den Kopf und geben S' Ihnen kein' unnötige Müh', ich bin überzeugt, er lest 'n ja doch nit.

HERMINE. Er würde ihn nicht lesen?

THOMAS. Aber, ich bitt' Ihnen, würden denn Sie einen Schreibebrief mit drei, vier Seiten Unannehmlichkeiten von Anfang bis zum End' lesen? Wie können Sie glauben, daß er von »Pflichtvergessener Gatte« bis h'nunter zu »Deiner tiefgekränkten –« lesen wurd'? Rücksichtslos, wie er schon is?!

HERMINE. O, ich verzichte trotzdem nicht aus meine Genugtuung! Ihnen schenke ich volles Vertrauen, Herr Schwager –

THOMAS. Is mer a Ehr'!

HERMINE. Herr Schrauber, geben Sie meiner Tochter den Arm und bemühen Sie sich in den Salon hinüber. Zu Thomas fortfahrend. Vor Ihnen will ich mein übervolles Herz ganz ausschütten und Sie werden dann – während wir uns von hier fortstehlen – Arthur meinen Standpunkt ihm gegenüber klarmachen.[331]

THOMAS ruft Schrauber und Alwine, die bis zur Thüre gelangt sind, nach. Aber, ich bitte, nur da zu bleiben! Frau Schwägerin das wär' auch nur a Schlag ins Wasser. Dazu wurd' er ja nur lachen.

HERMINE. Es ist empörend, das zu denken.

THOMAS. Ich sag' ja nit, daß er über Ihnen lachen wurd', Frau Schwägerin, aber wann ich mit meiner schwachen Auffassungsgabe und starken Ausdrucksweise in der Rolle der beleidigten Gattin ihm entgegentretet, da müßt' er ja lachen und dazu brauchet er nit amal so rücksichtslos zu sein, wie er is. Schau'n S', Frau Schwägerin, wenn ich Sie getroffen hätt', wie er in seinem Leichtsinn geglaubt haben muß, daß Sie anzutreffen sein werden, nämlich als nachgiebiges, butterweiches Weiberl, dann hätt' ich Sie auf die Arme genommen, über d'Treppen hinuntergetragen und ins Wagerl g'setzt und wir wären schon draußen; aber jetzt, wo ich Ihren starken Charakter, Ihren felsenfesten Entschluß kenn', machet ich mir selber ein Gewissen draus, Sie da hinauszuzaxeln.


Rasch nacheinander.

ALWINE halblaut. Aber, Onkel!

SCHRAUBER ebenso. Was machen Sie denn?

THOMAS gleichfalls halblaut. Laßt's mich gehn! Laut fortfahrend. Ich stell' mir's lebhaft vor, verehrte Frau Schwägerin, was Ihnen das Schweigen für Opfer auferlegt, was es Sie kostet, das alles so ungesagt und unausgesprochen hinunterzuschlucken, – Sie werden nach dieser einen schlaflosen Nacht noch eine ganze Suit' von schlaflosen Nächten erleben, und das is der Mensch eigentlich gar nit wert – aber wenn Sie auch selbst weich werden würden, Frau Schwägerin, so müßt' doch ich mich[332] Ihrer Hinauskunft förmlich widersetzen, denn wenn ich Ihnen auch dafür stehn kann, daß meine Frau Mutter, eine scharfe Verfechterin der Frauenrechte, Ihnen zur Seite stehen würde, so könnt' ich Ihnen doch nit dafür stehn, was Ihnen für ein Empfang von ihm bevorsteht, der an gar keinen Vorwurf gewöhnt is und daher auch keinen erwartet; er wär' im stand' – rücksichtslos, wie er schon is – gar nit drauf zu hören.

HERMINE erbittert. Das möchte ich doch sehen, ob er mich nicht hören wollte!

THOMAS. Ah, wenn Sie bloß sehn woll'n, ob er hört, dazu könnt' ich Ihnen allenfalls mein Wagerl zur Verfügung stellen. Fahren Sie h'naus, sagen S' ihm's h'nein und dann fahr'n S' wieder h'rein, wann Sie's h'rausg'sagt hab'n.

HERMINE. Sie haben recht. Ich will alles heraussagen, was mich bedrückt, damit ich das Herz frei bekomme und er soll mir Gehör stehen. Ich mache von Ihrer Güte Gebrauch, Herr Schwager. Sie nimmt seinen Arm.

THOMAS. Vollkommen vernünftig, Frau Schwägerin. Jetzt müssen wir nur um wem umschau'n, der 's Kupferl wegschafft.

SCHRAUBER. Erlauben Sie mir, den Stadtträger zu machen. Er faßt an.

ALWINE eilt hinzu. Ich helfe Ihnen!

SCHRAUBER. Ich werde nie zugeben, daß Sie sich bemühen.

ALWINE. Ach, Sie fürchten, daß Sie sich dann wohl mehr mit mir schleppen müßten?[333]

SCHRAUBER. O, mein Fräulein, kann Furcht in dem Gedanken liegen, mich mit Ihnen schleppen zu müssen?

HERMINE. Alwine, bleib doch weg. Lassen Sie nur, lieber Herr Schrauber. Wozu soll denn überhaupt der Koffer mit? Ich gedenke mich nicht lange aufzuhalten und noch weniger unter Dach zu bleiben.

THOMAS mit schalkhafter, daher etwas übertriebener Gutmütigkeit. Nehmen mer'n mit, Frau Schwägerin, brauchen mir'n, so hätten mir'n. Es ist jetzt schon a bissel dumper draußt, und wann mer so ins Reden h'neing'rat't, da vergeht die Zeit, mer weiß nit wie. Schad't ja nix, wann a Nachthäuberl und a Nachtleiberl bei der Hand is für a Gardinenpredigt.

HERMINE zieht ihren Arm rasch aus dem seinen, tritt, ihn betroffen anblickend, einen Schritt von ihm zurück und sagt dann, ohne ganz des Lachens Herr werden zu können. Ach, hören Sie, Schwager, das ist nicht ehrlich. Sich wieder ereifernd. Sie meinen wohl, wenn Sie mich nur erst da draußen haben und ich Arthur Aug' in Aug' gegenüberstehe, dann werde sich alles so mit einmal geben? Das ist Ihr Hintergedanke.

THOMAS. Es is zwar g'wöhnlich nix hinter meine Gedanken, aber wenn doch amal was dahinter is, so laßt sich das leicht erraten, wie Sie eb'n bemerkt haben dürften. Ja, liebe Frau Schwägerin, ob Sie sich mit oder ohne Spektakel mit'm Arthur aussöhnen, das kann mir ganz gleich sein, daß Sie's aber thun werd'n, das glaub ich, weil ich anderseits nit glauben kann, daß von zwei Leuten, die nah'zu zwanzig Jahr' miteinander leben und obendrein so a Vögerl, das noch nicht ganz flügge is, im Nest haben, daß, sag' ich, von zwei solchen Leuten eins das andere in der Not verlassen könnt'. Ich kann mir nit denken, Frau Schwägerin, daß[334] Sie das gerecht und billig finden, da mein Bruder, weil er sein' Kopf verloren hat, auch Ihr Herz verlieren soll?! Sehn Sie, ich weiß es nit, ob ihn nit in den Räumen da seine Familie vielleicht auch nur wie das vornehmste, kostbarste Pracht- und Prunkstück vorg'kommen is, aber das weiß ich, daß sie ihm jetzt in Unglück eine Notwendigkeit geworden, nach der er von ganzen Herzen verlangt, und das weiß ich auch, Frau Schwägerin, daß Sie ihn nicht mehr als den Mann treffen, Lachend. »rücksichtslös wie er war« – Sie werden einen sehr dasigen Herrn finden, und wenn Sie auf den gerade jetzt, wo er zwischen Furcht und Hoffnung schwankt, die Verzeihung, das Mitleid, die Freundschaft, Nachsicht, Liebe, und wie alle diese weiblichen Großmüten heißen – aufhäufen, so wird er Ihnen darunter so sauber eingehn und so klein werden, daß Sie ihn kommod in die Taschen stecken können und diese einzige Gelegenheit, die vielleicht nie wiederkehrt – die sollten wir nit ausnutzen? Was? Han? Na1! Gelten S'! – Kommen S', Frau Schwägerin!


Während er Herminen den Arm reicht, fällt der Zwischenvorhang.


Verwandlung.


Dekoration wie in der Verhandlung des zweiten Aktes. Die Drehbank, mit dem nun geschmückten Christbaum darauf, steht im Alkoven hinter der spanischen Wand, über welche aber das Bäumchen zur Hälfte hinausragt. In der Mitte sieht ein größerer Auszug- Tisch mit Tuch, Gedecken und Gläsern; eine Lampe mit Schirm darüber läßt das Zimmer in einem Halbdunkel; durch die offenstehende Küchenthüre dringt heller Schein vom Herdfeuer und dem Lichte einer offenen Lampe mit Reflektor.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 330-335.
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