Siebentes Buch.

[162] Sobald nach vergangener Finsternis der Tag anbrach, und der glänzende Sonnenwagen alles erleuchtete, kam noch ein neuer Kamerad der Räuber an. Nach gegenseitiger freundlicher Begrüßung setzte er sich in den Eingang der Höhle hin, ließ sich ein wenig zu Atem kommen und erstattete darauf seinen Kollegen folgenden Bericht:

›Was des Hypaters Milo Haus anlangt, das wir neulich beraubt haben, so dürfen wir deshalb ganz ruhig und außer Sorgen sein. Nachdem Ihr, tapfere Kameraden, alles ausgeräumt hattet und nach unserem Standquartier zurückgezogen waret, mischte ich mich, wie Ihr es mir befohlen, unter die zusammengelaufenen Leute, schimpfte und klagte weidlich mit ihnen über die geschehene Untat, paßte aber wohl auf, was man wegen Untersuchung derselben beschließen möchte, und ob überhaupt oder inwiefern darüber Nachsuchung angestellt werden sollte.‹

Hier ist, was ich eingezogen!

›Jedermann gibt, nicht auf Mutmaßung, sondern aus wahrscheinlichen Gründen, einen gewissen Lucius für den unzweifelhaften Täter des geschehenen Diebstahls an. Dieser Schelm habe sich vor kurzem durch falsche Empfehlungsschreiben bei dem Milo eingeschlichen und sei von demselben als Gastfreund[162] in sein Haus aufgenommen worden. Daselbst habe er sich verschiedene Tage aufgehalten, während welcher er die Magd des Milo durch unerlaubten Umgang auf seine Seite gebracht und alle Schlösser des Hauses und alle Behältnisse, worin der Wirt sein Vermögen verwahrt, untersucht und ausgekundschaftet. Es wäre auch nicht die geringste Spur von dem Bösewichte zu entdecken. Er wäre mit dem Augenblicke, da der Diebstahl geschehen, verschwunden und nirgend mehr anzutreffen. Auch hätt' es ihm nicht an Mitteln gefehlt, seine Flucht zu beschleunigen und den Nachsetzern zu entgehen, da er gleich zu der Absicht mit einem schönen Schimmel versehen gewesen. Zwar habe man seinen Kerl noch im Hause gefunden und denselben in Verhaft genommen, weil man geglaubt, er würde die Anschläge seines Herrn verraten. Allein ungeachtet dieser den andern Tag lange gefoltert und fast bis auf den Tod gemartert worden, so habe er doch nicht das geringste Nachteilige von seinem Herrn bekannt. Gleichwohl habe man viele Abgesandte nach dieses Lucius' Vaterland geschickt, um daselbst wegen Bestrafung des Verbrechers anzusuchen.‹

Derweile dieser also erzählte, verglich ich bei mir selbst meine vormalige Glückseligkeit als Lucius mit meinem jetzigen Elende als Esel und seufzte aus dem Innersten meines Herzens. Ich begriff jetzt, daß die klugen Alten nicht ohne Grund das Glück blind und völlig augenlos gebildet; da es mit seiner Gunst nur immer gegen böse und unwürdige Leute verschwenderisch ist, nie mit Beurteilung unter den Menschen eine Wahl trifft, vielmehr die am meisten vorzieht, vor denen es selbst laufen würde, wenn es sie sehen könnte, und (was von allem das Ärgste ist) über unsere Meinung ebenso wunderlich als widersinnig waltet, so daß der Schurke oft für einen rechtschaffenen Kerl gilt, indem der Biedermann wie ein Bösewicht behandelt wird.[163]

›Dich‹ – sagt' ich bei mir selbst – ›den es schon in seiner schlimmsten Laune zu dem allerverächtlichsten Tiere herabgewürdigt hatte, dessen Unglück auch dem verruchtesten Menschen Erbarmen und Mitleiden abgelockt haben würde, Dich noch mit dem Verdachte der Beraubung, ja der Ermordung Deines teuren Gastfreundes zu beladen! Und Du mußt es noch so mit anhören und kannst Dich nicht einmal verteidigen oder die Sache nur mit einem Worte leugnen!‹

Endlich übernahm mich Ungeduld: ›Stehst Du so dabei,‹ dacht' ich, ›und sagst nichts, so scheint's, als habest Du ein böses Gewissen und sei die abscheuliche Beschuldigung wahr.‹ Ich wollte also wenigstens ausrufen: ›Ich bin unschuldig!‹

Das erste Wort kam ganz gut und laut und mehr als einmal heraus, allein die übrigen vermocht' ich auf keine Weise hervorzubringen. Ich mochte meinen unförmlichen, ungeschickten Lippen noch so viel Gewalt antun, ich mochte sie noch so sehr vorstrecken und spitzen, es blieb bei demselben Tone. Ich! Ich! i-ate ich mehrmals, daß alles widerhallte.

Da alles Hadern mit dem Glücke umsonst war, blieb nichts anderes zu tun, als alles zu verschmerzen. Hatte ich mich doch schon darein ergeben müssen, daß ich mit meinem eigenen Reitgaule Dienst-, Last-und Krippengenosse geworden war.

Ich versank darauf in eine wichtigere Sorge, als es die über die Verletzung meines guten Leumundes war. Das über mich gesprochene Urteil, wodurch ich zum Schlachtopfer für die Seele des Mädchens verdammt worden, kehrte mir wieder zu Sinne, und ich blickte so wehmütig nach meinem Bauche hin, als wäre er schon mit dem armen Mädchen trächtig.

Unterdessen holte der Räuber, der soeben die falsche Nachricht von mir mitgebracht hatte, tausend Goldstücke hervor, die er in einen Zipfel seines Kleides eingenäht hatte. Er hätte sie,[164] sagte er, verschiedenen Reisenden abgenommen; als ein redlicher Kerl aber brächte er sie treulich zur gemeinschaftlichen Kasse. Er erkundigte sich auch sehr geflissentlich nach seiner Kameraden Befinden.

Als er hörte, daß einige von ihnen, und zwar die wackersten, bei verschiedenen gefährlichen Vorfällen draufgegangen wären, so tat er den Vorschlag: ›Man solle eine Weile die Landstraßen in Frieden lassen und allgemeinen Waffenstillstand beobachten; unterdessen aber sich auf Anwerbung junger Leute legen, damit ihr martialisches Heer völlig rekrutiert und wieder so vollzählig als ansehnlich würde. Die Widerspenstigen könne man ja mit Gewalt zwingen und die Unentschlossenen durch Geschenke gewinnen, davon nichts zu erwähnen, daß sehr viele herzlich gern freiwillig zu ihrer Gesellschaft übergehen würden, um sich nur dem Joche der Knechtschaft zu entziehen und bei ihnen ein freies Herrenleben zu führen. Er für sein Teil sei unlängst einem großen, vierschrötigen, handfesten, jungen Kerl begegnet und habe ihm angeraten und endlich ihn auch überredet, die Nerven seines Armes nicht in steter Faulheit erschlaffen zu lassen, sondern zu etwas Besserem anzuwenden, des Vorteils einer festen Gesundheit sich noch zur rechten Zeit zunutze zu machen und nicht schüchtern nach kärglichen Almosen eine starke Faust auszurecken, mit der er gebieterisch große Geldsummen einfordern könnte.‹

Der Rat ward beliebt; es wurde beschlossen, sowohl den halb und halb Angeworbenen aufzunehmen, als auch aufs Rekrutieren auszugehen.

Darauf ging der Werber fort, und nach Verlauf kurzer Zeit kehrt er mit einem so schönen, großen Kerl, wie er versprochen hatte, zurück. Fast keiner von den Anwesenden konnte sich mit demselben vergleichen. Ohne von seiner übrigen stammhaften[165] Leibesstatur zu reden, war er noch einen Kopf größer als alle insgesamt, und das Milchhaar kräuselte sich kaum erst auf seinen Wangen. Sein Anzug bestand aus lauter Lumpen von allerhand Farben, die übel zusammengefitzt waren, kaum bedeckten sie ihn halb; allenthalben strebte daraus eine breite Brust und ein mit dicker Schmutzrinde überzogener Leib hervor.

Als er hereintrat, sprach er:

›Seid gegrüßt, Ihr wackeren Diener des Gottes Mars, bald meine Brüder! und wollet willig unter Euch einen Menschen aufnehmen, der sich freiwillig anbietet, sein Leben schon oftmals gewagt hat, lieber Wunden als Geld empfängt und dem Tode, den andere scheuen, kühn Trotz zu bieten weiß! Glaubt nicht, daß Mangel oder Verworfenheit mich zu Euch treibe, und beurteilt meine Verdienste nicht aus diesen Lumpen; denn, wie Ihr mich hier seht, bin ich Hauptmann der allerstärksten Bande gewesen und habe ganz Mazedonien verwüstet. Ich bin jener berühmte Straßenräuber, der thrazische Hämus, bei dessen Namen ganze Provinzen zittern. Mein Vater hieß Thero und ist gleichfalls unter den Straßenräubern namhaft. Er hat mich mit Menschenblut gesäugt und mitten unter seiner Banditenbande erzogen. Ich bin Erbe und Nacheiferer seiner hohen Eigenschaften. Allein die ganze zahlreiche Gesellschaft, die er mir hinterließ, mitsamt den großen Schätzen allen hab ich innerhalb eines kurzen Zeitraums verloren, weil ich den ersten kaiserlichen Finanzminister, der in Ungnade gefallen war, im Vorbeigehen an der Seeküste angefallen hatte. Doch ich will Euch die ganze Sache in ihrer Ordnung erzählen.

Es lebte am kaiserlichen Hofe ein mit vielen Würden und Ämtern bekleideter Herr in großer Gunst und Ansehen. Neid machte sich an ihn, feindete ihn an, stürzte ihn; er ward relegiert. Seine Gemahlin, eine gewisse Plotina, eine Frau von[166] seltener Treue und Tugend, die ihrem Gatten schon zehn Kinder geboren, verschmähte und verachtete der Hauptstadt üppige Ergötzlichkeiten, teilte den Kummer ihres Gemahls und gesellte sich ihm im Elende als Gefährtin zu. Sie schor sich das Haar ab, kleidete sich wie eine Mannsperson, versteckte Juwelen, Geschmeide und Spargeld in ihrem Gürtel und ging so unerschrocken unter der Wache und unter den blanken Schwertern einher, jeglicher Gefahr teilhaftig, immer wachsam auf die Wohlfahrt ihres Gemahls und mit echtem männlichem Mut alle Mühseligkeiten erduldend.

Schon waren fast alle Beschwerlichkeiten und Gefahren der Reise, zu Wasser und zu Lande, glücklich überstanden, und man steuerte auf Zacynthus los, welches dem Verbannten vor der Hand zum Aufenthalt war angewiesen worden, als man sich einfallen ließ, vorher am actiischen Gestade noch anzulegen, allwo wir eben, nachdem wir von Mazedonien herabgekommen waren, unser Wesen trieben. Die ganze Schiffsmannschaft verließ das Schiff, um in einem kleinen Wirtshause, nicht weit vom Meere, zu übernachten. Wir überfielen sie darin und plünderten sie rein aus, wiewohl nicht ohne die allergrößte Gefahr; denn sobald nur Plotina das erste Geräusch an der Haustüre hörte, stürzte sie in die Stube hinein und machte durch ihr ängstliches Geschrei alles wach. Soldaten, Bediente, die ganze Nachbarschaft rief sie zu Hilfe, und hätten sich nur die Leute nicht alle selbst gefürchtet und vor Angst verkrochen, wir wären nimmermehr so ungestraft davongekommen.

Hierauf kam das treue Biederweib (denn ich muß ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen) mit ihren Bitten bei dem Kaiser ein, und da sie ihrer Klugheit und ihres guten Herzens wegen allgemein beliebt ist, so erhielt sie sowohl die schleunige Zurückrufung ihres Gemahls als auch vollständige Rache wegen der Beraubung.[167]

Kurz, der Kaiser wollte nicht, daß des Hämus Straßenräubergesellschaft ferner bestehen sollte; den Augenblick war es auch damit aus. So viel vermag der bloße Wink eines großen Fürsten!

Als uns nun einige Kompanien Soldaten nachsetzten und alle meine Leute niedermachten, wischt' ich noch mit genauer Not und ganz allein davon.

Ich entkam dem Tode, der mich gleichsam schon in seinen Klauen hielt, auf folgende Art: Ich legte ein geblümtes Weiberkleid an, das hübsch weit und lang war und recht schlotterig saß, setzte eine Mütze auf, zog weiße dünne Schuhe an, wie das andere Geschlecht zu tragen pflegt, und also vermummt bestieg ich einen Esel, der Gerste trug, und ritt glücklich mitten durch die Haufen der mir nachstellenden Soldaten hindurch. Sie ließen mich frei und ungehindert passieren, weil sie mich für eine Eseltreiberin ansahen; denn ich hatte damals noch keinen Schein von Bart.

Inzwischen, so enge ums Herz es mir auch unter den Schnapphähnen ward, so blieb ich dennoch des Ruhms und der Tapferkeit meines Vaters eingedenk. Unter meiner Vermummung fand ich leicht in den Schlössern und Landhäusern Zugang, und war ich gleich allein, so scharrte ich demungeachtet einen ansehnlichen Reisepfennig zusammen.‹

Hiermit schnallte er sein Wams auf und schüttete zweitausend Goldstücke aus.

›Da,‹ sprach er, ›diese Kleinigkeit biete ich von ganzem Herzen Eurer Gesellschaft zum Antrittsgeld und mich selbst unmaßgeblich zum Anführer dar mit der Verheißung, diese Eure steinerne Wohnung in gar kurzer Zeit in eine goldene zu verwandeln!‹

Ohne Anstand noch Bedenken übertrugen die Räuber ihm[168] einstimmig die Hauptmannschaft. Sie brachten sogleich ein stattliches Kleid hervor und ließen es ihn statt des zerlumpten Kittels anziehen. Als er geputzt war, küßt' er sie reihum. Nun wurde er bei Tische auf den Ehrenplatz gesetzt und unter weidlichem Gebecher bei einem fröhlichen Schmause eingeweiht.

Unterm Tischgespräche ward er von des Mädchens Flucht und von meiner willigen Beihilfe und von dem uns zuerkannten abscheulichen Tode unterrichtet. Er erkundigte sich, wo das Mädchen wäre, und ließ sich zu ihr führen. Als er gesehen, wie sie krumm zusammengeschlossen dalag, ging er mit gerümpfter Nase wieder hinweg und sprach:

›Ich bin weder so einfältig noch so verwegen, daß ich dasjenige, was Ihr beschlossen habt, geradezu aufheben sollte. Inzwischen würd' ich mir doch auch Vorwürfe machen, Euch das zu verhehlen, was mir gut dünkt. Hört mich in dem Vertrauen an, daß Euer Vorteil mir am Herzen liegt! Mißfällt Euch meine Meinung, nun so bleibt die Erfüllung der Eurigen Euch ja immer unverwehrt.

Ich denke also: Räuber, die ihr Handwerk verstehen, müssen nichts in der Welt ihrem Vorteile vorziehen, selbst die Rache nicht, mit der man ohnehin nur allzu oft ebensosehr sich selbst als andern schadet! Gesetzt, Ihr lasset das Mädel im Esel umkommen, so ist's wahr, Euer Mütlein habt Ihr gekühlt; aber Euer Vorteil, was gewinnt der?

Darum, so wäre mein unmaßgeblicher Rat: Bringen wir die Dirne lieber nach irgendeiner Stadt, und da sie verhandelt! Für solch eine Jugend kann man etwas lösen. Ich kenne Kuppler, die sie uns mit tausend Freuden für bare alte Dukaten abnehmen. Laßt denn das gnädige Fräulein eine Bordelldame werden! Die Lust zu einer anderweitigen Flucht wird[169] ihr da schon vergehen, und bei dieser so trefflichen Versorgung seid Ihr wahrhaftig nicht minder gerächt.

So wäre mein Vorschlag nach meinen besten Einsichten! Ich halt' ihn für ersprießlich, stelle ihn Euch aber völlig anheim. Es ist Eure Sache, Ihr seid Herren und Meister, darin zu tun oder zu lassen, was Ihr wollt!‹

Also sprach er und erwies sich dadurch zu gleicher Zeit als einen ebenso eifrigen Plusmacher denn Erretter von dem Mädchen und mir armen Grauchen.

Die anderen ratschlagten ein Langes und ein Breites. Mir war bei ihrer Unschlüssigkeit nicht wohl; mein Herz war in der Klemme. Endlich und endlich traten sie alle der Meinung des neuen Ankömmlings bei, und dem Mädchen wurden sogleich die Fesseln abgenommen.

Wer hätt es geglaubt? Sobald das Mädchen nur den jungen Kerl gesehen und von Bordell und Kuppler gehört, wußte sie sich vor Freuden nicht mehr zu lassen. Das empörte mich gewaltig. Ich ward auf das ganze Geschlecht ungehalten, als ich sah, wie ein junges Ding, das so viele Liebe zu ihrem Bräutigam und so großes Verlangen nach einer ehelichen Verbindung bezeugt, so ehrvergessen und bei erster Erwähnung eines liederlichen, unzüchtigen Hauses so über die Maßen erfreut sein konnte.

›Ach, sie haben alle weder Sitten noch Charakter!‹ brach ich bei mir selbst voller Unwillen aus. Das schöne Geschlecht verzeihe es! Ich sprach's als – Esel.

Der neue Hauptmann nahm darauf wieder das Wort.

›Jetzt,‹ sprach er, ›laßt uns vorher unserem Beschützer, dem Mars, ein Dankfest feiern und dann auf Verkauf des Mädels und auf Anwerbung neuer Rekruten ausziehen! Aber, mir deucht, es fehlt uns wohl an Opfervieh und an hinlänglichem[170] Vorrate von Wein zum Trinken. So gebt mir nur ihrer zehn Gefährten zu, mehr braucht's nicht, damit ich nach dem nächsten Schlosse gehe und dort Ernte halte zu unserem Schmause!‹

Das geschah, und er marschierte mit ihnen fort.

Unterdessen zündeten die übrigen ein großes Feuer an und errichteten aus frischem Rasen dem Gotte Mars einen Altar.

Nach Verlauf kurzer Zeit kehrten jene wieder zurück, große Weinschläuche auf den Schultern und eine Herde Vieh vor sich her.

Ein großer, bejahrter langzottiger Ziegenbock ward gleich zum Opfer auserlesen und dem helfenden und schützenden Mars geschlachtet. Darauf ging es an die Zubereitung des herrlichen Gastmahls.

›Nicht genug,‹ begann endlich der Hauptmann, ›daß ich bei Euren Auszügen und Räubereien Euer rüstiger Anführer bin, ich will es auch bei Eurem Vergnügen sein.‹

Und damit schickt' er sich an, mit großer Geflissenheit alles zu besorgen. Er wischt, kehrt, schwenkt, deckt, kocht, richtet an, trägt auf, legt vor – es war ein Vergnügen, ihn zu sehen. Vor allen Dingen aber ließ er sich angelegen sein, die großen Humpen recht fleißig anzufüllen. Und unter dem Scheine, als holt er etwas, das bei Tische fehle, ging er von Zeit zu Zeit dahin, wo das Mädchen lag. Bald brachte er ihr Essen, das er heimlich wegpraktiziert, bald ließ er sie aus seinem Becher trinken, nachdem er vorher selbst kredenzt. Er war seelenvergnügt.

Das Mädchen ihrerseits nahm alles mit Freuden an, was er ihr zusteckte, und wenn er ihr zuweilen einen Kuß geben wollte, reichte sie ihm zuvorkommend den Mund hin. Das verdroß mich ungemein.[171]

›Pfui,‹ apostrophiert' ich sie unwillig bei mir selbst, ›bist Du ein ehrliches Mädchen und kannst so der Eheverlobung und Deines Geliebten vergessen? Kannst dem Bräutigam, den Deine Eltern Dir zugedacht, diesen wildfremden, blutdürstigen Räuber vorziehen? Du mußt ja gar kein Gewissen haben, daß Du Deine Liebe so mit Füßen trittst und hier unter Lanzen und Schwertern Unzucht treibst! Weißt Du wohl, daß, wo es die anderen Räuber merken, Du gleich wieder zur alten Strafe verurteilt werden und mir also das Leben rauben wirst? Wahrhaftig, das heißt, aus anderer Leute Leder Riemen schneiden!‹

Indem ich aber noch so in meinem Herzen mit ihr haderte, merkte ich mit einmal aus einigen dunkeln Reden, die aber doch für einen Esel von Verstand Sinn hatten, daß ich gegen das arme, unschuldige Kind einen gar falschen Verdacht hegte, indem der vermeinte berühmte Straßenräuber Hämus kein anderer war als Tlepolem selbst, ihr Bräutigam. Aus der Folge ihres Gesprächs ward mir's vollends offenbar, denn meine Gegenwart legte ihnen nicht den geringsten Zwang an.

›Nur guten Muts, süße Charite!‹ – sagte er etwas laut zu ihr – ›bald sollst Du diese Deine Feinde alle als Deine Gefangenen sehen!‹

Mit den Worten ging er und schenkte den Schwelgern bei Tische, die schon alle ihre völlige Ladung hatten, lauter ungemischten und nur etwas laugemachten Wein ein, munterte sie dabei noch unaufhörlich zum Trinken auf, tat ihnen aber nur immer aus leeren Bechern Bescheid.

Wahrlich, ich habe ihn in Verdacht, daß er ihnen ein schlafbringendes Mittel in den Trunk getan; denn stracks lagen sie allesamt wie tot da, in Schlaf und Weine begraben.

Nun war er drüber her, sie dicht und fest zu knebeln und zu[172] binden, und als er damit fertig war, setzte er sein Mädchen mir auf den Rücken, und sofort der Heimat zugewandert!

Wie wir uns derselben näherten, ergoß sich schier die ganze Stadt aus den Toren. Eltern, Anverwandte, Freunde, Pflegekinder, Gesinde, alles kam jauchzend uns entgegengerannt; in allen Augen blitzte die Freude des Wiedersehens. In kurzem hatten wir ein unzähliges Gefolge. Groß und klein, jung und alt, Mann und Weib wimmelte in fröhlichem Getümmel um uns her. Auch war es in der Tat ein seltenes und merkwürdiges Schauspiel, ein Mädchen im Triumph auf einem Esel einziehen zu sehen.

Was mich betrifft, um gleichfalls meinen Anteil an der gegenwärtigen erfreulichen Begebenheit blicken zu lassen und bei der allgemeinen Freude nicht gleichgültig zu scheinen: ich stolzierte hochtrabend einher, und mit emporgereckten Ohren und offenen Nüstern frohlockte und jubilierte ich dermaßen aus vollem Halse, daß alles nur dröhnte.

Also gelangten wir zu Charitens Wohnung.

Ihre Eltern trugen sie auf ihren Händen hinein und pflegten ihrer mit der allerzärtlichsten Sorgsamkeit. Mich aber trieb Tlepolem unverzüglich mit anderen Saumtieren mehr, von einer großen Menge Leute begleitet, wieder zur Räuberhöhle zurück. Ich sah es gern. Da Neugier überhaupt sehr meine Sache ist, so wünschte ich, die Räuber aufheben zu sehen.

Wir fanden sie nicht so sehr mehr vom Weine als von den Stricken gebunden.

Man säumte nicht, die meisten, so gebunden wie sie waren, in die nahen Steinklüfte hinunterzustürzen. Die übrigen stießen sich ihre Schwerter durch den Leib und ermordeten sich selber. Hierauf wurde das ganze Raubnest ausgeräumt. Man belud mich und die anderen Lastträger mit dem vorgefundenen Gold[173] und Silber und den übrigen Sachen und zog, über die genommene Rache vergnügt und zufrieden, nach der Stadt zurück.

Die mitgebrachten Reichtümer wurden in die öffentliche Schatzkammer gelegt; dem Tlepolem aber ward sein wiedergeholtes Mädchen gesetzmäßig zur Gattin gegeben.

Hinfort hat mich die schöne Charite beständig ihren Erretter genannt und sehr geflissentlich für mich gesorgt. An ihrem Hochzeitstage ließ sie mir so viel Heu und Gerste geben, daß ein baktrisches Kamel daran genug gehabt hätte. Was wünscht' ich der armen Fotis nicht all für Böses an, daß sie, anstatt in einen Esel, mich nicht lieber in einen Hund verwandelt hatte: denn diese machten sich wenigstens fette Mäuler beim Schmause und stopften sich bis zum Übermaße mit den leckersten Überbleibseln voll.

Am Morgen nach der Brautnacht, nach dem ersten Genusse der süßen Freuden der Liebe, hatte die holde Charite nichts Angelegeneres, als ihre Eltern und ihren Gemahl aufs neue recht dringend an die große Verbindlichkeit zu erinnern, die sie mir schuldig zu sein glaubte. Man versprach ihr, mich nach Verdiensten zu belohnen, und sofort wurde eine Versammlung der ältesten Hausfreunde angestellt, um über die Art und Weise wohlweislich zu ratschlagen.

Einer von den Mitgliedern dieses hohen Rates schlug vor, man solle mich, von aller Arbeit frei, im Stalle mit gestampfter Gerste, mit Bohnen und Wicken totfüttern.

Allein ein anderer redete meiner Freiheit das Wort und trug den Beifall davon. Er riet, mich lieber auf offenen Triften frei unter den Pferden herumlaufen zu lassen, dabei würde mein Vergnügen ebensosehr als der Herrschaft Vorteil gewinnen; denn ich würde mit den Stuten schöntun, und da würden dann brave Maulesel fallen.[174]

Unverzüglich wurde der Gestütmeister gerufen und ich ihm mit den schönsten Empfehlungen übergeben.

Froh und fröhlich trollt' ich vor ihm hin, in meinen Gedanken nun auf immer alles Gepäcks und aller Lasten entledigt und voll der besten Hoffnung, da ich völlige Freiheit hätte, mit Anfang des Frühlings, wenn die Wiesen grün würden, irgendwo Rosen auszugattern. Oft ging mir auch der Gedanke durch den Sinn, da man sich jetzt schon so erkenntlich gegen mich erwies und mich als Esel so in Ehren hielt: was man alsdann nicht erst tun möchte, wenn ich die menschliche Gestalt wiederum angenommen hätte!

Allein sobald mein Gestütmeister mich nur erst weit von der Stadt weg hatte, so war leider für mich weder an Vergnügen noch an Freiheit zu gedenken. Sein altes garstiges Weib, ein wahrer Ausbund eines Geizhalses, spannte mich sogleich vor eine Zugmühle, stellte sich mit einem Prügel neben mich hin, mir damit Mut einzusprechen, und ließ mich in Eins weg für sich und alle die Ihrigen Mehl mahlen. Ja was sage ich? Sie war damit noch nicht einmal zufrieden, daß ich ihr ganzes Hauswesen mit Mehl versah; ich mußte ihr auch noch Geld verdienen und für alle ihre Nachbarn Getreide mahlen.

Und wenn sie mir armem Schelm bei der sauern Arbeit nur noch das mir ausgemachte Futter gegeben hätte; aber da verkaufte sie meine Gerste (die ich noch dazu selbst in mühseligem Umlaufe zermalmen mußte) an die Bauern, und mir setzte sie statt dessen, wenn ich den ganzen Tag in der Mühle gegangen war, gegen Abend ein wenig grobe unreine Kleie vor, die ich vor Steinen fast nicht fressen konnte!

Nachdem ich durch solcherlei Ungemach schon ganz zahm geworden war, übergab das grausame Schicksal mich noch neuen Qualen. Der treue Gestütmeister ließ sich mit einmal, wiewohl[175] etwas spät, einfallen, dem Befehle seiner Herrschaft nachzukommen, und tat mich zu den Pferden auf die Weide.

Ich hatte anfangs solch' eine Freude, ich guter Esel, mich endlich frei und ledig zu sehen, daß ich mich nicht zu lassen wußte; ich hüpfte, tanzte, kapriolte. Mit lüsternem Auge ersah ich mir schon die schönsten Stuten zur Kurzweil aus. Allein wie bald, wie schrecklich ward ich aus dem süßen Wahne erweckt! Ich hätte schier das Leben drüber eingebüßt.

Die Zuchthengste, wilde, ungeschlachte, wohlgenährte starke Tiere, gegen die ein armseliges Eselein, wie ich war, gar nicht in Betracht kam, verstanden meinen Spaß unrecht und wurden eifersüchtig. Aus Furcht, ich möchte ihnen ins Handwerk pfuschen, setzten sie alle Gastfreundschaft hintan und verfolgten mich alle miteinander als ihren Nebenbuhler mit dem grimmigsten Haß. Der eine, von breiter Brust, langem Halse, kleinem Kopfe, bäumte sich hoch und hieb mit den Vorderfüßen auf mich ein. Der andere kehrte mir sein fleischiges Hinterteil zu und strich mit den Hufen mir sehr unsanft die Seiten. Der dritte kam mit boshaftem, grellem Gewieher, die Ohren zurückgelegt, die Zähne bleckend, und zerkaute mich über und über wie einen Krautstengel. Ich hatte in der Geschichte von einem gewissen thrazischen König gehört, der seine unglücklichen Gäste wilden Pferden vorwarf und sie von ihnen zerreißen und fressen ließ. Bei all seiner großen Macht war der Tyrann so geizig, daß er lieber mit Menschenfleisch als mit Hafer fütterte. Ich glaubte schier, ich wäre zu ihm geraten, so sehr waren alle Pferde des ganzen Angers auf mich erpicht. Sehnlich wünscht ich mich in meine Zugmühle zurück.

Indessen, das Glück war noch nicht müde, mich zu quälen. Es bereitete mir noch anderen neuen Jammer. Ich ward nunmehr bestimmt, Holz vom Berge herunterzuholen, und ein[176] erzböser Bube, der seine Freude daran hatte, mich bis aufs Leben zu martern, wurde mir zum Treiber bestellt.

Nicht genug, daß ich höchst mühsam auf den hohen, steilen Berg hinaufzuklettern hatte und mir auf den spitzen Steinen ganz das Horn von den Füßen abstieß, lag der Gauner mit seinem verdammten Knüttel mir noch unaufhörlich auf den Lenden. Bis in's innerste Mark meines Gebeins fühlt ich Schmerz von seinem ewigen Geprügel; weil er immer nur auf einen Fleck schlug, war auf der rechten Seite endlich gar die Haut von der Hüfte weggegangen und alles unterkötig geworden; es sah zum Erbarmen aus, doch das rührte ihn nicht. Er karniffelte drauf los, Eiter und Blut mochten noch so sehr aus der Wunde umherspritzen. Dabei überlud er mich dermaßen mit Holz, als ob ich ein Elefant gewesen wäre, und traf es sich, daß er schief gepackt hatte und die Last zu sehr auf einer Seite hing, so warf er nicht etwa einige Kloben von der zu schweren Seite ab, damit ich nicht gedrückt würde, oder legte sie nur auf die andere Seite, damit das Gleichgewicht hergestellt würde: Weitgefehlt! Er nahm Steine und brachte damit meine Ladung in die Richte. Gleichwohl, wenn wir durch den Fluß setzten, der mitten in unserem Wege floß, so dachte er viel an die ungeheure Überlast; sondern, um sich nur nicht die lieben Füßchen naß zu machen, wenn er durch die Furt watete, stieg er noch dazu auf mich und ließ sich durchtragen. Und wollte der Zufall, daß mir auf dem schlüpfrigen Ufer ein Fuß ausglitschte, und ich mit meiner Last mich nicht mehr halten konnte, sondern stürzte, anstatt, wie andere Eseltreiber es zu machen pflegen, mir hilfreiche Hand zu reichen, mich bei dem Halfter aufzurichten, beim Schwanze in die Höhe zu heben oder einen Teil der Bürde abzuladen, bis ich wenigstens nur wieder aufgestanden, so bestand alle kräftige Hilfe, die er[177] mir leistete, darin, daß er mir fast das Fell über die Ohren zog und mit seiner Keule mich schier zu Mus stampfte, bis ich endlich von selbst wieder auf die Beine kam.

Ja, das war das gebrannte Herzeleid noch nicht alles, das der Bärenhäuter mir antat! Nahm er nicht einmal Dornen mit giftigen Spitzen, band sie in ein Bündel zusammen und hing sie mir unten an den Schwanz, so daß sie, wenn ich ging, beständig hin und her baumelten, und mich bei jedem Tritte, den ich tat, aufs empfindlichste verwundeten? Ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. Lief ich zu, so kamen die Dornen dadurch in einen stärkeren Schwung und stachen beim Anprallen nur desto schärfer; blieb ich stehen, meinen Schmerz zu lindern, so regnete es Schläge.

Kurz, alles Dichten und Trachten des abscheulichen Wüterichs schien nur dahin zu gehen, mich zugrunde zu richten. Zuweilen drohte er's mir auch unter den größten Schwüren an. Und fürwahr, um ein Haar hätte er es wirklich ins Werk gerichtet.

Die Geduld riß mir eines Tages über seinen unausstehlichen Übermut aus, und ich versetzte ihm etliche tüchtige Hufschläge. Das spannte seine Bosheit aufs höchste, und er gedachte es mir. Wie ich einmal Werg zu tragen habe, das mir mit Stricken fest aufgeschnürt war, was hat er da zu tun? Er stiehlt sich unterwegs in einem Dorfe eine glühende Kohle und versteckt sie in meiner Ladung. Es dauerte keinen Augenblick, siehe, so war der ganze Praß entzündet und brannte heller lichter Lohe, und da stand ich mitten in Flammen. Vor Schreck war ich aus aller Fassung; ich wußte meinem Leibe keinen Rat, je schärfer das Feuer auf meinem Rücken brannte, je verwirrter ward ich. Ich gab mich für verloren.

Allein hold lächelte mir das Glück in dieser dringenden Not[178] und rettete mich von dem mir bereiteten gegenwärtigen Verderben, um vielleicht mich zu neuen größeren Gefahren aufzusparen. Es zeigte sich mir in der Nähe eine vom gestrigen Regen zusammengelaufene Pfütze; mit einem Satze saß ich darin bis über die Ohren und stracks war ich von Feuer, Last und Tod befreit.

Allein, sollte man's denken? diese seine Schandtat schob der Bösewicht gar noch auf mich. Er hatte die Unverschämtheit, gegen die anderen Stallknechte auszusagen: von freien Stücken sei ich im Vorübergehen bei den Feuern der Nachbarn gestolpert und gefallen und habe meine Bürde recht mit Willen angesteckt. Hohnlächelnd nach mir hinblickend, setzte er hinzu: ›Wie lange werden wir doch noch den Feuerwurm da für nichts und wieder nichts ernähren?‹

Wenige Tage darauf spielte er mir noch einen weit ärgeren Streich.

Er verkaufte in der nächsten Hütte das Holz, das ich hatte holen müssen, und trieb mich ledig nach Hause; lamentierte aber ganz erbärmlich und fluchte und schwur: er wolle eher ich weiß nicht was sein als mein Treiber! Ich wäre so voller Untugenden, daß mit mir nicht auszukommen sei.

›Seht nur,‹ schrie er, ›was das erzfaule, träge Luder, das nicht wert ist, daß man es anspeit, für gefährliche Händel anrichtet! Wer ließe sich wohl einfallen, daß, sowie er nur irgendeine hübsche Frau oder ein artiges Mädchen oder einen niedlichen Jungen auf seinem Wege antrifft, er gleich mit der Bürde herunter ist, auch wohl mit dem Zaume dazu, verbuhlt auf sie zuläuft und trotz seiner Eselhaftigkeit den Liebhaber bei ihnen zu spielen sich unterfängt? Er schmeißt sie ohne Umstände zu Boden und ist rasch darüberher, sein Lüstchen auf irgendeine Art an ihnen zu kühlen. Er versucht's auch wohl, sie[179] zu küssen; doch was kann er anders mit seiner unflätigen Schnauze als blaue Flecken stoßen oder beißen? Dabei ziehen wir den kürzeren. Das kann uns Zank und Streit zuziehen, und wir werden gewiß noch einmal deshalb in die Tinte kommen! Eben erst ward er noch eines jungen Fräuleins ansichtig. Wohin flog das Holz, das er trug? Und bei ihr stand er in wilder Liebesglut! Behend hatt er sie schon am schmutzigen Boden hingestreckt und angesichts aller Welt wollte er darauf. Wären nicht flugs auf ihr Heulen und Zetergeschrei eine Menge Leute ihr zu Hilfe geeilt und hätten sie ihm aus den Klauen gerissen, das arme erschrockene Kind wäre auf die allerjämmerlichste Art um ihr Leben gekommen, und wir hätten davon die Verantwortung!‹

Durch diese und ähnliche Lügen und Schandreden, die mich innerlich um so mehr krampften, da ich sie stumm und gleichsam beschämt mitanhören mußte, wiegelte der Bube die Gemüter seiner Kameraden dermaßen zu meinem Verderben auf, daß endlich einer darunter anfing:

›Ei, so laßt uns doch den Allerweltshurer, den Erzhörnermacher da nach Verdienst belohnen! Weißt Du was, Bruder, schlachte Du ihn ab! Seine Eingeweide gib den Hunden, das andere Fleisch laß für die Tagelöhner kochen; damit hat er seiner Sünden Sold! Die Haut wollen wir mit Asche austrocknen, sie der Herrschaft hineintragen und der weismachen, ein Wolf habe ihn erwürgt.‹

Diese Sentenz war, was mein gottloser Kläger wünschte. Ungesäumt rüstete er sich zur Exekution und lief und wetzte sein großes Messer. Die Schadenfreude lachte ihm zu den Augen heraus, als er dachte, daß er sich nun für meine Hufschläge rächen könne, die leider zu meinem größten Leidwesen ihre Absicht so schlecht erfüllt hatten.[180]

Indessen ein anderer aus der ehrbaren Knechteversammlung nahm das Wort und sprach:

›Nein, Brüder! das wäre unverantwortlich, wenn wir den schönen Esel da totmachen und seiner notwendigen Dienste uns darum berauben wollten, weil ihn bisweilen der Kitzel sticht! Was Henker! wir dürfen ihn ja nur wallachen, so sind wir sicher genug, daß ihm ferner kein Lüstchen mehr anwandele und wir von ihm künftig nicht das Geringste mehr zu fürchten haben. Er wird obenein dadurch noch ansehnlicher und fetter. O, ich weiß die Menge nicht allein solcher träger Langohren, sondern selbst der mutigsten Pferde, die vorher gar unbändig sich gebärdeten und vor Brunst sich nicht zu lassen wußten; wenn sie aber durch diese Schule gegangen waren, so zahm, so bequem wurden, daß sie alles mit sich machen ließen und gleich gut, es sei zum Tragen oder Ziehen oder wozu sonst, zu gebrauchen waren! Wenn Ihr also sonst nichts dawider habt und nur so lange warten wollt, bis ich hier in der Nähe zu Markte gewesen bin, so kann ich mir von zu Hause mein hierzu nötiges Werkzeug mitbringen und Euch den verbuhlten Zeisig da mit ein paar Schnitten auf ewig so kirre machen wie ein Lamm.‹

Hierdurch wäre ich freilich vom Tode gerettet gewesen; allein für welchen Preis!

Ich trauerte und weinte, als ob ich nicht einen Teil meiner selbst, sondern mein ganzes Ich verlieren sollte. Endlich beschloß ich, entweder zu verhungern oder den Hals mir zu brechen; ich stürbe alsdann zwar, doch stürbe ich wenigstens ganz.

Indem ich über noch meine Todesart unschlüssig nachsann, ward es Tag, und mein Hallunke kam wieder, wie gewöhnlich, mich nach dem Berge abzuholen.[181]

Eben hatte er mich an einen starken Eichenzacken gebunden und war etwas weiter hingegangen, um das Holz zu fällen, das ich heimtragen sollte, als auf einmal ein abscheulicher Bär aus der nächsten Höhle brummend herauszottelte. Sobald ich den sah, fuhr ich vor Furcht und Schreck zusammen, stellte mich auf die Hinterbeine und gezerrt und geruckt, bis der Halfter, womit ich angebunden war, abriß. Nun fort, was das Zeug hält! Den Berg nicht etwa hinunter gelaufen, sondern gekollert wie eine Kugel. Wieder aufgerafft, über die Ebene hingestoben, geflogen; so sehr strebte ich, dem schrecklichen Bären samt meinem Treiber, der schlimmer noch war als ein Bär, zu entkommen!

Ein Wanderer, der mich so allein ankommen sah, fing mich auf, schwang sich hurtig auf mich und, hast Du nicht gesehen, auf mich losgepaukt und querfeld eingesprengt.

Ich war froh, daß ich nur laufen durfte, damit ich je weiter und weiter von den vermaledeiten Schweineschneidern wegkam. Aus Prügeln macht ich mir nichts mehr, ich war ihrer endlich gewöhnt.

Allein umsonst war mein Eilen; es sollte mir nicht so gut werden, mich zu verstecken oder zu entwischen. Das mir feindselige Glück lauerte im Hinterhalte.

Die Stutereiknechte hatten eine Färse verloren und suchten und patroullierten danach in der Gegend umher. Von ungefähr trafen sie auf uns, erkannten mich im Augenblick an der Halfter wieder und wollten sich meiner bemächtigen. Mein Reiter hatte Mut und widersetzte sich.

›Beim Element!‹ rief er, ›laßt mich! Was fallt ihr mich an, was soll die Gewalt?‹

›Wir begegnen Dir, wie es Dir geziemt; Du bist ein Dieb!‹ gaben ihm jene zur Antwort, ›Du hast uns den Esel gestohlen![182] und sag gleich an, wo hast Du den Treiber, was hast Du mit ihm angefangen? Gewiß hast Du ihn totgeschlagen!‹

Damit rissen sie ihn zu Boden, schlugen ihn mit Fäusten, traten ihn mit Füßen; er mochte noch so sehr Stein und Bein schwören, daß er den Treiber mit keinem Auge gesehen und mich, da ich ganz frei und allein gelaufen gekommen, nur der Belohnung wegen, die er dafür vom Eigner zu erhalten gehofft, aufgefangen hätte.

›Wollte Gott,‹ sprach er, ›der Esel könnte reden! Er würde meine Unschuld bezeugen, und Ihr solltet Euch schon für diese Behandlung hinter den Ohren kratzen!‹

Allein das half alles nichts, die Knechte waren ungläubig. Sie legten ihm einen Strick um den Hals und schleppten ihn mit nach dem Busche, wo der Bursche zu holzen pflegte. Er war nirgends zu finden; wohl aber sah man hin und wieder zerstreute Glieder seines zerrissenen Leibes. Mir war es außer allem Zweifel, daß der Bär das Stück Arbeit verrichtet. Und traun! ich hätte gern gesagt, was ich wußte, wenn ich nur hätte reden können. Indessen, da das nicht anging, tat ich, was ich konnte, ich frohlockte im Grunde des Herzens über meine endliche Rache.

Nach und nach wurden alle zerstreuten Teile des Leichnams zusammengefunden. Man setzte sie, so viel als es sich tun ließ, wieder aneinander und verscharrte sie an demselben Orte.

Meinen armen Bellerophon aber hielten nunmehr die Knechte für einen unstreitigen, überführten Dieb und Mörder und führten ihn vor der Hand gebunden nach der Stuterei. Mit Anbruch des folgenden Tages aber, sagten sie, sollt er zum Richter gebracht und seiner verdienten Strafe ausgeliefert werden.

Eben waren die Anverwandten des Burschen im besten Weinen und Wehklagen um seinen Tod, siehe, da kam richtig[183] mein Herr Schweineschneider anspaziert, um an mir seine Operation zu verrichten. Allein es ward ihm gesagt: ›Alleweile läge ihnen die Sache nicht am Herzen; er möchte morgen wiederkommen, da könnte er den verdammten Esel, anstatt ihn zu kastrieren, auch wohl gar erwürgen, sie wollten ihm alle dabei helfen!‹

Solchergestalt ward meine Verschneidung auf den andern Tag verschoben. Wie aus Herzensfülle dankt' ich da nicht dem armen seligen Jungen für diese Galgenfrist, die er mir durch seinen Tod erworben! Meine Freude aber währte sehr kurz.

Die Mutter des Burschen, ganz untröstlich über desselben Verlust, kam in völliger Trauer zu mir in den Stall geheult und geschrien; riß sich mit beiden Händen ihre grauen, mit Asche bedeckten Haare aus, zerschlug und zerkratzte sich die welken Brüste und rief:

›Und die infame Bestie hier soll so ruhig stehen, die Nase in die Krippe hängen und nur für Ausfüllung ihres bodenlosen Wanstes besorgt sein? Nicht achten meines Jammers, nicht gedenken des schrecklichen Unglücks seines Führers? Soll wohl gar meines Alters, meiner Schwäche noch spotten und für seine Feigheit leer auszugehen glauben? Ja, sich unschuldig dünken, sich dem bösesten Gewissen zum Trotz, wie's alle Bösewichter machen, weißbrennen?

Nein, bei allen Göttern! Du schändliches Vieh, Du könntest die beredtste Zunge erborgen und würdest nicht einmal ein Kind von Deiner Unschuld überzeugen! Konntest Du nicht mit Beißen, konntest Du nicht mit Hufschlägen den armen Jungen schützen? Ja, wie er noch lebte, da mochtest Du wohl Deine Hufe gegen ihn selbst spielen lassen; aber sie zu seiner Verteidigung gebrauchen – das konntest Du nicht! Hättest Du ihn wenigstens nur auf den Rücken genommen und wärst mit ihm davongerannt,[184] und hättest ihn also aus den Händen das blutdürstigen Banditen gerettet! Aber so Deinen Bruder, Deinen Meister, Deinen Gefährten, Deinen Pflegevater im Stiche zu lassen und allein davonzulaufen! Du mußt nicht wissen, daß diejenigen, welche einem, der sich in Lebensgefahr befindet, Hilfe versagen, wie Totschläger behandelt werden, weil es in der Tat bübisch ist! Allein Du sollst Dich meines Verlustes nicht länger erfreuen, Mörder! Du sollst gleich fühlen, wie der Schmerz selbst den abgelebten Unglücklichen Jugendkräfte verleiht!‹

Mit diesen Worten machte sie sich die Hände frei, band sich ihren Gürtel ab und knüpfte und schnürte mir damit die Beine dicht und fest zusammen, so daß ich keins nur rühren konnte, geschweige ausschlagen. Und nun ergriff sie den Baum, womit die Stalltüre zugestemmt wurde, und hörte auch nicht auf, mich damit zu bleuen, bevor sie nicht alle Kräfte verließen und der Bleuel, vermöge seiner eigenen Schwere, ihr aus den Händen sank.

Böse, daß die Arme ihr so bald versagten, lief sie zum Feuerherde, holte einen lebendigen Feuerbrand und begann mein Gemächte zu braten. In der äußersten Not wußt ich mir nicht anders zu helfen, als ich spritzte hintenheraus ihr dermaßen ins Gesicht, daß sie kein Auge mehr auftun noch vor Gestank bleiben konnte, und ich also das Verderben von mir abwendete; sonst wäre ich armes Eselein wirklich, gleich dem Meleager durch den Feuerbrand der rasenden Althäa, ums Leben gekommen.

Quelle:
Apulejus: Der goldene Esel. Berlin 1920, S. 162-185.
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