Pygmäen

[91] Die Zeit ist todt, da große Helden schufen,

Die mit der Fackel der Begeisterung,

Mit kühn erhabenem Gedankenschwung

Des Lebens florumhüllte Stufen

Und weiter – weiter bis zum Gipfel klommen,

Wo ihnen vor den sehgewalt'gen Blicken

Jach barst der Vorhang mitten in zwei Stücken –

Wo über sie der Friede dann gekommen!


Die Zeit ist todt – die Zeit der großen Seelen –

Wir sind ein ärmlich Volk nur von Pygmäen, ...

Die sich mit ihrer Afterweisheit frevelnd blähen

Und dreist sich mit der Lüge Schmutz vermählen –

Mit jener Lüge, die da Prunk und Kronen

Um leere Schädel flicht – um schmale Stirnen

Das Diadem der Gottentstammtheit schlingt –

Die Weihrauchduft ohnmächt'gen Götzen bringt!


Was wir vollbringen, thun wir nach Schablonen,

Und uns're Herzen schrei'n nach Gold und Dirnen –

Und Keinen giebt's, der tief im Herzen trüge

Den Haß, der aufflammt gegen diese Lüge –

Wir knieen Alle vor den Götzen nieder

Und singen unserer Freiheit Sterbelieder!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 91.
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