Nachtwache

[71] 1884.


Um Haupt und Leib mir wallen

Dunkle Nebel der Nacht,

Auf Herz und Sinne fallen

Finsternisse mit Macht.


Die düst'ren Wolken schreiten

Drohend über das Land,

Schatten vorübergleiten

Und fassen mein Gewand.


Sie fassen an meine Seele

Und greifen in mein Hirn,

O lösche in Nacht und Schwele –

Verlösche nicht mein Gestirn.


O wasche mit Feuerwellen

Von meinem Busen die Schuld,

Ström' über mich den hellen

Glanz deiner Gnade und Huld.


Ich bin eine zitternde Leuchte,

Ich bin ein schwaches Rohr –

Du, schau meiner Augen Feuchte,

Gnade führ' mich empor!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 71.
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