Ein goldner Kaisertraum

[31] Kennst du das Zaubereiland,

Das fern im Süden liegt,

Das leis' in ew'gen Schlummer

Die Meereswelle wiegt?

Hier blüht noch der Orangen

Und Myrten Hain so schön,

Hier schimmert noch so blendend weiß

Der Schnee auf Bergeshöh'n.


O siehst du, wie die Welle

Als wie ein kleines Kind

Umkos't, umspielt das Eiland

So weich, so schmeichelnd lind?

Wohl liegt der Schnee so blendend

Hoch um des Aetna Firn',

Und doch wie Trauer, still und groß,

Umwebt's der Insel Stirn.


Wo blieb, der einst hier ragte

Am Meere, der Palast,

Der jeden Gott begrüßte

Als hochwillkomm'nen Gast?

Wo blieb, das ihn durchrauschte,

Das purpurne Gewand,

Darauf so stolz in goldnem Grund

Ein rother Löwe stand?


Verschollen sind die Lieder

Des deutschen Minnesangs,

Verblichen auf dem Eiland

Des Orient's Mährchenglanz;

Der Minnehof der Schönheit,

Die Weisheit hochgelehrt,

Sie wichen, seit verrostete

Das Hohenstaufenschwert!
[32]

Und hörst du, was die Welle

Noch heute traurig singt?

Was traurig wiederhallend

Zum hohen Norden klingt?

»Hier schlummert in zwei Särgen

Ein goldner Kaisertraum,

Der einst umspannen wollte

Den ganzen Erdenraum.«

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 31-33.
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